Tambara und das Geheimnis von Kreta. Heike M. Major
Kopf ergänzte die Gestalt perfekt.
„Das ist ja geradezu klassisch“, entfuhr es ihm, „klar, schlicht, eindeutig, grundlegend, klassisch.“
In seiner Begeisterung musste er wohl vergessen haben, die Suchfunktion auszuschalten, denn die entsprechenden Adressen erschienen fast zeitgleich auf dem Monitor und legten sich über Elénis Bild.
„Computer – stop“, wollte er schon korrigieren, als seine Neugier ihn eine der Seiten öffnen ließ.
„Einer der letzten Vertreter der altgriechischen Klassik“, stand dort, „er bewirtschaftet ein kleines Landgut, wie es in seiner Heimat seit jeher üblich gewesen ist, züchtet Oliven für den Eigenbedarf und wehrt sich gegen den Verkauf seiner Produkte an Kunden aus der Stadt.“
Unter dem Artikel erschienen drei Köpfe, ein älterer Mann unter einem Olivenbaum, ein Mann im mittleren Alter während eines Interviews und ein junger Heißsporn mit weißem Kittel und einem Reagenzglas in der Hand. Reb brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte. Dieses Gesicht, das einen Mann in drei verschiedenen Lebensphasen zeigte, kam ihm seltsam bekannt vor. Er schlug Souls Seite auf und wurde fündig. Es war der Geheimnisträger, den seine Schwester ausfindig gemacht hatte.
Reb betrachtete die Aufnahmen des Mannes eine Weile. Sein Gesicht wirkte auf dem dritten Bild trotz des hohen Alters noch wach und klar, die Augen schauten den Betrachter direkt an, so als hätte ihr Besitzer auch in der heutigen Zeit noch eine wichtige Funktion zu erfüllen. Die Art kam ihm bekannt vor, ein wenig Stolz schimmerte durch, vielleicht auch Trotz oder das Wissen, dass man der übrigen Menschheit etwas voraushatte. Reb isolierte den Kopf des alten Mannes, schob ihn quer über die Spiegelfläche nach oben, rechts neben Elénis Gesicht. Er schnitt auch den Kopf des jungen Wissenschaftlers heraus, stellte ihn links neben die Griechin und verglich die drei Gesichter: den Geheimnisträger in jungen Jahren, die Griechin, den gealterten weisen Mann. Sein Verdacht bestätigte sich. Der Kopf dieses Mannes trug die gleichen Gesichtszüge wie das Gesicht der Tochter des Hotelbesitzers.
7
„Wie hast du das denn geschafft?“, wunderte sich Botoja.
Soul grinste.
„Mit den richtigen Argumenten.“
„Nun mach es bitte nicht so spannend“, schimpfte die Freundin.
Mortues und Botoja wollten wissen, wie Soul nun doch an eine Reisegenehmigung für Kreta gekommen war.
„Sammlung von Informationen, Stilrichtung ‚altgriechische Musik mit Schwerpunkt kretischer Tanz‘. Tambara könnte zum Thema Kreta einen akustischen Beitrag leisten. Das wäre die Sensation! Wo das Projekt in der Öffentlichkeit doch so gut eingeschlagen ist.“
„Ich verstehe, Bauchpinselung der Eitelkeiten“, ergänzte Mortues.
Umgeben von Kaffeetassen, Saftgläsern, Chipstüten und Tellern mit Sandwiches und Kuchenstückchen saßen die Freunde in Souls Wohnraum auf dem Fußboden, so wie sie es immer taten, wenn es etwas zu besprechen gab.
„Und wie willst du mit Sir W.I.T. Kontakt aufnehmen?“, überlegte Botoja. „Er hat dir doch nie seine Armbandadresse verraten.“
„So wie ich ihn kenne, wird er sich melden, wenn er sieht, dass ich auf Kreta bin. Meine Daten hat er ja noch, das heißt, er kann mich jederzeit an jedem Ort des Planeten erreichen und weiß auch immer, wo ich mich gerade aufhalte.“
„Gemeldet hat er sich trotzdem nicht“, rutschte es Botoja heraus.
Mortues warf seiner Freundin einen tadelnden Blick zu.
„Notfalls schaffe ich es auch alleine“, ergänzte Soul voller Tatendrang und richtete sich auf.
Botoja wurde hellhörig.
„Alleine? Was soll denn das nun schon wieder heißen?“
„Wieso wieder?“, wich Soul aus. „Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Und ob du das weißt. Das letzte Mal, als du alleine losgebraust bist, hat sich daraus die reinste Horrorgeschichte entwickelt.“
„Ich war nicht allein. Du warst dabei.“
„Weil du mich mal wieder überredet hattest, dich zu begleiten.“
„Und?“, fragte Soul trotzig. „Ist nicht alles gut gegangen?“
„Ja, schon, aber nur dank Sir W.I.T.s Eingreifen. Wenn er nicht gewesen wäre, würdest du heute noch unter Aufsicht der Klone das Tal bewirtschaften.“
„Die Arbeit im Tal war nicht das Schlechteste.“
„Jedenfalls wird er dir nicht noch einmal aus der Patsche helfen, das bilde dir bloß nicht ein. Dazu hat er nämlich gar keinen Grund.“
„Ich sag ja auch, ich schaffe es allein“, ereiferte sich Soul.
„Könntet ihr einem Unwissenden vielleicht einmal erklären, worum es hier eigentlich geht?“, mischte sich Mortues in die Diskussion der beiden Frauen ein. „Was willst du denn so unbedingt alleine schaffen?“
Soul dachte an den alten Mann.
„Was weiß ich, etwas Ungewöhnliches entdecken, etwas Verborgenes enthüllen“, sprudelte es aus ihr heraus. „Ich bin überzeugt, die Insel birgt ein Geheimnis.“
„Der berühmte Soul‘sche Spürsinn“, spottete Botoja.
„Ihr werdet schon sehen“, insistierte Soul, „es gibt ein Geheimnis.“
„Lass bloß die Finger davon, hörst du?“, schimpfte Botoja.
„Ach, ich will mich nur ein wenig umhören. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“
„Das macht mir ja gerade Sorgen“, murrte Botoja aufgebracht, ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und schenkte sich einen Schnaps ein.
8
„Du wirst uns wieder in Schwierigkeiten bringen“, schimpfte Botoja. „Warum lasse ich mich nur immer wieder darauf ein?“
„Weil du meine Freundin bist“, antwortete Soul ebenso nüchtern wie einleuchtend.
Ein weiteres Mal hatte Botoja sich überreden lassen, Soul auf einer ihrer abenteuerlichen Reisen zu begleiten, dieses Mal freilich nur unter der Bedingung, dass ihr Verlobter Mortues mitfuhr. So waren sie immerhin zu zweit, und es bestand die berechtigte Hoffnung, Souls unberechenbares Temperament durch die Übermacht an Freundschaft einigermaßen in Schach halten zu können. Außerdem arbeitete Reb auf der Insel, auf ihren Bruder hatte Soul bisher noch immer gehört.
Äußerst schwierig war es gewesen, für Mortues eine Genehmigung durchzusetzen. Gerade in der Zeit der Renaturierung wollte man in seinem Krankenhaus auf keinen Arzt, der schon einmal mit der Natur Bekanntschaft gemacht hatte, verzichten. Man konnte ja nie wissen, ob die zwischen der Insel und dem Festland hin- und herpendelnden Städter nicht vielleicht irgendwelche gefährlichen Keime einschleppten. Doch gerade diese Angst führte schließlich zur Bewilligung des Antrags, denn Mortues versprach, an Ort und Stelle Erkundigungen über naturbedingte Krankheiten und deren Heilung einzuholen.
Botoja hatte es leichter. Als Angestellte der Boulden’s Group of Fantasy and Nostalgia Products war sie häufiger auf Reisen und immer auf der Suche nach Ideen für Reproduktionen ehemaliger Verkaufsschlager. Naturnachbildungen – ob als Spielzeug für Kinder oder Raumschmuck für Erwachsene – erfreuten sich seit jeher großer Beliebtheit und hatten stets für einen guten Umsatz gesorgt. So sollte sie erkunden, was die Insel an Ideen hergab. Vielleicht ein alter Bauernhof mit Eseln und Olivenbäumen oder ein mehrstöckiges Hotel mit Swimmingpool, süßen kleinen Sonnenliegen und Touristenpüppchen darauf – mittels Computertechnik und modernem Kunststoff war heutzutage alles herstellbar, nur möglichst exotisch musste es aussehen.
Vielleicht