Totkehlchen. Thomas Matiszik

Totkehlchen - Thomas Matiszik


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Reaktion war immer identisch: Alles, was er herausbrachte, war ein undefinierbares Grunzen. Und ein Gesichtsausdruck, der deutlich signalisierte, dass es besser war, ihm nicht zu nahe zu kommen. Das Einzige das – in den meisten Fällen zumindest – half, war der Duft eines frischen Toasts, fingerdick bestrichen mit Erdnussbutter.

      Der Hüttenservice hatte das Frühstück vor wenigen Minuten vor der Tür abgestellt und leise geklopft. Während Elisabeth in Sekundenschnelle aus dem Bett hüpfte, blieb Jens liegen und machte ein schmatzendes Geräusch.

      „Hmmm“, brummte er, während Elisabeth ihm das frische Toastbrot unter die Nase hielt. „Wie der Sohn, so der Vater“, wisperte sie Jens ins Ohr und beobachtete, wie sich ein jungenhaftes Lächeln auf das Gesicht ihres Mannes legte. Es waren diese kleinen, eher beiläufigen Momente, die Elisabeths Herz noch immer schneller schlagen ließen.

      „Wird Zeit, Schatz! In einer guten Stunde müssen wir am Treffpunkt sein. Ich bin schon ganz aufgeregt!“

      Das opulente Büffet im fünfzig Meter entfernten Hauptgebäude der Ferienanlage hatten sie am Vorabend sausen lassen und stattdessen in einem kleinen gemütlichen Restaurant landestypische Spezialitäten genossen: Maisgrieß, dazu frischer Fisch. Jens und Elisabeth bereuten ihre Entscheidung keine Sekunde.

      Sie hatten die Fahrt zum St. Lucia See zusätzlich zum ohnehin schon teuren All-inclusive-Pauschalangebot gebucht, auch wenn es ihr Urlaubsbudget eigentlich nicht mehr zuließ. Aber wer wusste schon, ob sie noch einmal eine solche Gelegenheit bekommen würden? Eine herkömmliche Safari, wie man sie in Namibia oder in anderen Ländern des afrikanischen Kontinents buchen konnte, wäre für Jens und Elisabeth nicht infrage gekommen. Sie wollten etwas Besonderes, etwas Abwechslungsreiches. Sie würden in wenigen Stunden sowohl Nashörner und Leoparden als auch Pelikane und Reiher bewundern dürfen. Den Abstecher in die Sumpfgebiete konnten sie leider nicht verhindern. Der Reiseleiter schüttelte lachend den Kopf, als Jens ihm erklärte, wie sehr sich seine Frau vor jeglichen Amphibien ekelte. Als Abschluss würde es dann noch eine Walbeobachtung geben. Darauf freuten sich beide besonders. Buckelwale in freier Natur zu erleben war dann doch ein extraordinäres Spektakel, von dem sie noch Jahre später zehren dürften.

      Eine halbe Stunde später klopfte es an ihrer Tür. Aufgeregt wie kleine Schulkinder schauten sich die beiden an.

      „Bereit?“, fragte Jens und hielt dabei beide Arme hoch. Elisabeth klatschte ihren Mann ab und erwiderte: „Aber auf jeden Fall! Los geht’s!“

      7

      „Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Presse, liebe Kolleginnen und Kollegen.“ Modrich verdrehte die Augen. Er hasste diese hochoffiziellen Anlässe. ‚Fenster auf, Zeit raus, Fenster wieder zu’, dachte er und unterdrückte nur mit großer Mühe ein Gähnen. Er hatte letzte Nacht kaum ein Auge zugetan, weil Shao, der neben Modrichs Bett auf einer alten Matratze lag, während des Schlafes leise vor sich hin blähte. Das kam häufiger vor, aber in dieser Nacht musste etwas Shaos Verdauungstrakt heftiger als sonst in Wallung gebracht haben. In kurzen Abständen gab Shao ein leise zischendes Geräusch von sich, das Modrich jedes Mal vorwarnte und die Luft anhalten ließ. Der Gestank war derart penetrant, dass Peer sein Gesicht nach dem nächsten Atemzug ins Kopfkissen presste, um nicht die volle Ladung abzubekommen. Irgendwann, es musste kurz vor zwei Uhr nachts gewesen sein, hatte Modrich die Nase sprichwörtlich voll und entschied sich, auf die Wohnzimmercouch zu wechseln. Leider hatte er dabei die Rechnung ohne Shao gemacht. Der hatte nämlich überhaupt keine Lust, alleine im Schlafzimmer zu bleiben. Zuerst hockte er leise winselnd vor der verschlossenen Schlafzimmertür. Als Peer dies ignorierte, fuhr Shao schärfere Geschütze auf. Zuerst kratzte er am Teppichboden vor der Tür, und zwar so heftig, dass Modrich fürchtete, sein Hund würde ein Loch in den Boden des Zimmers buddeln, bis er auf der anderen Seite der Tür wieder wohlbehalten bei seinem Herrchen herauskäme. Als Shao endlich vom Teppichboden abließ, wähnte sich Modrich schon im Reich der Träume. Der Hund schien sich mit seiner Situation abgefunden zu haben. Alles, was Modrich noch wahrnahm, war ein tiefes Schnaufen, das klang, als wollte auch Shao nun endlich einschlafen. Offenbar war das Schnaufen allerdings nur die finale Vorbereitung Shaos, die Schlafzimmertür wie ein Rammbock aufzustoßen. Ein kurzer, schneller Anlauf, ein kerniger Sprung. Im nächsten Moment prallten sechzig Kilo mit voller Wucht gegen die stabile Holztür. Modrich, der durch seine bleierne Müdigkeit eigentlich schon eingeschlummert war, fiel vor Schreck von der Couch. Sein erster, instinktiver Gedanke war, dass sich ein Einbrecher Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte, das laute Jaulen ließ ihn aber blitzschnell realisieren, dass sein Hund gegen die Schlafzimmertür gedonnert war und diese vermutlich stark beschädigt hatte. Auf allen Vieren krabbelte er in Richtung Tür, öffnete sie zaghaft, als der Tosa all seine Kraft aufbrachte, durch den eigentlich viel zu kleinen Spalt stieß und dabei Modrich zu Boden warf. Freudig erregt wedelte Shao mit dem Schwanz, ließ sich auf Modrich nieder und schleckte sein Gesicht ab.

      „Ja doch, ich freu mich auch, dich wiederzusehen, Shao!“

      Modrich schaffte es nur mit Mühe, das Tier zur Seite zu rollen und selber wieder auf die Beine zu kommen.

      „Wir machen das wie folgt“, sprach Modrich und hob dabei den Zeigefinger in Richtung Shao, der seinen Kopf zur Seite legte. „Du darfst dich heute ausnahmsweise auf der Couch hier ausbreiten. Ich gehe wieder zurück in mein Bett und lasse die Schlafzimmertür offen. So kann ich hoffentlich endlich schlafen und du weiterhin ungestört vor dich hin blähen. Einverstanden?“

      Mit dem letzten Wort nahm Peer den Kopf des Hundes in seine Hände, schüttelte diesen sachte und gab Shao einen Gute-Nacht-Kuss. Drei Stunden später hatte Modrich ein Einsehen und ging mit Shao vor die Tür. Es war höchste Zeit.

      Oberstaatsanwältin Thea Brammenkemper strafte Modrichs genervten Gesichtsausdruck mit einem verächtlichen Blick und fuhr fort.

      „Für alle, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Thea Brammenkemper. Ich bin seit einem knappen Monat die leitende Oberstaatsanwältin. Leider kann der Polizeipräsident aufgrund einer wichtigen Dienstreise nicht hier sein. Aus diesem Grund darf ich – und ich sage das nicht ohne Stolz – an seiner Stelle nun diese Aufgabe übernehmen. Lassen Sie uns kurz zurück­blicken: Kurt Heppner war ein herausragender Kollege. Über viele Jahre hat er die Dortmunder Kriminalpolizei mit großem Geschick, kriminalistischem Spürsinn und einzigartiger Menschenkenntnis geführt. Niemand in diesem Revier hätte nur einen Gedanken daran verschwendet, dass es in Kurt Heppners Leben ein dunkles Geheimnis geben konnte, das schlussendlich aus einem vorbildlichen Staatsdiener einen unkontrollierbaren und kaltblütigen Mörder gemacht hat.“

      Ihr Blick schweifte durch die Reihen und blieb bei Gregor Frobisch hängen.

      „Und so tragisch und dramatisch Heppners Abgang auch war, bleibt uns nun keine weitere Zeit für Sentimentalitäten. Vielmehr ist es nun an uns und besonders an mir, den Nachfolger Kurt Heppners möglichst geräuschlos in seine neue Position zu heben und ihm den Einstieg etwas zu erleichtern. Selbstverständlich übernehme ich diese Aufgabe, gerade im Hinblick auf die traditionell gute Zusammenarbeit unserer Institutionen, sehr gern.“

      Wieder blieb ihr Blick an Peer Modrich hängen, der diesmal allerdings nicht gähnte, sondern ein breites Grinsen aufsetzte.

      „Kommissar Modrich“, raunzte Brammenkemper, „würden Sie die anderen Anwesenden und mich doch freundlicherweise an Ihrer guten Laune teilhaben lassen? Ich bin sicher, wir alle möchten dringend wissen, was an meinen letzten Worten so überaus witzig war.“

      Peers Absicht, das Wort ‚geräuschlos‘ nur zu denken, ging gründlich daneben. Stattdessen murmelte er selbiges leise, aber eben hörbar in seinen Bart.

      „Entschuldigung, geht das auch etwas lauter?“, trompetete die Oberstaatsanwältin. Ihre Halsadern waren bedrohlich angeschwollen. Peer dachte allerdings nicht an Deeskalation.

      „Nun, wenn Sie mich so direkt fragen, liebe Frau Oberstaatsanwältin“, begann er, „sollen Sie natürlich eine Antwort bekommen.“

      Alle Anwesenden drehten sich zu Modrich um, der in der hintersten Reihe saß und sich weiter um Kopf und Kragen redete. Alle außer Gregor Frobisch.

      „Offensichtlich,


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