Exentanz. Stephan Steinbauer

Exentanz - Stephan Steinbauer


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an jenen angesagten Orten, die sie sonst mit ihrer Mutter aufzusuchen pflegte, konnte Joseph sich nicht leisten. Ihn zog es wie in jedem Jahr auf seine Insel in Dalmatien, wo amouröse Abenteuer lockten. »Aber deine Liebesabenteuer, mein lieber Joseph, wirst du ausschließlich mit mir erleben«, dachte sie, »sonst Gnade dir Gott!«

      Joseph bemühte sich, seine eingetrübte Stimmung abzuschütteln. Der Anruf seiner Mutter hatte ihm gerade noch gefehlt. Josefine merkte sein Unbehagen und wollte ihn aufmuntern.

      »Willst du gar nicht wissen, womit du meinen neuen Bikini verdienen kannst?«

      »Nun?«

      Sie rückte näher und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn überraschte. Jedenfalls aus ihrem Mund. Hui!!

      »Josefine! Erbprinzessin von und zu Karloff! Ich darf doch um Contenance bitten«, lachte er los.

      Sie zwinkerte ihm nur zu und stimmte ein in sein Lachen.

      Es wurde langsam Zeit, die Koffer zu holen und zum Anlegeplatz des Schiffes zu gehen. Als sie über den Kai schlenderten, fiel ihr Blick auf das graue Karstgebirge, das sich hinter der Stadt steil erhob. Schwarze Wolken quollen jetzt über den Bergkamm und drängten aufs offene Meer hinaus. Es war unglaublich schwül. Kein Windhauch. Das Hafenbecken lag schon zum Großteil im Schatten der Wolken, obwohl die Sonne noch hoch stand. Schleimiger Dunst breitete sich über dem Wasser aus. Am Horizont wurde der schwefelgelbe Streifen des Tageslichts immer schmaler. Das Meer lag dumpf und dunkel in trügerischer, angespannter Ruhe.

      Bei der Schiffsanlegestelle sammelten sich schon die Passagiere. Urlaubshungrige Touristen in lichter, luftiger Sommerkleidung mit schicken Koffern, und geduldige Einheimische, zumeist in dunklen Gewändern mit Stoffbündeln und abgeschabten Taschen. Dazwischen Jugendliche mit Rucksäcken, langhaarig, lässig, cool.

      Joseph beobachtete diese Jungs und Mädchen, die nur unwesentlich jünger als er waren. In den letzten Jahren war er einer von ihnen gewesen, ebenso cool und in freudiger Erwartung spannender Urlaubsflirts auf der Insel. Wobei man nie wusste, ob sich ein brauchbarer Partner finden würde. Diese Sorge war er jetzt los. Neben ihm stand die heißeste Braut, die er sich nur wünschen konnte. Und sie hatte ihm Dinge zugeflüstert, die sein Innerstes zum Beben brachten! Hoffentlich würde er ihr gewachsen sein. War Josefine schon dabei, sich von seiner Schülerin in seine Lehrerin zu verwandeln?

      Eigentlich hätte man ihr Schiff schon bei der Hafeneinfahrt sehen müssen. Aber dort regte sich nichts. Unterdessen hatten die schwarzen Wolken den Himmel bis zum Horizont ausgefüllt. Immer noch kein Lufthauch.

      Sie setzten sich auf ihre Koffer und beobachteten die Leute rings um sie her. Ein nervöser Tourist im Khakianzug mit Strohhut brachte sie zum Lachen, wie er seine pummelige Frau anfauchte, die ihn gar nicht beachtete. Er hätte ja die Kreuzfahrt durch die Karibik buchen wollen, aber nein, Madame hatte Angst vor dem langen Flug, das hätten sie jetzt davon – und so fort. Einer der Jungs schälte eine Gitarre aus der Stoffhülle und schlug ein paar Akkorde an. Eine Gruppe Jugendlicher scharte sich um ihn. »We are the Champions«, stimmte er an, die Umstehenden stimmten mit ein.

      Endlich tauchte aus dem Wolkenschleim bei der Hafeneinfahrt ein Schiff auf und steuerte allmählich auf die Mole zu. Jetzt kam Bewegung in die Wartenden. Der nervöse Tourist im Khakianzug rief nach seiner Frau, die sich unter die Jugendlichen gemischt hatte. Ein Hafenarbeiter näherte sich aus Richtung des Bahnhofs undzog einen Handwagen hinter sich her, auf dem ein Berg Koffer gestapelt war. Ein Angestellter der Schifffahrtslinie in Uniform begleitete ihn. Er bedeutete den Wartenden, eine Schlange zu bilden.

      Das Schiff legte an. Die Schrauben arbeiteten im Rückwärtsgang, schäumten das träge Wasser auf, Dieselgeruch breitete sich aus, Trossen flogen an Land, der Uniformierte legte sie über die Poller am Kai, der Anker senkte sich langsam ins Wasser und das Fallreep rasselte von Bord. Eine Gruppe Reisender verließ das Schiff. Ein Offizier postierte sich am Fallreep, kontrollierte die Karten der Einsteigenden.

      Das Schiff kam von Dubrovnik und war schon gut besetzt. Joseph bahnte sich den Weg zum Vorderdeck, Josefine folgte ihm. Sie fanden einen freien Sitzplatz an der Reling, sie setzte sich, er hockte sich vor ihr auf seinen Koffer.

      Und wieder erspähte Joseph das flüchtige Schattenbild jener Blondine, von der er sich bereits bei dem Denkmal beobachtet gefühlt hatte. Wieder trafen sich die Blicke für einen Wimpernschlag, dann verschwand die Erscheinung hinter einer Gruppe von Passagieren. War es eine Sinnestäuschung? Er hatte das Gesicht nicht erkennen können, nur die hellen Augen, die Silhouette und den blonden Haarschopf. Wer war das? Er wusste es nicht.

      Eine Glocke schlug an, eine Dieselwolke quoll aus dem Schornstein, der Kapitän beugte sich aus der Kommandobrücke, rief dem Uniformierten an Land etwas zu. Dieser löste die Trossen, das Fallreep wurde an Bord gezogen, der Anker rasselte hoch und das Schiff legte ab.

      »Sitzt du einigermaßen bequem?«, fragte Joseph seine Begleiterin.

      »Geht so. Wie lange dauert die Überfahrt?« Wohl fühlte Josefine sich nicht.

      »Etwas mehr als eine Stunde«, antwortete er.

      »Na, das geht ja’, sagte Josefine tapfer und hielt ihr Gesicht in den langsam aufkommenden Fahrtwind. Wenigstens etwas frische Luft!

      Der Himmel war jetzt schwarz und das Meer bewegungslos und unsichtbar unter dem Schiffsrumpf. Nur am Stampfen der Motoren und an den Lichtern der Stadt, die kleiner wurden hinter ihnen, und an den Positionslichtern entlang des Hafenbeckens, an denen sie sachte vorüberglitten, merkte man, dass sich das Schiff bewegte.

      Joseph betrachtete seine Geliebte, die mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrte, den Kopf auf ihren Arm geschmiegt. Wie schön sie war!

      Das Schiff passierte die Leuchtfeuer an der Ausfahrt des Hafenbeckens. Die nahen Küsten warfen das Geräusch der Maschinen verstärkt zurück. Sie erreichten das offene Meer.

      Plötzlich zuckte ein Blitz über den schwarzen Himmel, erleuchtete für einen Augenblick den schwefelgelben Spalt zwischen zwei Wolken. Es war kein Donner zu hören. Weitere Blitze folgten, ließen den dunklen Spiegel des bleiern daliegenden Meeres aufblinken. Dann klatschten die ersten Regentropfen aufs Deck und in ihre Gesichter. Die warmen, großen Tropfen waren lautlos gekommen, nun prasselten sie schnell und dicht herab. Ein Sturm heulte los, fegte über Bord, fing sich in ihren Haaren und Gewändern und peitschte die dicken Regenschnüre auf das Deck.

      Josefine zog den Kopf ein. Joseph ergriff ihre Hand, half ihr auf die Beine, dann packte er beide Koffer und schloss sich den übrigen Passagieren an, die den Weg unter Deck suchten. Josefine hielt sich dicht hinter ihm. Sie stiegen die Treppe hinab ins Innere des Schiffes und kamen vor dem Eingang des Speisesaales zum Stehen. Hier ging nichts mehr weiter.

      Jetzt erst kamen die Wellen. Das nicht übermäßig große Schiff hob sich, schlingerte und senkte sich in die wuchtig anrollenden Wogen.

      »Geht’s dir gut?«, fragte er Josefine. Sie war so still. Er war ja seefest, aber sie?

      »Es geht«, hauchte sie und schmiegte sich an ihn. Er nahm sie schützend in den Arm, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie wollte ihm auf keinen Fall zeigen, wie sehr sie unter den Unbequemlichkeiten dieser Reise litt. War sie denn wirklich so ein verwöhntes Prinzesschen? Nein, sie wollte tapfer sein, auch wenn es ihr schwerfiel. Joseph zuliebe.

      Der Tourist im Khakianzug drängelte rücksichtslos an ihnen vorbei zur Treppe nach oben ins Freie. Er war grün im Gesicht und hielt sich eine Hand vor den Mund.

      »Wollte der nicht eine Kreuzfahrt ins Bermudadreieck machen?«, flüsterte Joseph ihr zu. Josefine lächelte gequält.

      Allmählich beruhigte sich das Gewitter. Die schwarzen Wolken hatten ihren Inhalt verströmt, lichteten sich. Als sie in den Hafen von Hvar einliefen, blinkten auf den nassen Dächern schon wieder die Strahlen der allmählich untergehenden Sonne.

      Das Schiff legte an, man ging von Bord. Und da war sie wieder, diese rätselhafte Blondine. Joseph sah jetzt nur ihren Rücken, als sie dicht vor ihnen über das Fallreep schritt. In der Hand hielt sie eine kleine Reisetasche. Die Unbekannte beachtete sie nicht. Vielleicht


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