Der Mann mit den 999 Gesichtern. Группа авторов
eine ganze Bö […]«. Trinken sollte man solche Brühe sicher nicht – aber lesen! (Alles aus dem älteren Bierbuch 1516 Biere von 1999.)
Bei der Gelegenheit meine Legitimation: Mir hat Michael Rudolf in seinem Verlag Weisser Stein in Greiz meinen ersten und besten Band mit Zeichnungen gemacht, Anfang der neunziger Jahre; längst vergriffen: Der Blechbläser und sein Kind.
Dieter Steinmann hat als Hg. mitgemacht; und das Foto, wo wir drei die Köpfe im Fotoautomat zusammenstecken, bis es blitzt, find’ ich nimmer. Wo waren wir stehengeblieben?
Wir kommen zu den Rockern. »Cliff Gallup – Ganz wichtig, ganz wichtig.« Aber »Tony Fredianelli – Rumms. Kliwifff. Schschschsch. Ratatatat. Poch. Schepper. Rawummmmmmm. Fttttftftft. Hmhm. Ping. Ticktackticktack. Rumms. So in etwa. Platten heißen dann origineller- und überflüssigerweise Breakneck Speed (1993). Beste Mike-Varney-Klippschule eben.«
Verständlicher? Bitteschön: »John Fogerty – Jahrzehntelang wurde in dieser Republik kein Lagerfeuer ausgepinkelt, bevor nicht wenigstens zehn Lieder der Creedence Clearwater Revival (Peter Handkes Lieblingsband) von den untalentiertesten, aufdringlichsten Arschgesichtern aus der Parallelklasse auf verbogenen und verzogenen, vom Eigenejakulat verquollenen ›Klampfen‹ (allein dieses Wort ist eine rechtserhebliche Tatsache!) runtergerissen waren und nun selbst die Petra, die Christiane und die Moni nicht mehr nein sagen wollten, nur damit Ruhe ist. […] Ich kriege jetzt noch Pickel.«
Aber auch hier weiß Michi, wo Gott wohnt. Lesen Sie nach S. 109, Rory Gallagher. Zweieinhalb Seiten. Die Gitarre erzählt: »Ich bin nur eine einfache Fender Stratocaster […]. Es war der Gitarrenbund fürs Leben.«
Elvis Presley fehlt unter diesen Heiligenbiographien. Er findet sich auch nicht unter den Pilzen. Hexenei und Krötenstuhl – Ein wunderbarer Pilzführer. Michi, der Herr der …linge! Tantelfintling, Maronenröhrling, Samtfußrübling, Violetter Rötelritterling, Pfifferling … Hören Sie das Intro zum Kapitel »Makrokosmos Märzmulch«. Thema sollte eigentlich sein der »Frühlingsweichritterling, Melanoleuca cognata«. Und schon wird aus dem Kenner und Benenner Michi der Bekenner: »Vor vielen Jahren faßte ich zu einem sanften Fräuleinwunder tiefe und feste Zuneigung. Das Entwerfen von Zähnen erlernte sie damals. Sie war von geradem Wuchs, ihr Wesen klar wie das Herbstwasser. Der Klang ihrer Stimme umschmeichelte die Erde, und ihr ebenmäßiges Antlitz beschämte alle Blumen. Alle. Mein Herz geriet ganz außer mir, und mein Innerstes kam in heillose Erregung. Aber strenggenommen geht Sie das überhaupt nichts an.«
Gut – dann aber der Höhepunkt des Pilzbuches, drei Seiten »Audienz beim König«:
»Steinpilz, Boletus edulis. Unglaublich, aber wahr: Mir wurde Audienz gewährt. Nicht irgendein Stein-/Herrenpilz, nein, ›The king of the Woods‹ ließ sich höchstpersönlich herab. […] Und jetzt sehe ich ihn auch: le Jardin du Roi – der Garten des Königs. Eine Miniaturlichtung, wo zwei Fichten vorzeitig den Kampf gegen ihren Selbsterhaltungstrieb gewonnen hatten. Viermal vier Meter dürften das sein. Der Nadelteppich wird von weichen Moospolstern abgelöst. Grashalme zittern nervös im erstbesten Lufthauch, der hierher findet. Die Sonne hat ihren neuesten Farbkasten ausgepackt und hantiert verschwenderisch auf diesem Areal. Wo ein alter Stumpf des vormaligen Hochwaldes gemächlich zerbröselt, auf dem Wurzelstockpodest ist der Thron als Bühne hergerichtet. Da! Wow! Die Sommersonne richtet ihre Scheinwerfer auf IHN und läßt Seine Majestät im golden strahlenden Ornat erscheinen. Flankiert von vier furchteinflößenden Fliegenpilzwächtern. Unzählige als Pfefferröhrlinge kostümierte Lakaien tun wichtig. Er ist es wirklich. Dreißig, Quatsch!, vierzig Zentimeter hoch.«
Arbeit an »Der Blechbläser und sein Kind«, Greiz, 1993.
Dieter Steinmann, Michael Rudolf, F. W. Bernstein.
Eine festliche Zeremonie wird inszeniert, daß es nur so eine Art hat. Und versteckt noch ein neuerliches Bekenntnis: »Am neugierigsten hätte alle die Erwähnung meines Kindes gemacht. Ein Mädchen? Solle ich unbedingt mitbringen.«
Eva, die Tochter. Vorher: das ist Ina Fräuleinwunder.
Ina und Eva: Macht’s gut! Ich grüß’ Euch!
Eva und Michael Rudolf, 1994.
Michael und Ina Rudolf, 2004.
RESTLESS LEGS
Michael Rudolf
Ungehemmte Motorik wird bei Kindern scherzhaft als Zappelphilipp bezeichnet. Wie aber ist das bei Erwachsenen?
Kennen Sie das nicht auch: Bei längeren Zugreisen, während eines Vortrages, in der Kirche, im Kino oder beim Abendgebet entwickeln Ihre Beine eine rätselhafte Unrast, kaum während des normalen Tagesablaufes, erst bei Ruhe. Die unerklärliche Qual wird zum Einschlafhindernis, als wären alle Muskeln voller Ameisen. Eine Mischung aus Muskelkater und -krämpfen, die Sie zwingt, wie der Leibhaftige auf und nieder zu springen.
Und wie heißt dieses Syndrom? Richtig. Wittmaack-Ekbom-Syndrom. Oder auch »restless legs«.
Was hilft? Eigentlich nichts. Versucht wird es mit Beta-Blockern, kalten Fuß- und Beinbädern, elastischen Stützstrümpfen und Eispackungen. Nützlich kann auch ein Bettbügel sein, der die Decke von den Beinen fernhält.
In Würde älter werden? Fuck off!!!
Kowalski 6/1993
WIE MICHAEL RUDOLF EINMAL VORM FALSCHEN UTOPIA WARNTE
Jürgen Brömmer
Im Hochsommer 1994 hatte Direktor Gotthard Brandler zur Triennale für Karikatur, Cartoon und komische Zeichnung geladen. Zur Eröffnungsfeier war es ihm mit der Hilfe von Dieter Steinmann gelungen, alles, was in der Zeichenkunst wenn nicht Rang, so doch wenigstens Namen hatte, für drei Tage in das thüringische Städtchen zu locken.
Die Ausstellung selbst war schon eine bemerkenswerte Leistung, waren hier doch erstmals im größeren Rahmen west- und ostdeutsche Künstler gleichermaßen beteiligt: seriöse Karikaturisten, die Bärte wie Kastenbrote vor sich trugen, neben lustigen Nonsenszeichnern. Zum denkwürdigen Erlebnis wurde die Triennale schließlich durch den Umstand, daß Direktor Brandler mit der Landespolitik ein großzügiges Budget ausgehandelt hatte, mit dem die ganze Bande zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung für ein langes Wochenende komfortabel untergebracht und anständig ausgehalten werden konnte.
Auch ich, der lediglich ein kleines Faltblatt mit Zeichnungen des Münchner Miniaturisten Steffen Haas hergestellt hatte, durfte dabeisein! Der kluge Direktor wußte: Man gebe jungen Menschen freie Unterkunft und kostenlose Mahlzeiten, und quasi automatisch wird der Geist der Utopie belebt. Und so wurde Greiz an einem milden Augustwochenende im fünften Jahr nach dem klanglosen Untergang des Realen Sozialismus zum Sonnenstaat, wo man sich bei thüringischer Hausmannskost, Bier und Wein flugs an die Menschwerdung machte.
Eine geistreiche Redensart gab die andere, unterbrochen nur vom merkwürdigen Gesang eines Berliner Glossenautors, der zwar nicht zeichnete, den der großzügige Gotthard Brandler aber zum Zechen einfach mit eingeladen hatte. Man verstand sich prächtig, und an den Abenden wurde auch