Totkehlchen. Thomas Matiszik

Totkehlchen - Thomas Matiszik


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kommen.“

      Frobisch nickte zustimmend. „Ich sehe das ganz ähnlich. Trotzdem sollten wir hier alles absuchen. Letzten Endes müssen wir herausfinden, ob die Brandwunde im Gesicht des Opfers tatsächlich von der Zigarette des Täters stammt. Dafür müssen wir sie aber erst einmal finden. Und wenn er uns wirklich auf seine Fährte locken will, sollten wir diese Einladung, höflich wie wir nun einmal sind, nicht ausschlagen.“

      „Vielleicht ist es aber auch weniger eine Einladung, sondern vielmehr eine Falle!“, konterte Peer und dachte an den ‚Erlöser‘-Fall, bei dem Guddi und er sich leichtsinnig in akute Lebensgefahr gebracht hatten.

      In diesem Moment bekam Peer eine SMS. Verdammt, er musste sich endlich angewöhnen, das Ding stumm zu schalten, solange er im Einsatz war. Es war Guddi.

      ‚Bin jetzt im Krankenhaus. Geht gleich los. Drück uns die Daumen. Melde dich, wenn du kannst!‘

      „Kommissar Modrich, geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Frobisch besorgt.

      Peer fuhr sich nervös durchs Haar und schüttelte hektisch den Kopf. Es machte den Eindruck, als wollte er dunkle Gedanken loswerden.

      „Alles gut soweit“, erwiderte er, „ich müsste nur heute Nachmittag dringend nach Aachen. Der Sohn meiner Kollegin wird gerade ein weiteres Mal operiert.“

      Frobisch schien keinen Plan zu haben, wovon Peer sprach.

      „Gudrun Faltermeyer. Sie ist seit unserem letzten Fall beurlaubt. Sie wissen nichts darüber, richtig?“

      Frobisch schüttelte den Kopf. „Um ehrlich zu sein, hatte ich genug eigene Baustellen, um mich eingehend in die Vitae meiner neuen Mitarbeiter einzulesen. Frau Faltermeyer ist für mich noch ein unbeschriebenes Blatt. Im Vergleich zu Ihnen, Modrich!“

      „Dann sollte ich Ihnen das beizeiten alles erzählen. Ich finde, Sie sollten wissen, wer zu Ihrem Team gehört und warum dieses Team im Moment nicht vollzählig ist.“

      Frobisch sah Peer zustimmend an. „Sie haben recht. Was halten Sie davon, wenn ich Sie heute Abend abhole und wir in die Kneipe Ihres Vertrauens gehen? Was ich so gehört habe, sind Sie da ein Mann vom Fach.“ Frobisch huschte ein Lächeln übers Gesicht. „Und manchmal auch fürs Grobe!“, ergänzte er.

      Peer runzelte die Stirn. Sein Ruf eilte ihm wieder einmal voraus. „Halb acht würde bei mir passen. Meine Adresse haben Sie sicher, oder?“

      Frobisch nickte. „Was halten Sie davon, wenn ich hier für Sie weitermache und Sie jetzt schon zu Ihrer Kollegin fahren?“

      Peer schaute einigermaßen verdattert.

      „Ich meine das durchaus ernst, kann es mir aber auch gern wieder anders überlegen. Also: Sehen Sie zu, dass Sie hier wegkommen. Bis heute Abend.“

      11

      „Es gibt vermutlich nichts Schlimmeres für einen Jungen als das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Wenn dein Vater dich spüren lässt, dass du für ihn ein Versager bist, ist es so, als würde jemand den Stecker bei dir ziehen.“

      Johannes Baldauf wachte langsam auf. Die Betäubung ließ ihn nur ganz allmählich das wahrnehmen, was um ihn herum passierte. Sein Nacken schmerzte höllisch, was offenbar daran lag, dass er rücklings auf dem Ehebett lag und sein Kopf am Fußende des Bettes herabhing. Seine Erinnerungen an die letzten Stunden waren mehr oder minder ausgelöscht. Jemand hatte an der Wohnungstür geklingelt. Das war’s, was Baldauf noch wusste.

      Die Schmerzen hielten ihn nur für eine kurze Zeit davon ab, den Kopf zu heben. Schließlich wollte er wissen, woher die Stimme kam. Vor allem aber musste er möglichst schnell herausfinden, warum Kopf und Hals die einzigen Teile seines Körpers waren, die er spürte.

      Musik erklang. Jemand hatte wohl das Radio eingeschaltet, das im Flur auf der Anrichte stand. Es lief derselbe Sender, den seine Frau immer hörte, wenn sie von der Arbeit kam und entspannen wollte. Deutsche Schlager hatten es Martina Baldauf angetan. Ihre Helden waren Karel Gott, Howard Carpendale und Roland Kaiser. Ihren Hochzeitstanz hatten Johannes und Martina Baldauf zu Ti Amo hingelegt. Baldauf hatte mit Schlagern selbst nichts am Hut, kannte aber durch Martinas Faible fast jeden Song aus dem Effeff.

      Rocky von Frank Farian war einer der vielen Schlagerklassiker, die er abgrundtief verabscheute. Warum lief dieser Schund ausgerechnet jetzt? Baldauf wollte protestierend die Hand heben, musste aber sogleich feststellen, dass sie ihm nicht gehorchte, sondern schlaff auf dem Bett liegen blieb.

      „Sie sagte: Rocky, ich hab noch nie ein Kind bekommen. Ich will es dir gern geben!“

      Irgendjemand sang den Refrain mehr schlecht als recht mit. Ein scheußlicher osteuropäischer Akzent kam hinzu. ‚So muss es klingen, wenn Klitschko singt‘, dachte er.

      Baldauf drehte seinen Kopf in alle Richtungen, konnte aber niemanden sehen.

      „Ich sagte: Kopf hoch, Baby, lehn dich an mich. Es wird schon irgendwie gehen!“

      Ein Mann tanzte durch den Flur und spielte dabei Luftgitarre.

      „Sie sagte: Rocky, ich habe solche Angst zu sterben. Ich weiß nicht, was da noch kommt!“ Bei diesem Satz tanzte er ins Schlafzimmer und kniete sich hinter Baldaufs Kopf auf den Teppich.

      „Niemand weiß, was da noch kommt, oder?“

      Panik erfasste Johannes Baldauf. Über ihm schwebte bedrohlich das irre Gesicht eines Mannes, den er noch nie zuvor gesehen hatte und der ihm offenbar mithilfe eines Schlagertextes etwas Wichtiges mitteilen wollte.

      „Was wollen Sie?“, krächzte Baldauf, „Was haben Sie mit mir gemacht? Ich spüre meinen Körper nicht mehr.“

      Das Gesicht näherte sich Baldauf bis auf wenige Milli­meter.

      „Gibt es einen neuen Morgen in einer anderen Welt?“

      Alexej Sobukov griff hinter sich und zog einen schwarzen Koffer zu sich heran. Baldauf erkannte aus den Augenwinkeln, dass es sich dabei um einen Arztkoffer handelte.

      „Was soll das werden? Machen Sie mich sofort los oder ich …!“

      Sobukov stand abrupt auf und tanzte zu den letzten Takten von Rocky. Mit einer eleganten Drehung landete er wieder auf dem Teppichboden, diesmal jedoch fixierten beide Knie Baldaufs Kopf. Triumphierend hob er die linke Hand.

      „Oder du wirst was? Jungchen, du hast keine Ahnung, mit wem du’s hier zu tun hast. Ist aber auch überhaupt nicht kriegsentscheidend. Möchtest du eigentlich gar nicht wissen, warum ich mir ausgerechnet dich ausgesucht habe?“

      Baldauf versuchte zu nicken, schaffte es aber nicht.

      „Ich werde es dir erklären. Aber zuerst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen.“

      Baldauf hatte keinerlei Optionen. Er lag da und konnte nur hoffen, dass dieser Irre ihn nicht töten würde. Und was zum Geier hatte der Typ da zwischen seinen Fingern? Sobukovs Hand schnellte vor und befestigte eine Wäscheklammer auf Baldaufs Nase. Verzweifelt versuchte er, weiterhin normal durch die Nase zu atmen, aber es gelang ihm nicht.

      „Bitte den Mund jetzt ganz weit öffnen!“, säuselte Sobukov und griff in seinen Koffer. Mit einer winzigen LED-Taschenlampe leuchtete Sobukov in Baldaufs Mund.

      „Ui, das sieht aber gar nicht gut aus. Bitte notieren Sie: Backenzahn unten rechts kariös, Extraktion unvermeidlich. Von Zahnpflege hast du die letzten Jahre nicht so viel gehalten, nicht wahr, Jungchen?“

      Sobukov blickte sich um und schüttelte den Kopf.

      „Na so etwas. Meine Assistentin hat wohl bereits ihre Mittagspause angetreten. Aber was soll’s: Den einen Zahn kann ich mir auch selber merken. Leider sind mir die Betäubungsmittel ausgegangen, aber ich denke, so ein kleines bisschen Zahnweh wirst du verkraften können. Oder, Jungchen?“

      Baldauf wollte losschreien, heraus kam aber nur ein heiseres, gutturales Röcheln. Als Nächstes musste er den Kopf irgendwie aus der Umklammerung bekommen, um zu verhindern,


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