Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf

Und in uns der Himmel - Johannes Albendorf


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herabzufließen begannen, sahen sie aus wie Freudentränen. Ich betrachtete mich im Spiegel und sah einen athletischen, jungen Mann, der studieren würde, viel Sport trieb - und irgendwann heiraten, eine Familie gründen und seine blauen Augen und sein blondes Haar weitervererben würde - so würde jedermann und jederfrau denken oder hoffen – Irrtum! Jahrelanges Schwimmen und Laufen hatten zwar meinen Körper geformt und ich fühlte mich wohl in ihm - dennoch suchte er keine menschliche Ergänzung und ich litt nicht darunter, hatte es selten auch nur bedauert.

      Ich rubbelte mich trocken und begann auszupacken, schob als erstes meine Bücher in die Regale, geordnet nach Sachgebieten und persönlicher Vorliebe – Theologie, Spiritualität, Philosophie und Psychologie, Kunst- und Kirchengeschichte, einiges Belletristisches.

      Wäsche und Kleidung kamen in den Schrank, die Waschutensilien in das immer noch von Tropfen übersprühte Bad und die leeren Koffer unters Bett. Dann zog ich mich an – und wartete.

      Es war so still. Man könnte meinen, allein im Haus zu sein. Um sechs Uhr ging ich in die Seminarkirche.

      III.

      Jahre später hält mein Zug wieder in Burggraf. Ich starre aus dem Fenster. Du bist längst nicht mehr dort, aber ich reise dennoch zu Dir. Wir haben in dieser Stadt unsere Spuren hinterlassen, auch wenn außer uns niemand mehr darum wissen kann.

      Warum aber schickst du mir diese Einladung, nachdem ich jahrelang nichts von dir gehört habe? Zugegeben, es war meine Schuld, dass wir keinen Kontakt mehr miteinander hatten. Aber dennoch: Willst du mich an deiner Freude teilhaben lassen? Oder mir zeigen, was ich verpasst habe? Das ist unnötig, ich weiß es selber.

      Und ich weiß, dass du es weißt. Also hast du es wohl einfach gut gemeint.

      Hast du?

      Durch das Zugfenster sehe ich in der Ferne die Türme des Doms wieder und weiß neben ihnen das Seminar.

      Ich sehe mich wieder in der Seminarkirche sitzen, damals, an meinem ersten Abend als Student, in dieser Kirche, in der das Licht tanzte – ohne dass elektrische Lampen eingeschaltet werden mussten. Die beiden Fensterfronten, die eine in bläulichen Tönen gehalten (»die Nacht«), die andere in Rot (»der Tag«), bündelten ihre Strahlen zu einer zartvioletten Flamme in der Mitte des Raumes.

      Ich staunte und nahm kaum wahr, wie sich die Kirche auf geschäftige Weise zu füllen begonnen hatte, so mystisch dieses Leuchten. Das Herz des Beters verging in diesem Licht, alle Wünsche und Anliegen wurden von ihm eingesogen und verwandelt.

      Gegenüber von mir nahmen zwei Studenten Platz, offensichtlich gehörten auch sie zu den Neuen, so sehr staunten sie angesichts des Lichts. Der links Knieende vertiefte sich sofort ins Gebet. Seine Haare flossen bis zu seinen Schultern und unterstrichen jede seiner Kopfbewegungen. Er trug einen peinlich genau gestutzten Kinnbart und seine grünen Augen waren von einem melancholischen Glanz durchzogen. Jede Gefühlsregung seines Gebets fand im Mienenspiel seines schön geschnittenen Gesichts einen Widerhall.

      Der aschblonde, streng gescheitelte Nachbar rechts von ihm hatte zwar pflichtschuldigst seine teigigen Hände gefaltet, aber seine hellgrauen und wimperlosen Augen huschten unruhig hin und her und saugten alles begierig in sich auf. Auf seine gedrungene und überaus rundliche Gestalt war ein Gesicht gepropft, in der die bleiche Haut im starken Kontrast zu seinen tomatenroten Bäckchen und der ebenfalls geröteten Nase stand.

      Als der Langhaarige sein Gebet beendet hatte, wurde er sogleich in ein laut geflüstertes Gespräch gezogen. Die ersten Fragen schien er noch mit höflicher Freundlichkeit zu beantworten, doch alsbald zog er seine Stirn unwillig zusammen und schwieg. Was sein Nachbar nicht gelten lassen wollte, er riss seinen Mund mit den spitzen, kleinen Zähnchen weit auf und wollte ihn durch dezente Ellenbogenstöße in die Seite zum Mitkichern animieren.

      Es läutete und die Vesper begann.

      Die Vesper wurde mit einer Zeit der Stille beendet. Mein Magen unterbrach wiederum die Stille mit einem vernehmlichen Knurren und um mich herum lachten alle. Also ging es zum Refektorium, dem Speisesaal mit wuchtigem Stuck an der Decke und Flügeltüren, deren hoch angebrachte Klinken mir das Gefühl gaben, wieder ein kleines Kind zu sein.

      Die gesamte Belegschaft des Seminars begann sich um das Buffet zu gruppieren. Sogleich verstummte alles Scharren und Tuscheln und ein erwartungsvolles und hungriges Schweigen legte sich über die Schar.

      Anton Kotulla trat vor: »Meine lieben Brüder und Schwestern, ich will nicht lange reden!«

      Ein Seminarist neben mir verdrehte wissend die Augen und ein anderer schien sich daran zu machen, mit seiner altmodischen Taschenuhr die Zeit stoppen zu wollen. Verstohlen sah ich mich nach den genannten »Schwestern« um und entdeckte vier fröhliche Nonnen des Carl Borromäus-Orden; offenkundig kümmerten sie sich um die Belange des Seminars.

      »Da steht ihr hier, fromm wie die Erstkommunionkinder ...«

      Ich war überrascht über diese allzu gemütvoll erscheinende Wortwahl und ließ meine Blicke über all die Leckereien wandern, entdeckte Salate, Antipasti, warme Speisen und Desserts.

      Nach einer mit allerlei Ermahnungen und Wehklagen gespickten halbstündigen Rede wurde ein Glas Sekt kredenzt, welches mir sofort zu Kopf stieg. Endlich eröffnete Kotulla das Buffet und ich setzte mich mit einem vollbeladenen Teller an einen der langen Tische. Zu spät bemerkte ich den kugeligen Mitbruder in spe, er reichte mir, ohne sein geräuschvolles Kauen zu unterbrechen, seine Hand: »Salve, mein Name ist Alexander. Alexander Milz.«

      Unter dem Tisch wischte ich unauffällig meine Hand ab.

      Er plapperte und kaute weiter: »Na, wenn das Essen immer so ist, lässt es sich hier ja aushalten. Eigentlich wollte ich in Rom studieren. Aber hier gibt es ja auch Frutti di Mare!«

      Ich lachte gezwungen (ich hasse Smalltalk), wodurch Alexanders Enthusiasmus jedoch zu meinem Erstaunen unverhältnismäßig befeuert wurde:

      »Haha, kennst du den? Was ist eine Predigt?«

      Ich zuckte mit den Schultern. Inzwischen hatte sich auch der Langhaarige zu uns gesetzt.

      »Ein Schlafmittel für müde Christen!«, prustete Alexander und lachte mit weit aufgerissenem Mund und nickenden Kopfbewegungen. Kneternd erklang hierbei ein nicht näher definierbares Geräusch aus den Tiefen seiner Kehle.

      »Entschuldigung, Schwester!«, rief er gleich darauf einer der warmherzigen Nonnen zu. »Gehen Sie doch bitte zur Seite, ich sehe das Fenster nicht ... sonst haben wir eine partielle Nonnenfinsternis!«

      »Du willst nach Rom?«, versuchte der Langhaarige ihn zu bremsen.

      »Ja, natürlich. Ich trage sogar schon Socken von Gammarelli!«, erklärte Alexander. »Hier« - und erstaunlich behände beugte er sich vor, lupfte seine braune Cordhose und präsentierte stolz die Socken mit dem edlen Schriftzug.

      »Wow!«, kam es vom Langhaarigen mit starrer und unbewegter Miene, nur ein kurzes Aufblitzen seiner grünen Augen verriet ihn und er stach seine Gabel in ein Stück Weißwurst. Dann wandte er sich an mich :

      »Hallo, ich heiße Jeremias!«

      »Und ich Jonas!«

      »Lauter Propheten!«, kommentierte Alexander und unterdrückte erfolglos einen Rülpser.

      »Und du bist nach dem Borgia-Papst benannt?«

      Beinahe hätte er sich verschluckt. Ich widerstand der Versuchung, ihn mit aufgerissenem Mund und nickendem Kopf zum Mitlachen zu animieren. Jeremias erging es ebenso.

      Irgendwann wusste ich nicht mehr, mit wem ich über was gesprochen hatte. Es waren zuviele Eindrücke und in meinem Kopf begannen sich die Gesichter und die eventuell dazugehörenden Namen und Geschichten zu verdrehen.

      In der Nacht trat ich noch einmal auf meinen Balkon. Das Licht des Vollmonds umhüllte kühl die Kastanie im Hof, schien die alten Dächer und Mauern zu fragen, ob sein Streicheln genehm sei.


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