Exentanz. Stephan Steinbauer

Exentanz - Stephan Steinbauer


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erhob sich ein Felsenriff, auf dem sich Badegäste auf einer hölzernen Terrasse sonnten.

      »Wer zuerst auf dem Riff ist!«, rief Josefine und spurtete ins Wasser. Sie war eine gute Schwimmerin und pflügte mit flottem Crawlstil durch die flachen Wellen. Joseph beherrschte nur Brustschwimmen und folgte ihr mit Mühe.

      »Also bei deinen Schwimmkünsten ist noch Luft nach oben«, meinte sie lächelnd, als sie auf der Sonnenterrasse standen. »Da kannst du noch was von mir lernen.«

      »Na ja, in irgendeiner Disziplin musst du ja auch mal besser sein als ich«, antwortete er und bemühte sich, kein verdrießliches Gesicht zu machen. Aber heimlich war er stolz, so eine sportliche Geliebte zu haben.

      »Ach, habe ich deinen männlichen Stolz verletzt? Komm her, ich mach es wieder gut.« Sie zog ihn an sich, streichelte über sein triefnasses Haar und drückte ihm einen salzigen Kuss auf den Mund, den er leidenschaftlich erwiderte. Dann ließ sie sich wieder ins Wasser gleiten.

      Joseph sprang kopfüber vom Steg hinter ihr her, tauchte mit offenen Augen und schwamm unter Wasser dem Ufer zu, ohne viel zu sehen, weil der Sand alles trüb und verschleiert erscheinen ließ. Das Wasser wurde flacher, hier konnte man schon stehen. Er sah vor sich zwei hübsche Beine, dachte, sie gehörten Josefine und zog sich daran hoch. Ein wildfremdes, recht appetitliches Mädchen sah ihn erstaunt an, ein zögerndes, vielleicht ermunterndes Lächeln auf den Lippen.

      »Sorry«, murmelte er und sah sich nach Josefine um. Sie schwamm hinter ihm.

      »Wenn du schon fremdgehst, dann bitte so, dass ich es nicht merke«, feixte sie.

      Dann tauchte sie ab, packte seine Beine und brachte ihn zu Fall. Sie alberten und balgten eine Weile, schwammen abermals hinaus zum Riff und ließen sich auf der Terrasse von der Sonne trocknen. So verging der Vormittag. Als die Sonne am höchsten stand, fragte Josefine:

      »Hast du eigentlich keinen Hunger?«

      Sie aßen eine Kleinigkeit im Restaurant der Badeanstalt und legten sich dann in den Schatten einer Pinie. Sie dösten vor sich hin, tauschten träge ein paar Worte und nickten dann ein. Als sie nach fast zwei Stunden erwachten, zog sich der Himmel allmählich mit grauen Wolken zu. Es war schwül. Kein Lufthauch.

      Sie kleideten sich wieder an und marschierten zur Bushaltestelle. Sie kamen an einem Denkmal vorbei, einer hohen, schwarzen Statue. Es war wohl ein Bischof mit einer reich verzierten Mitra, der mit seiner Linken ein Buch an seine Brust drückte, die Rechte schüttelte er drohend gegen unsichtbare Angreifer. Sein grimmiges Aussehen wurde noch durch einen wallenden Vollbart unterstrichen.

      Joseph glaubte, die Gestalt einer jungen Frau erblickt zu haben, die Josefine und ihn beobachtet hatte und blitzartig hinter dem Denkmal verschwand, als sich ihre Blicke trafen. Ein blonder Schatten, mehr nicht. Und wieder verspürte Joseph für einen Herzschlag lang diese Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Er blickte sich scheu um, konnte aber nichts Auffälliges mehr erspähen. Vielleicht hatte er sich auch nur getäuscht. Josefine merkte nichts.

      Der Bus rollte heran, sie stiegen ein und fuhren zurück zum Hafen. Bis zur Abfahrt des Schiffes waren noch fast zwei Stunden Zeit. Sie deponierten ihre Koffer in einem Schließfach am Bahnhof, flanierten entlang der Kaimauer und bogen wieder ein in die Altstadt. Nach einem Bummel durch die Andenken- und Modegeschäfte erfrischten sie sich mit einem Eiskaffee.

      Joseph war glücklich. Ein Traum war in Erfüllung gegangen. Vor 4 Monaten noch hatte er zaghaft um Josefines Freundschaft geworben, wohl wissend, dass er für dieses millionenschwere Mädel aus der Oberschicht nichts weiter sein konnte, als eine flüchtige, eher exotische Bekanntschaft. Und nun hatte sie seinetwegen sogar auf eine luxuriöse Flugsafari durch Südafrika mit ihrer Mutter verzichtet. Auch die Aussicht, auf der Insel in Dalmatien nur sehr rustikal in einer Blockhütte zu wohnen, konnte sie nicht abschrecken. Dabei war sie doch den Komfort von Luxushotels gewohnt. Liebte sie ihn so sehr? Joseph gab sich ganz seinem wohligen Gefühl hin.

      Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf das Display – seine Eltern aus Wien.

      »Geh Joseph, wo steckst du denn?«, vernahm er die vorwurfsvolle Stimme seiner Mutter. Er verfiel augenblicklich in die Rolle des gehorsamen Sohnes.

      »Wir sind in Split, Mama.«

      »Geh, was machst denn in Split. Bist net allein?«

      »Nein, mit meiner Freundin.«

      »Ah, hast jetzt eine Freundin? Geh, könntest dich auch öfter melden. Der Papa macht sich schon Sorgen.«

      Oh Gott, die ganze Enge und Bedrängnis kam wieder hoch, die er so gehasst hatte in den letzten Jahren. Eingesperrt hatte er sich gefühlt in der Wohnung in Wien, fürsorglich bevormundet von den Eltern. Nur raus, weg, Flucht, waren seine Gedanken gewesen. Aber die wenigen Monate, die seit seinem Auszug aus dem Elternhaus vergangen waren, reichten nicht aus, um die Atmosphäre der Unfreiheit und Unselbständigkeit ganz aus seinem Inneren zu tilgen. Schon sah er sie wieder vor sich, seine Eltern. Da war der Vater, hager, gebeugt, den Kopf raubvogelartig nach vorne gereckt. In seinen Augen der stechende, Gehorsam fordernde Blick. Da ließ der Gedanke an das asketische Wesen des alten Mannes wieder Josephs so junge Lebensfreude verdorren. Joseph durchschaute diese so demonstrativ zur Schau gestellteAblehnung aller sinnlichen Genüsse seines Vaters, der seine Befriedigung aus der Bescheidung auf Mineralwasser und Müsli bezog und sich in unbeobachtet geglaubten Momenten vor dem Spiegel an der jugendlich-schlanken Figur ergötzte. Und da war die Mutter. Hilflos den Launen des Vaters ausgesetzt, ihn aber doch mit weiblicher Hartnäckigkeit dominierend. Wieder sah Joseph sie vor sich, wie sie im letzten Jahr ihren unförmigen Persianermantel mit lästigem Raunzen und, wie man in Wien sagte, mit unablässigem Benzen durchgesetzt hatte. Er sah ihre leicht schräg nach oben gezogenen Mundwinkel, wie sie abschätzig mit »A ganz a primitive Person« über eine seiner Urlaubsbekanntschaften geurteilt hatte. Und Joseph hatte noch ihre schroffe Ermahnung »Lasst’s euch ja nicht von Weibern anreden!« im Ohr, die sie ihm und seinen Freunden mit auf den Weg gegeben hatte, als sie vor Jahren das soeben bestandene Abitur beim Heurigen feiern gingen.

      Da saß er nun mit seiner geliebten Josefine im sonnendurchfluteten Dalmatien, weit weg von den Eltern. Und doch: der Anruf aus Wien schnürte ihm wieder die Luft ab.

      »Geht’s euch gut?«, fragte er wie ein gehorsames Kind.

      »Na jaaa, wie’s einem halt so geht, wenn der einzige Sohn sich in der Welt herumtreibt, statt dass er den Eltern a bisserl zur Hand geht. Das Einkaufen is halt schon mühsam, so ohne Auto. Der Papa holt ja immer seine Körndln vom Naschmarkt. Und zum Arzt muss ich auch wieder hin«, klagte die Mutter.

      »Weißt was, Mama, in drei Wochen kommen wir euch besuchen, die Josefine und ich«, versprach er völlig entnervt. Josefine nickte ihm freundlich zu.

      »Wird ja amal Zeit, dass’d dich um deine alten Eltern kümmerst«, raunzte es vorwurfsvoll aus dem Handy.

      Joseph presste mit letzter Nervenkraft ein paar Abschiedsworte hervor, dann brach er die Verbindung ab. Auf die Information, dass er ihnen seine Freundin vorstellen wollte, hatte die Mutter gar nicht reagiert. Er spürte Beklemmung, wenn er sich vorstellte, wie diese Begegnung wohl ablaufen würde.

      »Deine Frau Mama?«, fragte Josefine ganz arglos.

      Er seufzte nur.

      »Ach, meine Mutter ist auch nicht besser. Die jettet jetzt mit Herrn Thomas durch Südafrika. Ich bin sicher, sie ist sauer auf mich, weil ich nicht mitgefahren bin auf Safari. Aber ich hab keine Lust, mich mit diesem Secondhand-Mann verkuppeln zu lassen.«

      Immer wieder hatte Frau Irmgard Karloff-Bardolino versucht, ihre Tochter mit diesem Kosmetikfabrikanten zusammenzubringen. Er war ein langweiliger Schwätzer, wie sie fand. Gefühle konnte sie für ihn beim besten Willen nicht aufbringen. Sie empfand höchstens Mitleid mit diesem Mittvierziger, dem die Frau mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Aber Mitleid war für sie keine Basis für eine Ehe.

      Dennoch verspürte Josefine ein schlechtes Gewissen und bedauerte es fast, dass sie es abgelehnt hatte, ihre Mutter auf dieser Safari zu begleiten. Interessant wäre diese Reise schon gewesen.


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