Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Margarete Schneider

Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider


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zu einer Handlung, die sie im Innersten ablehnen, genötigt fühlen. Der Pfarrer denkt derweilen an 1. Korinther 11,27-29: »Wer nun unwürdig von dem Brot isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer so isst und trinkt, dass er den Leib des Herrn nicht achtet (oder: nicht unterscheidet), der isst und trinkt sich selber zum Gericht.« P. S.s Anspruch an die Wahrhaftigkeit seines Tuns wird von Jahr zu Jahr tiefer verletzt. Er fühlt sich schuldig, der Zeremonienmeister eines die jungen Leute verderbenden religiösen Theaters zu sein. Immer wieder hat er versucht, den Presbytern seine Bedenken verständlich zu machen. Ohne Erfolg. Ihnen ist die kirchliche Sitte wichtiger als die Gewissensnot des Pfarrers, die sie nicht verstehen.

      In dieser seiner Not ändert er kurz vor Weihnachten 1933 die Abendmahlssitte. Das heißt – so sein Bericht an den Superintendenten:102 »Am 3. Advent forderte ich die Gemeinde auf, den 3. Adventsgottesdienst der Woche am Mittwoch als solchen Bekenntnisgottesdienst zugleich zu beachten, und lud zu einer anschließenden freiwilligen Abendmahlsfeier, die adventlichen und bekenntnismäßigen Charakter tragen sollte, ein. Zugleich setzte ich … das seitherige Weihnachtsabendmahl der Jugend aus und lud die Jugendlichen, die das Bedürfnis nach weihnachtlichem Abendmahlsgang hätten, auf Mittwochabend ein. Weil ich mir vom Presbyterium nur Hemmung und keine Förderung versprechen konnte, tat ich es allein auf meine Verantwortung. Hinterher bat ich das Presbyterium um sein Einverständnis. Das bekam ich nicht, sondern das Presbyterium … erhob Einspruch …« Er habe zu einer Gemeindeversammlung mit Aussprache über die örtliche Abendmahlssitte eingeladen. Viele Männer und Jugendliche seien gekommen. »Ich fand Widerspruch und Zustimmung … Als mir dann in einer eindringlichen Mahnung zum Bekenntnisgottesdienst im Vergleich mit den Massenabendmahlen das Wort ›Hammelherde‹ entfiel, benutzten es die Böswilligen zum Protest zum Weggehen. Der größte Teil blieb im Saal, und wir hatten hin und her noch eine fruchtbare Aussprache …«

      Warum diese Änderung? Dem Superintendenten gegenüber erinnert P. S. daran, »dass in den sieben Jahren, die ich hier bin, die Abendmahlsgottesdienste mit ihrer starren Sitte, mit den vor dem Tisch des Herrn zahlreich auftauchenden Gesichtern derer, die sonst die Kirche und Gottes Wort nicht brauchen, die größte Last gewesen sind und ich dann meinen Dienst immer mit einem Anstoß meines Gewissens verrichtet habe, weil die Sitte allzu sehr die Wahrhaftigkeit und die Ehrlichkeit erstickte, ich auch keines Segens dieser Abendmahlsfeier froh werden konnte. Dem unwürdigen und unbußfertigen Besuch des Abendmahls musste ein Halt zugerufen werden, beziehungsweise die Gemeindeglieder mussten vom Zwang der Sitte befreit werden.« Nicht umsonst habe ein früherer Pfarrer von Hochelheim in der Kirche gesagt, es gäbe kein verlogeneres Wort als das »Ja« der Beichte beim heiligen Abendmahl.

      Nach dem Mahl in neuer Form sei er froh gewesen, »dass wir den Abendmahlsgottesdienst und das Abendmahl so zu einem Bekenntnis geformt haben. Ich war froh, dass hier der Durchbruch durch die starre und zur Unsitte gewordene Abendmahlssitte erfolgt war, die den Sinn und die Bedeutung des Abendmahlsganges nicht mehr deutlich werden ließ.« Er versichert: »Ich konnte nicht anders. Der Anfang ist nun gemacht. Zurück kann ich nicht mehr. Ich bitte Herrn Superintendenten um freundliches Verständnis oder gar Billigung meines Handelns. Wir möchten Gemeinde werden in dieser entscheidungsschweren Zeit, in der uns vielleicht schwere Stürme bevorstehen.«

      Vier Presbyter aus Hochelheim beschwerten sich wegen des Vorgehens ihres Pfarrers in der Frage der Abendmahlssitte beim Konsistorium in Koblenz.103 Sie schilderten die Sitzung des Presbyteriums, die eine Stunde vor der Gemeindeversammlung stattgefunden habe. Der Pfarrer habe sie mit seinen Argumenten nicht überzeugt. Er sei plötzlich von ihnen weggeeilt. Er achte seine neuen Presbyter nicht, habe einen eigensinnigen Charakter. »Wir, die Unterzeichneten, erklären, dass unter solchen Umständen unsere Mitarbeit unmöglich erscheint, und bitten um schleunigste Abhilfe.«

      Hier einige Sätze aus der Stellungnahme, die P. S. auf dem Dienstweg dem Konsistorium zukommen ließ:104 Er schreibt, die Vorschriften der Kirchenordnung seien ihm wohl bewusst gewesen, es müssten doch aber auch nach der Meinung der Kirchenordnung Herkommen und Sitte nicht unabänderliches Recht sein. »Es muss in einer evangelischen Gemeinde das Recht bestehen, eine offenbar zur Unsitte gewordene Sitte, die Gottes Anspruch und Forderung nicht mehr deutlich werden lässt, nach dem höheren Recht eines in Gott gebundenen Gewissens und an die Schrift gebundenen Handelns zu brechen.« Er habe »der Heiligkeit der Abendmahlsfeier, der Möglichkeit ernster Selbstprüfung für alle Abendmahlsgäste, zu der uns die Schrift ermahnt, und dem Abendmahl als einem freiwilligen Bekenntnisakt zu unserem Herrn … Geltung verschaffen wollen. Das christliche Gemeinwesen und die rechte Auffassung vom heiligen Abendmahl muss zerstört werden, wenn unversöhnliche Nachbarn und solche Gemeindeglieder, die in argen Gerichtshändeln liegen, wenn diejenigen, die sich grober Unsittlichkeit schuldig gemacht haben und dafür bekannt sind, ohne Einspruch des Presbyteriums und ohne Kirchenbuße zum heiligen Abendmahl zugelassen werden.« Die Dorfsitte ersticke den Ernst der Verantwortung und die Freiwilligkeit, die doch jedes Bekenntnis bei sich haben müsse, vollkommen. Dass Jesus sein Mahl auch mit Judas gefeiert habe, das überzeuge ihn nicht als Rechtfertigung der Jahrgangsabendmahle. Denn Jesus habe beim Mahl ja doch den Verräter bezeichnet. »Höchstens könnten wir uns schuldig machen, dass wir durch diese der Sitte folgende, aber schriftwidrige Art der Abendmahlsfeier noch Judasse großziehen, und das will unser Heiland sicher nicht.«

      Da er wohl weiß, dass dieser Konflikt die Frage aufrollen wird, ob er in der Gemeinde als Pfarrer noch tragbar sei, weist er zum Schluss darauf hin, »dass das gottesdienstliche und kirchliche Leben der Gemeinde durchaus nicht gestört erscheint, Gottesdienste und Frauenhilfe sind besser besucht als früher, ein Mütterschulungskurs in der kommenden Woche wird voll besetzt sein und eine Volksmissionswoche Mitte Februar erwarten wir mit Freuden. Ich habe die Überzeugung, dass ohne Eingriffe von außen unser Gemeindeleben sich aufs Beste ordnen wird.«

      Die rechte Stellung zu den Sakramenten nicht ohne Kirchenzucht!

      Während des Kampfes der Bekennenden Kirche (BK) im Dritten Reich bekam die Kirchenzucht, besonders als »Lehrzucht«, bei den Auseinandersetzungen mit den Irrlehren der Deutschen Christen (DC) neue Bedeutung. Aber auch die Frage, ob bei mutwilliger Zerstörung der Bekennenden Gemeinden oder bei brutalem, menschenverachtendem Lebenswandel von Kirchenmitgliedern nicht Kirchenzucht geübt werden müsse, hat da und dort bekennende Christen beschäftigt. Oft unterblieb die Diskussion aber auch, weil Pfarrer und Gemeindeälteste den Konflikt mit den Parteigewaltigen scheuten.

      In P. S.s pfarramtlicher Praxis spielte die Kirchenzucht durchaus eine Rolle. Seine Ausübung der Kirchenzucht hat sowohl in Hochelheim als auch besonders später in Dickenschied und Womrath die Konflikte verschärft, die seinen ferneren Lebensweg bestimmen sollten. Umso wichtiger ist es, dass der Leser sich mit der Frage befasst, was Kirchenzucht in den evangelischen Kirchen bedeutet und wie P. S. sie verstanden hat.105

      Vater Schneider hielt in seiner Amtszeit streng gesetzlich darauf, dass der Rest von Kirchenzucht, der sich durch die Jahrhunderte erhalten hatte, geübt wurde. Es handelte sich dabei um Verstöße gegen das sechste Gebot. Brautpaare, die ein Kind erwarteten, wurden ohne Brautschmuck und ohne jede Feierlichkeit in der Studierstube getraut. Eine große häusliche Feier war nicht erwünscht. Stille Trauungen106 waren am Werktag, festliche Hochzeiten immer am Sonntag. Es kam auch vor, dass der Pfarrer vor der Taufe eines Kindes sagte: »Die Eltern dieses Kindes haben Gott und die Menschen belogen«107, u. a. m. – Paul war von den ersten Tagen seines Pfarramts an gezwungen, sich um die rechte Ausübung der Kirchenzucht zu mühen. Er wurde förmlich unter Druck gesetzt – durch Unterschriften des Presbyteriums, durch einen »Streik« eines Brautpaares – am Vortag seiner Amtseinführung! –, die alte Form zu lockern. Er konnte auch aus eigener Überzeugung des Vaters Kurs nicht halten. – »Zu meinem Empfang warteten statt der Kutsche am Bahnhof gleich vier Amtshandlungen, darunter zwei nicht ganz erquickliche: eine Trauung, bei der ich den letzten Rest von Kirchenzucht in Gestalt der Stilltrauung einstweilen fahren ließ, indem ich sie am Sonntag feierlich in der Kirche vornahm, was mir in Anbetracht des darauffolgenden lärmenden Festes wieder leidtun wollte, und dann die Beerdigung eines Selbstmörders aus unserem Studentenkreis, bei der ich nun umgekehrt mich an die kirchliche Ordnung bindend


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