Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf

Und in uns der Himmel - Johannes Albendorf


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Laufbahn. Je mehr ich im ersten Jahr auf dem Seminar lernte, desto intensiver wurde mir klar, was es noch alles zu erforschen gab. Immer weitere Felder taten sich auf, überall. Es war eine Zeit des Erkundens, nicht nur im »Äußeren«, im Studium, sondern auch im »Inneren«, in mir. Ich wollte mich Gott schenken, diese Gewissheit wuchs kontinuierlich mit jedem Tag. Ich hatte keine Zweifel, nur den, ob ich es schaffen, ob ich genügen würde.

      Der Tagesablauf war streng strukturiert, was beim Studieren unglaublich half. Der Morgen begann mit der Laudes, gefolgt vom Frühstück und den Vorlesungen in der Fakultät. Im Seminar standen uns eine hervorragend sortierte Bibliothek und ein Lesezimmer mit allen wichtigen Wochenmagazinen und Tageszeitungen zur Verfügung.

      »Zur körperlichen Ertüchtigung«, wie es Kotulla mit geschürzten Lippen nannte, befand sich ein herrliches Schwimmbad im Keller des Seminars. Ich nutzte es täglich.

      Seltsam, aber wenn ich an das erste Jahr zurückdenke, dann kommen mir vor allem die Witze von Alexander in den Sinn, und ich muss noch heute, im Zug zu Dir, die Augen verdrehen:

      »Was ist eine Pastorale?«, so fragte er etwa beim Essen, den Vorgang des gabelnden Schaufelns nur für den Bruchteil einer Sekunde unterbrechend.

      Jedermann schüttelte routiniert den Kopf oder zuckte mit den Schultern.

      »Die Frau eines Pastors!«, prustete er, wobei sich zu den bereits vorhandenen Soßenspritzern um seinen Teller herum einzelne Kasseler- oder Sauerkrautpartikel drapierten.

      Und so ging es weiter: Ein Prälat? Ein katholischer Dompfaff.

      Ein Bischof im vollen Ornat? Eine Prozession auf zwei Beinen.

      Gott bewahre mich davor, jemals einen dieser Witze zum besten zu geben, und sei es nur aus Verzweiflung!

      Alexander war wie ein Vampir, der kein Blut, sondern Energie und letzte Nerven aus den Menschen saugte, und wie alle anstrengenden Menschen war er auf nicht näher beschreibbare Weise omnipräsent. Egal, wo immer ich war, ob ich im Schwimmbad meine Bahnen zog, in meinem Zimmer lernte oder sogar auf meinen Jogging-Runden – immer wieder tauchte Alexander auf und gab einen neuen Prälatenwitz zum besten, zumindest erscheint es mir im Rückblick so. Wo er diesen Unsinn nur herhatte? Ob er das wirklich lustig fand?

      Nur wenn der Erzbischof im Seminar weilte, war ich vor Alexander sicher. Dann scharwenzelte er um die ihm mehr oder weniger ausgelieferte Eminenz herum und schnappte begierig Informationen über alles und jeden auf, denn Wissen, so raunte er mir verschwörerisch zu, Wissen sei Macht.

      Einmal - da war er allerdings betrunken und hatte »Am Tag als der Regens kam« gesungen - gab er zu, eine Karriere in der Kurie anzustreben. Als ob ihn seine Gammarelli-Socken nicht längst verraten hätten.

      Inzwischen war es Winter geworden.

      Besonders befreundete ich mich mit Jeremias. Im Gegensatz zu mir empfand er den Ruf, Priester zu sein, nicht vornehmlich als Erfüllung, sondern als Herausforderung. Oft plagten ihn Zweifel und er fragte sich, ob das, was er hier tat, das war, was Gott von ihm wollte. Was, wenn das Ganze ein gewaltiger Irrtum war?

      Einmal, als wir von einem unserer langen Spaziergänge zurückkehrten, waberte ein kaltblauer Himmel über dem Domhügel.

      »Hast du eigentlich nie Zweifel?« fragte er mich.

      »Ganz selten«, antwortete ich. »Ich wollte immer Priester werden, schon als Kind … wenn man das so sagen kann.«

      »Ist nicht dein Ernst!«

      »Doch! Ich habe schon als Kind das Segnen geliebt. Die Priester haben mich sehr beeindruckt, wie sie den Segen vom Himmel auf die Erde brachten. Für mich drückten diese schönen und würdevollen Handbewegungen wirklich etwas aus und waren keine Attitüde. Umso größer aber mein Erschrecken, als unser Pfarrer in einer Predigt sagte, ein Mangel an Segen wirke auf den Menschen wie ein Mangel an Sonne und an Liebe, ja sogar an Vitaminen!«

      »Das hat er gesagt? Mit den Vitaminen?«

      »Ja, das verstand doch jeder – sogar ich als Kind. Denn Vitamine stecken in Orangen und wenn ich die nicht esse, würde ich krank werden, so hatte ich es ja schon im Kindergarten gelernt.«

      »Bestechend.«

      »Ja, nicht wahr? Außerdem hatte ich gelernt, dass der Segen, quasi wie die Orangen, Gutes tun oder Wunder bewirken soll, für die Menschen und für die ganze Schöpfung. Also musste hier gehandelt werden!«

      Wir lachten.

      »Hey, es war eine Kinderpredigt! Also, ich bin vollkommen ernsthaft durch die Straßen gezogen und habe alles gesegnet, was mir unter die Augen, beziehungsweise Finger gekommen ist. Nichts und niemand war vor mir sicher, weder Mensch noch Tier.«

      »Und was haben die Leute gesagt?«

      »Einige waren ganz freundlich, sogar gerührt, aber einige waren auch richtig böse. ‚Scheiß-Katholen‘, haben sie mir hinterher gerufen. Selbstverständlich ließ ich mich nicht beirren! Und die Alten und die Tiere schienen auf geheimnisvolle Weise zu verstehen.«

      Jeremias blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an.

      »Und der Zölibat?«, fragte er unvermittelt.

      Über dieses Thema hatten wir noch nie gesprochen, auch im Seminar wurde es - bis zu diesem Zeitpunkt – überaus selten angeschnitten, allenfalls in dezenten Witzen oder in Worten wie »Mysterium«, »Erhabenheit« und »Geschenk«.

      »Ja, du meine Güte«, sagte ich, »in jeder Kultur gibt es Zölibatäre, bei den Urvölkern, bei den Buddhisten … Nur hierzulande wird darum so ein Brimborium gemacht.«

      »Das ist sicher richtig. Aber wie gehst du persönlich damit um? Ich meine, der Regens behauptet, sogar Selbstbefriedigung sei sündhaft. Doch, das hat er mir gesagt, ich habe ihn gefragt. Und früher, wenn ‚es‘ ihn gejuckt hat, hat er immer einen Apfel gegessen oder eine kalte Dusche genommen!«

      »Dann müssten sie ja eine Obstplantage im Innenhof anlegen! Scherz beiseite, das ist doch ein etwas vorkonziliares Priesterbild. Mir fehlt einfach nichts. Ich will den Zölibat nicht nur akzeptieren, sondern ihn wirklich wollen.«

      »Hast du es schon einmal getan?«

      »Logo ...«

      Es war mir, für mich überraschend, nun doch etwas peinlich, so direkt gefragt zu werden. Einst hatte ich eine Freundin gehabt, wenn auch nur für ein oder zwei Jahre. Wir hatten geknutscht und uns gestreichelt und so weiter und ich hatte alles ganz nett gefunden, es aber nicht wahnsinnig nötig gehabt ... ich weiß nicht, wie ich das anders ausdrücken soll.

      Jeremias drückte die Zigarette aus und wir gingen ins Seminar zurück.

      »Wir können über alles reden. Aber das weißt du ja«, sagte er.

      Ich nickte.

      V.

      Auch Jeremias würde zu Deiner Segnung kommen. Wir hatten immer noch Kontakt und sahen uns hin und wieder – soweit der Terminplan eines Priesters dies eben zulässt. So wie ich war auch er Priester geworden, geriet aber mit dem Zölibat zuweilen in kleinere Konflikte; sie hatten sich im Laufe der Jahre nicht verringert. Früher hätte ich es nicht für möglich gehalten, aber in den Gemeinden gibt es durchaus Frauen, die es darauf anlegen, einen Priester zu knacken - und sitzt ein Priester erst einmal in seiner Gemeinde fest, ist er diesen Frauen ausgeliefert wie Benedikt XVI. der linksliberalen Presse.

      Zum Glück gab es neben dem Regens Kotulla auch andere Lehrer im Seminar. Unser Spiritual hieß Pater Seliger – es hätte keinen treffenderen Namen für ihn geben können. Er war für mich der lebende Beweis dafür, wie der priesterliche Weg zur menschlichen Vervollkommnung führen und wie ein vom Priestertum durchwirktes Leben gelebt werden kann. Aufmerksam und wohlgesonnen behielt er einen jeden von uns im Auge, drängte seine Hilfe aber nicht auf.

      Er riet mir, mich nicht zu sehr in den Büchern zu vergraben, nicht zu ehrgeizig zu sein,


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