Der Mann mit den 999 Gesichtern. Группа авторов

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mit namhaften Autoren, Illustratoren und Zeichnern auf dem Gebiet der Satire zu berichten. Gerade Zeichner wie F. W. Bernstein, Eugen Egner, Achim Greser & Heribert Lenz, Kriki, Nel, Yvonne Kuschel oder Nerling sollten ja bald auch für die Greizer Karikaturensammlung Satiricum von großem Interesse werden.

      Dankbar bin ich Michael, daß er von Anfang an tatkräftig mit dabei war, dem Satiricum neue Wege zu ebnen und vielfältige Kontakte herzustellen. So auch im Spätherbst 1992 auf einer Tagung im Sommerpalais mit Karikaturisten, Ausstellungsmachern und Galeristen aus der gesamten Bundesrepublik. Bei dieser »Ideenkonferenz« ging es darum, die Möglichkeiten zu erörtern, unter den gewandelten gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen in Greiz wieder zentrale Karikaturenausstellungen zu veranstalten.

      Von den Teilnehmern wurde damals empfohlen, die Arbeit auf dem Gebiet der Karikatur neu aufzunehmen und für 1994 eine erste gesamtdeutsche Karikaturen-Triennale zu planen. Zuvor sollte jedoch erst einmal die Greizer Karikaturensammlung mit ihren historischen Schätzen möglichst bundesweit bekanntgemacht werden. Dieser Empfehlung folgend, wurde eine Ausstellung erarbeitet, die in zahlreichen Orten der alten Bundesländer gezeigt werden konnte. In enger Kooperation mit dem Verlag Weisser Stein erschien dann im Juni 1994 der repräsentative Ausstellungskatalog Drei Jahrhunderte Satire aus dem Sommerpalais Greiz.

      Ende August 1994 konnte schließlich die erste Triennale Greiz eröffnet werden, die einen aktuellen Überblick über die Tendenzen und Entwicklungen auf dem Gebiet von Karikatur, Cartoon und Komischer Zeichenkunst vermittelte. Der großformatige und anspruchsvoll angelegte Ausstellungskatalog mit eigens angefertigten Einbandzeichnungen von F. W. Bernstein und einem Frontispiz von Eugen Egner erschien wiederum, von Michael engagiert betreut, im Verlag Weisser Stein.

      Wie schon beim Katalog Drei Jahrhunderte Satire lagen die mustergültige Gestaltung und die Typographie in den bewährten Händen von Friedrich Forssman. Diese Publikation sollte der bisher schönste Triennale-Katalog bleiben. In den späteren Jahren war eine solche Zusammenarbeit aus vielerlei Gründen nicht mehr möglich. Insbesondere hatten Verlag und Museum sich mit einem stetig enger gesetzten finanziellen Rahmen auseinanderzusetzen.

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       Zeichnung: Steffen Haas/Gunter Hansen.

      In der Folgezeit wurden unsere Begegnungen sporadischer, und Michael widmete sich zurückgezogen fast ganz seiner eigenen umfangreichen und anspruchsvollen Publikationstätigkeit. Dabei wußte ich aber von seiner zunehmenden psychischen Belastung, die ihn schließlich auch von Ausstellungseröffnungen fernhielt. Zuletzt trafen wir uns anläßlich der Gedenkausstellung für Manfred Bofinger am 14. Oktober 2006. Nach der Vernissage gab es abends noch ein geselliges Beisammensein, und Michael war später dazugekommen. Er wirkte gelöst und entspannt und sprach angeregt davon, nun im Keller seines Hauses mit dem Brauen eines eigenen Bieres zu beginnen. Der damals gewonnene Eindruck sollte sich jedoch als trügerisch erweisen. –

      Und doch glaubt man zuweilen, daß dies gar nicht wirklich und Michael noch da ist. Vor dem geistigen Auge sieht man ihn immer noch in der Ferne auf seinem Fahrrad ums Häusereck biegen, stets in Eile und auf dem Kopfsteinpflaster kräftig in die Pedale tretend.

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       Zeichnung: Volker Kriegel.

      AUS DEN KOLONIEN (3) – LEBENSLAUF EINES UREINWOHNERS

       Michael Rudolf

      Am Anfang steht die Niederkunft meiner Mutter. Da diese von dem krankhaften Wahn besessen ist, Lehrerin werden zu müssen (so was nimmt man schließlich nicht ernst), geht das Erziehungsrecht an den Vater. Der leitet selbiges an seine Eltern weiter, da ein Psychologiestudium in Aussicht ist.

      Ich bin viel im Wald. Keine Kinderkrankheiten, dafür 5 x Loch im Kopf und 1 x Krätze über den ganzen Leib. Ich spiele mit Kindern, die Dialekt sprechen.

      Aufzucht in streng katholischem Haushalt. Großvater hätte wohl die Zeit gelesen, in Ermangelung dieser eben nur Hans Küng und Fouqué. Großmutter mit Offiziersmentalität, laut, viele Schläge (vor allem ins Gesicht), aber in der Caritas engagiert wie nur was. Ich räche mich bisweilen, indem ich mir vom Munde abgesparte Hostien versteigere oder mich an Meßwein (Insel Samos) berausche.

      Schule: marginale Rolle bei meiner Identitätsfindung. Suche zunächst Verbündete. Till Gutmann teilt meine politischen Auffassungen, die sehr stark in Richtung Anarchosyndikalismus tendieren. Nur noch wenige Theophanien. Der Rest der Schülerschaft neidet uns unseren Geist aufgrund früh keimender Dumpfheit. Die angezettelten Kolloquien mit dem Lehrkörper (zu unserem Weltbild) verlaufen unbefriedigend. 2 x Suizid angedroht (mit rostigem Messer). Zwischendurch im Alter von 6–7 Intermezzo bei o. g. Mutter. Das wirft mich in meiner politischen Arbeit enorm zurück. Ergebnis: erneutes Bettnässen, Weinkrämpfe, Phobie gegen Bergarbeiterstädte und deren Bevölkerung.

      Es folgen gewalttätige Spiele auf dem Hainberg (Bandenterritorium, dessen Gebiet ständiger Neuverteilung unterliegt). Dazu Schlachten ohne letalen Ausgang. Ich lasse mir jetzt die Haare über die Ohren wachsen, da ich berühmt werden möchte, also das Abitur machen. Grausiges Gymnasium mit größtenteils noch grausigeren Lehrern. Trage dort meine berüchtigte breitmaschige rehbraune Cordhose (bis knapp unter die Knie), ohne Erfolg. Lerne das Bier kennen. Schließe Freundschaft mit Bernd Dittrich, da ich erkenne, daß auch er berühmt werden wird. Mein zu Zwecken der Indianerimitation getragenes fettiges Langhaar reizt Lehrkörper wie Schülerschaft zu unreinen Äußerungen und sogar Drohungen. Eine Schuppenflechte kuriere ich durch triefende Schwefelsalbe. Unsere Combo (voc, git, git, dr) darf nur zweimal proben.

      Esse Würste und trinke viel Bier, bin daher kerngesund. Meine Termine mit dem Meinungsforschungsinstitut MfS enden unbefriedigend, schicke sie also fort. Auch die Flucht nach Polen zur Schwarzen Madonna in Czenstochau endet kurz nach dem Durchschwimmen der Neiße. 2 Tage Haft. Und: Beziehungen zu Polen gestört.

      Ich gründe mit Gleichgesinnten die Partei der Radikalen Mitte (1977). Bei der Parteiarbeit lerne ich die Frau kennen. Wir leben im Konkubinat.

      Dann kommt der Wehrdienst. Wenig schön und noch weniger lehrreich (Sprengstoffausbildung ungenügend). Hauptmann Schoknecht spricht: »Nehmen Sie das Handgranatenwurfkörper in der Hand, was Sie Wurfhand sind!« Meine weiteren Korrespondenzen mit den degenerierten Beutelschneidern, die sich als Offiziere ausgeben, enden zumeist in kleinen Zimmerchen, die ich allein bewohnen darf und deren Gitter das Eindringen von Fremden verhindern sollen, da sie meine Meditationen stören könnten. Nur Thomas Müller verhilft mir zu angemessener Geltung im Anwesen.

      Ich beschließe, Jurist zu werden. Zu diesem Zweck Studium in Halle. Die Professoren stört, daß ich alles schon weiß. An den Unterseiten der Bänke befinden sich Minirasenmäher in hoher Zahl mit ohrenbetäubendem Lärm, der mich am Schlaf hindert. Die etwas zu hagere Ines Leuchte (verh. Gräbner) sagt mir ständig falsch vor. Ich boykottiere daraufhin den Studienbetrieb endgültig nach dem zweiten Semester. Die Öffentlichkeit ist darüber noch nicht zu einer einheitlichen Meinung gekommen. Manche meinten, die Straßenbahnen jagten mir Angst ein, und andere machten die Mißgunst der Dozenten gegen mein bahnbrechendes Gedankengebäude (enthalten in meiner ersten und letzten Jahresarbeit im Fach Philosophie) für den Entschluß verantwortlich.

      Ich beschließe, Brauereidirektor zu werden. In der Firma probieren wir an einem Faßabfüllautomaten das Abtrennen von Gliedmaßen. Bei mir klappt es (Fingerkuppe rechter Ringfinger). Ich entdecke ein Hinweisschild: Amerika 3 km. Das stellt sich aber als Irrtum heraus. Nicht der einzige in meinem Leben.

      Meine Mitgliedschaft in der Partei der Radikalen Mitte ruht. Unsere Wohnung hat jetzt einen Fußboden, an den wir uns schnell gewöhnen. (Es geht also auch mit.) Nebenbei entwerfe ich flammende Reden politischen Inhalts. Thomas M. inzwischen verstorben, Bernd D. berühmt und beim Fernsehen, Till G. irgendwo in der Weltgeschichte. Gebe Politik als Quelle von Ruhm und Reichtum wieder auf. Derweil revoltieren die hiesigen Eingeborenen.

      Die Bierfabrik läßt


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