Exentanz. Stephan Steinbauer

Exentanz - Stephan Steinbauer


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ließ nur ein unwirsches »Jaja« vernehmen, dann erhob sie sich und inspizierte das Bad. Es enthielt ein schmales Waschbecken, eine Toilette und eine Dusche mit einem geblümten Vorhang aus Kunststoff. Der Spiegel über dem Waschbecken wies blinde Flecken auf. Ein feuchter Schimmelgeruch lag in der Luft.

      »Oh je!«, seufzte sie nur und sah Joseph vorwurfsvoll an.

      Er fühlte sich wie ein geprügelter Hund. Er schämte sich, seinem Mädchen nichts Besseres bieten zu können. Sie hatte ja Recht. Da verzichtete sie schon auf die Luxusreise mit ihrer Mutter nach Südafrika und dann mutete er ihr diese Behausung zu, die ja noch nicht einmal einen einzigen Stern in der Hotelbewertung aufweisen konnte. Als Student hatte ihm das genügt. Da kam es nicht auf den Komfort des Badezimmers an, da reichte ein vernünftiges, nicht zu schmales Bett. Und die Mädchen, mit denen er dieses Bett teilte, hatten auch andere Prioritäten, als eine Duschkabine mit Regenwaldbrause.

      Josefine begann, ihren Koffer auszuräumen. Die Fächer des schmalen Schranks waren bald zur Gänze belegt mit ihren Kleidern, Hosen und Hemdchen. Die Unterwäsche musste sie schon mühsam dazwischen quetschen. Dabei war ihr Koffer erst zur Hälfte geleert. Sie seufzte resigniert, legte ihren Kulturbeutel aufs Bett, schloss den Kofferdeckel und stellte das Gepäckstück neben den Schrank. Dann trug sie den Kulturbeutel ins Bad.

      »Hier gibt’s ja nicht einmal einen Haken an der Wand«, rügte sie enttäuscht, kam wieder in den Schlafraum und legte den Beutel auf den Tisch. Ihre Geduld, das erkannte Joseph, neigte sich dem Ende zu. Er musste dringend ein besseres Quartier finden. Aber jetzt hieß es, die erste Nacht heil zu überstehen.

      Joseph ließ die Schließen seines Koffers aufschnappen, holte sein Waschzeug heraus und ging stumm ins Bad. Er putzte sich die Zähne, warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht und suchte ein Handtuch. Der wacklige Handtuchhalter war leer. Oh Gott, wenn Josefine das auch noch bemerkt, dachte er und holte rasch sein Badetuch aus dem Koffer.

      Also so hatte sich Josefine diesen Urlaub nicht vorgestellt. Romantische Visionen eines abgeschiedenen, mediterranen Paradieses hatten sie veranlasst, auf die exklusive Flugsafari mit ihrer Mutter und Herrn Thomas in Südafrika zu verzichten, um mit ihrem Geliebten zwei unbeschwerte Wochen voll Liebe und Harmonie zu genießen. Halt, nein! Das stimmte ja nicht. Sie rief sich selbst zur Ordnung. Joseph, zu jener Zeit bloß ihr kameradschaftlicher Freund, hatte von seinem Inselurlaub gesprochen, als Herr Thomas und ihre Mutter die gemeinsame Safari zu dritt planten. Dann hatte Josefine einen Eifersuchtsanfall gehabt und beschlossen, Joseph auf keinen Fall alleine zu seinen amourösen Abenteuern nach Dalmatien fahren zu lassen. Sie waren zwar damals nur Kameraden, aber sie war eine Frau! Na, das hatte sie jetzt davon. Selbst schuld. Aber das musste sie Joseph ja nicht merken lassen. Ein bisschen mehr wie eine Prinzessin durfte er sie schon behandeln. Und jetzt hatte sie Hunger.

      »Wo können wir denn zu Abend essen?«,wollte sie wissen.

      »Gleich oberhalb der Anlegestelle liegt das Restaurant«, antwortete er. »Vom Strand aus kann man es nicht sehen.«

      »Was zieht man hier denn an zum Dinner?«, fragte sie mit spitzer Betonung.

      »Großes Abendkleid und Dinnerjacket sollten es schon sein«, gab er ebenso zurück. Dann trat er auf sie zu. »Komm her, mein Engel. Entspann dich. Gib mir erst mal einen Kuss.«

      Widerwillig bot sie ihm ihren geschlossenen Mund. Er zog sie ganz in seine Arme, drückte sie zärtlich an sich und versuchte, sie leidenschaftlicher zu küssen. Doch sie entzog sich ihm.

      »Lass uns essen gehen!«, befahl sie.

      Draußen war es jetzt ganz dunkel. Unbestimmte Geräusche drangen aus dem Wald, verschlafenes Piepsen und das Rauschen der Schwingen eines Nachtvogels. Mäuse oder vielleicht sogar größere Nager schienen über den nadeligen Waldboden zu huschen. Aus einer der Holzhütten traten zwei junge Männer und bogen vor ihnen auf den Weg ein, offenbar strebten auch sie dem Restaurant zu. Sie folgten ihnen.

      ***

      Das Restaurant war in einem dreihundert Jahre alten Herrenhaus einer dalmatinischen Adelsfamilie untergebracht. Branko hatte die letzte weibliche Angehörige dieser Sippe geheiratet, Maja mit Namen. Eine hohe Mauer aus roh zugehauenen Steinquadern umgab das Anwesen. Ein übermannsgroßes, zweiflügliges, mit schweren eisernen Nagelköpfen bewehrtes Holztor führte in den Innenhof. Hier standen etwa ein Dutzend Tische, es gab nur diesen Speisesaal unter freiem Himmel. Entlang der Einfassungsmauern reihten sich steinerne Gefäße, in denen Oleander blühte. In einer Ecke des Hofes war der kunstvoll verzierte Brunnenkopf einer Zisterne zu sehen, mit einem Deckel aus Holz abgedeckt. Dahinter hing ein kupferner Schöpfeimer an einem Haken an der Wand. Elektrische Laternen spendeten gedämpftes Licht. Fast alle Tische waren besetzt. Die leicht bekleideten Gäste waren schon beim Abendessen. Der Geruch ihrer Speisen war nur schwach wahrzunehmen.

      »Romantisch«, bemerkte Josefine, jetzt schon um eine Spur versöhnlicher gestimmt.

      Sie fanden einen freien Tisch und nahmen Platz. Branko erschien im offenen Türrahmen, der ins Haus führte. Er bemerkte die neu angekommen Gäste, setzte ein strahlendes Lächeln auf, breitete die Arme aus und kam an ihren Tisch.

      »Bravo, bravo, willkommen«, rollte er hervor, »Was wünschen zu speisen? Wir haben Cevapcici und Mussaka. Original dalmatinische Spezialität.«

      Josefine entschied sich für Mussaka. Joseph schloss sich ihrer Wahl an. Dazu eine Karaffe Wasser und Rotwein.

      Eine ältere Kellnerin in schwarzer Kittelschürze brachte die Getränke. Joseph erkannte sie. Es war Jovanka, die hier bediente, seit er den Urlaub in Sveta Marija verbrachte. Sie nickte ihm freundlich zu.

      »Auch eine von deinen Urlaubsbekanntschaften?«, fragte Josefine schelmisch und stupste ihn unter dem Tisch an.

      »Nicht füßeln, Madame. Das schickt sich hier nicht«, antwortete er mit gespielter Entrüstung.

      In diesem Augenblick huschte eine schwarze Katze aus der Haustür. Hinter ihr erblickte Joseph für den Bruchteil einer Sekunde die Gestalt des blonden Mädchens. Wieder beschlich ihn das leichte Gefühl von Angst, Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Kannte er dieses Mädchen namens Djanna? Er konnte sich nicht erinnern.

      Nun brachte Jovanka die Teller mit der Mussaka. Der gratinierte Käse war knusprig, die aufeinander geschichteten Auberginen und Tomaten sowie die Füllung aus Hackfleisch dampften noch und rochen appetitlich nach mediterranen Kräutern.

      Obwohl das Ambiente rustikal war und die Tischdekoration eher schlicht, fühlte sich Josefine ganz wohl. Die Mussaka schmeckte ihr, ebenso der Wein. Ihre Stimmung besserte sich. Mit Grausen dachte sie allerdings an die Nacht in der Holzhütte.

      Als sie aufgegessen hatten, entschuldigte sich Joseph.

      »Ich bin gleich wieder da, Prinzessin«, sagte er, stand vom Tisch auf und verschwand im Haus. Josefine nahm unterdessen ihr Handy aus der Handtasche und prüfte, ob sie Verbindung hatte, denn sie wollte ihrer Mutter eine Nachricht schicken.

      In dem neben der Küche gelegenen Raum saßen Branko und Djanna beim Abendessen. Joseph trat an ihren Tisch.

      »Branko, ich habe eine Bitte.«

      »Ja?« Branko legte Messer und Gabel beiseite und sah auf. Djanna würdigte Joseph keines Blickes.

      »Du siehst ja, dass ich diesmal nicht allein gekommen bin’, begann Joseph.

      »Ein schönes Mädchen, bravo, bravo. Deine Braut?«, fragte Branko und verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. Djannas Augen verengten sich, sie starrte auf ihren Teller.

      »Ja also«, sagte Joseph verlegen, »wir hätten gerne ein anderes Zimmer. Meine Braut ist ein wenig anspruchsvoll, du verstehst? Also das soll jetzt keine Kritik….«

      Branko unterbrach ihn. »Aber Josip, kein Problem. Wir finden Lösung.« Er dachte nach. Dann fiel sein Blick auf Djanna. Er wies mit einer Handbewegung auf das Mädchen. »Josip, du kennst doch meine Enkelin Djanna, du erinnerst dich?«

      Ah! Jetzt fiel der Groschen. Djanna! Brankos Enkelin! Natürlich erinnerte sich Joseph. Es war vor zehn


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