Tambara und das Geheimnis von Kreta. Heike M. Major

Tambara und das Geheimnis von Kreta - Heike M. Major


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για το άγνωστο“, sang eine weibliche Stimme.

      Er fragte den Träger, was die Worte zu bedeuten hatten.

      „Reise ins Unbekannte“, übersetzte der Gepäckträger.

      War es Einbildung, oder überzog für den Bruchteil einer Sekunde ein seltsames Lächeln das wettergegerbte Gesicht des Griechen?

       2

      Rebs Zimmer lag in einem zweistöckigen Gebäude, dessen Fassade bis zum Dach mit blühenden Bougainvilleen berankt war. Der Träger schleppte den Koffer über eine Marmortreppe in die erste Etage und zog ihn über einen kargen, mit groben Steinplatten ausgelegten Flur bis zu einer Tür, die aussah, als wäre sie noch aus natürlichem Holz gefertigt worden. Reb händigte seinem Begleiter den Schlüssel aus, der Mann öffnete die Tür und trug das Gepäck in den Eingangsbereich des kleinen Zimmers. Den Anhänger des Schlüssels steckte er in ein Kästchen an der Wand neben der Tür, woraufhin im ganzen Raum die Leuchten angingen. Der Angestellte zeigte ihm noch, wie er die Klimaanlage mithilfe einer schmalen Box bedienen und die Terrassentür mit der Hand öffnen, wieder schließen und verriegeln konnte. Reb überlegte, ob der Mann wohl ein Trinkgeld erwartete. Doch Reb hatte nur sein Technikarmband, mit dem er in der Großstadt alle Rechnungen bargeldlos beglich, und ein Computerband konnte er am Arm des Hotelangestellten nicht entdecken. Der Gepäckträger jedenfalls schien auch so zufrieden. Er verabschiedete sich und entließ den Gast in dessen Reich.

      Reb schaute sich in dem kleinen Zimmer um. Verglichen mit den Räumen in der Stadt Tambara war es geradezu winzig. Doch es hatte genug Platz für einen bis zur Decke reichenden Wandschrank, zwei zusammengestellte Betten mit je einem Nachtschränkchen zu beiden Seiten und einen schmalen Schreibtisch mit einem Spiegel darüber und einem gepolsterten Stuhl davor. Neben dem Schreibtisch stand ein länglicher Hocker, der wohl als Kofferablage gedacht war. Draußen auf dem Balkon luden ein Tisch und zwei Stühle zum Verweilen ein. Rebs Blick fiel auf die Gardinen vor dem Fenster. Mit einem Ruck zog er den Stoff beiseite und wäre fast vor die Scheibe geprallt, so sauber war sie geputzt. Er streckte seine Hand aus und fuhr mit den Fingern über das Glas. Echtes Glas, kein Kunststoff! Es fühlte sich ein wenig kühl an, schwer und extrem glatt. Er klopfte darauf und ärgerte sich fast im selben Moment über die Flecken, die seine Knöchel auf der Scheibe hinterließen. Im Türrahmen befand sich ungefähr in Hüfthöhe in einer Vertiefung ein schmaler, länglicher Hebel. Wie hatte der Gepäckträger das gemacht? Reb fasste mit dem Zeigefinger unter das Metall und hob es leicht an. Mit einem lauten „Klack“ sprang der Hebel hoch und gab die Tür frei.

      Reb schob die Scheibe zur Seite und stieg auf den Balkon hinaus. Die flachen, in den Boden eingelassenen Natursteine machten den Belag ein wenig uneben. Er musste aufpassen, dass er mit seinen Schuhen nicht an den überstehenden Kanten hängen blieb. Die Brüstung bestand aus einer Mauer aus weiß gekalktem Stein. Sie war am oberen Rand gerundet und fühlte sich warm an. Reb legte seine Hand auf die Rundung, nahm einen tiefen Atemzug und spürte ein ungewohntes Gefühl der Befreiung in sich aufsteigen. Lag es an der Luft? Sie roch weder nach Essensdämpfen noch Desinfektionsmitteln oder Schweiß. Auch die den Plakatwänden und Supermarktregalen entströmenden Gute-Laune-Parfums fehlten hier völlig. Hier war es die Luft, die duftete. Genau, sie roch nicht, sie duftete – soweit er das beurteilen konnte nach Bäumen und Blumen. Vielleicht schmeckte sie auch ein wenig nach Staub durch die Erde, die bei dem trockenen Wetter von den Menschen losgetreten wurde. Trotzdem war es eine Freude, sie einzuatmen. Vor dem Nachbarzimmer stand eine Palme, deren wuchtige Blätter fast bis zu seinem Balkon herüberreichten. Reb beugte sich ein wenig vor und griff nach dem Grün, konnte es aber nicht wirklich fassen.

      Ein ohrenbetäubender Lärm ließ ihn zusammenzucken, ein brummendes, knatterndes Dröhnen, das kurzzeitig anschwoll, auf der Straße hinter dem Hotel vorbeizischte und ebenso schnell wieder verhallte. Seinen Recherchen nach musste es sich um eines dieser alten Motorräder handeln. Wie er gelesen hatte, sollten früher unzählige dieser Fahrzeuge als Transportmittel gedient haben. Einige davon schienen die Jahrhunderte überdauert zu haben. Ein wenig Benzingeruch mischte sich zwischen den Blütenduft, aber egal, Reb war stolz und froh, an der Wiedereinführung der Natur teilhaben zu dürfen, wenn auch nicht als Arbeiter, so doch wenigstens als Journalist. Und wer weiß, vielleicht würde er hier und da auch ein wenig mit anfassen. Er hätte nichts dagegen.

      Reb ging in den Raum zurück und inspizierte den Schrank. Dieser wartete mit etlichen Fächern, Schubladen und einer erfreulichen Anzahl an Kleiderbügeln auf und hatte sogar noch genug Platz, um seinen Koffer hinter der verschlossenen Tür zu verstauen. Über den Schubladen auf der rechten Seite erweckte ein kleiner Kühlschrank seine Aufmerksamkeit. Als er die Tür des Gerätes öffnete, schlug ihm eine angenehme Kühle entgegen.

      „Nicht schlecht“, hörte er sich halblaut sagen und studierte die Getränke, die der kleine Schrank beherbergte: zwei Flaschen Wasser, eine Dose Orangensaft, eine mit Limonade, kein Wein.

      Er wollte gerade nach der Dose mit dem Orangensaft greifen, als sein Blick auf die geschlossene Zimmertür fiel. Ob er wohl mit dem Mechanismus zurechtkommen würde? An dem auf dieser Seite cremefarben überstrichenen Holz prangte ein goldfarbener Knauf. Der musste den Öffnungsmechanismus beherbergen. Reb schloss den Kühlschrank, ging hinüber zur Tür, drehte an dem Knauf und zog ihn vorsichtig auf sich zu. Ein lautes „Klack“ ließ ihn zusammenzucken, die Tür gab nach und dahinter erschien die weiße Flurwand.

      An der Schmalseite der Tür entdeckte er zwei Rollen, die in das Holz eingelassen waren und durch den Druck beim Schließen wohl in die kleine Kammer zurückgedrängt wurden, um dann, sobald die Tür ihre endgültige Position erreicht hatte, hervorzuschnellen und in ein Loch an der gegenüberliegenden Wand zu springen. Zum Öffnen musste man die Rollen aus dem Loch herausziehen, indem man den Knauf drehte. Wie einfach und doch wirksam. Allerdings, so überlegte Reb, würde auf diese Weise auch jeder Fremde in sein Zimmer gelangen. Es musste also noch ein weiteres Geheimnis geben. In der Mitte des Knaufs befand sich ein fingerdicker Knopf. Reb schloss die Tür, drückte auf den Knopf, dieser rastete ein, doch ließ sich die Tür auch jetzt problemlos öffnen. Vielleicht war sie ja wenigstens von außen verschlossen. Er zog den Schlüssel samt Anhänger aus dem Stromkasten, trat auf den Gang hinaus und drückte den Knopf, der beim Öffnen wieder herausgesprungen war, erneut in den Knauf. Er wollte gerade die Tür schließen, als der Wind, der durch die offen stehende Balkontür durch sein Zimmer auf den Flur hinausströmte, sie mit einem ohrenbetäubenden Donnern zuknallte.

      „Wumm!“

      „Mein Gott“, entrüstete sich Reb und blickte sich erschrocken um.

      Gott sei Dank schien niemand von dem Krach Notiz genommen zu haben. Jedenfalls war die Tür nun tatsächlich verschlossen und ließ sich auch durch das Drehen, Drücken und Schieben des Knaufs von außen nicht mehr öffnen. Reb steckte den Schlüssel in das Schloss, drehte ihn um eine Vierteldrehung nach links, so wie der Gepäckträger es ihm gezeigt hatte, schob gleichzeitig das Holz von sich weg und stand wieder im Raum. Das Poltern, das die Tür von sich gab, als er sie nun vorsichtig mit der Hand ins Schloss zurückschob, war auch nicht viel leiser als das Getöse, das der Wind vorher verursacht hatte. Reb tröstete sich damit, dass er das Geräusch nur beim Verlassen und Betreten des Zimmers würde ertragen müssen. Es war an der Zeit, seinen Koffer auszupacken.

       3

      Soul hatte schlechte Laune. Gerne hätte sie ihren Bruder auf der Reise nach Kreta begleitet, doch die Regierung war nicht gewillt, einer Musikfachfrau den Besuch eines Naturreservates zu gestatten.

      „Keine ausreichende Begründung für eine Angestellte des Musikkonzerns“, hieß es bei jeder ihrer Anfragen.

      Noch immer fiel es den Behörden schwer, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Lange Zeit waren Net-Seiten von privaten Nutzern, die sich mit unproduktiven, der Wirtschaft nicht zuarbeitenden Themen befasst hatten, von der Regierung gelöscht worden. In einer Gesellschaft, die strengen Optimierungsprozessen unterlag und in der stets nur das wirtschaftlich einträglichste Produkt überleben konnte, war irgendwann auch der Mensch nur noch als Kunde oder


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