Zauberreise. Sonja Spitteler

Zauberreise - Sonja Spitteler


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sie direkt aus Mutter Erdes Leib geboren sind. Zu ihren Ehren kleiden sich die eindrucksvollen Tiere in den Brauntönen der Erde. Ihre massiven Körper wirken wie vorbeiziehende Erdhügel, die Köpfe gewaltig, die Augen sanft. Wie ein tiefer Luftzug, welcher durch ein Erdloch dröhnt, klingt der Atem der Büffel. Ihr Kommen lässt die Erde beben, wie fernes Donnergrollen. Droht Gefahr, ziehen die Büffel einen schützenden Kreis um ihre Jungen, denn wie keine andere Tiernation verstehen sie die Gesetze des Lebens. Sie wissen, dass das Opfer einiger das Überleben vieler sichert und somit das Leben im Gleichgewicht hält.

      Die Büffelnation kennt so viele Geschichten, wie es Grashalme in der Prärie gibt, und diese hier erzählt von einem jungen Bullen.

      Am Anfang unserer Reise trug der Bulle noch keinen Namen, da er seinen Platz in der Herde noch nicht gefunden hatte. Doch der junge Büffel verspürte deswegen keine Eile, denn wie jeder seiner Artgenossen trug er das Wissen um viele Dinge bereits in seinem Herzen. Er war ein kräftiger Bursche und neben seiner stattlichen Größe auch mit reichlich Neugierde gesegnet. Die Welt außerhalb der Herde reizte ihn und mit jedem neuen Tag begann ihn die Sicherheit seiner Sippe mehr einzuengen.

      Die Büffelnation kannte keine wirklichen Feinde, ihre Zahl war zu gewaltig. Also hatte sie verschiedene Abkommen mit anderen Tiernationen getroffen. Gleichwohl, dass der Büffel das mächtigste Tier der Prärie war, so hatte er ein ebensolch großes Herz für das Wohl anderer. Deshalb gab er sein Fleisch, sein Fell und seine Knochen an Schwächere. So wie er sich opferte für Wölfe und andere Raubtiere. Ebenso half er den Präriehunden und schützte sie vor Jägern, die ihre Höhlen gerne mitten unter den Büffeln bauten. Bei Regen wurden die Behausungen der Präriehunde geflutet, was wiederum den Boden aufweichte, damit neues Gras für die Büffel und andere Tiernationen gedeihen konnte. Selbst mit den Zweibeinern hatten die Büffel ein Bündnis, denn sie waren weise und erkannten, dass die Menschen ohne sie nicht überleben würden.

      Es waren eben jene Zweibeiner, welche das Interesse des jungen Bullen weckten. Für ihn waren sie seltsame Wesen mit schwachen Körpern und zwei Beinen. Er verbrachte viel Zeit damit, sie zu studieren und sich über sie zu amüsieren. Dabei gingen die Zweibeiner oftmals fälschlich in der Annahme, dass sie ihn beobachteten und nicht umgekehrt. Trotz all ihrer offensichtlichen Unzulänglichkeiten besaßen die zweibeinigen Wesen aber eine Gabe, die der Bulle immens schätzte: Es war die Fähigkeit, Kunst herzustellen. Der junge Büffel bewunderte ihre bunten Malereien, die schönen Kleider mit ihren Stickereien und er liebte ihre Musik.

      Wie alle Büffel wusste er um die spezielle Verbindung zwischen seiner Nation und der ihren. Beide wachten übereinander, jede auf ihre eigene Art. Natürlich waren ihm die Wege seiner Sippe bekannt, doch es waren die Wege der Zweibeiner, die er verstehen wollte. So kam es an einem besonders heißen Sommertag, dass der junge Büffelbulle entschied, die Zweibeiner kennenzulernen.

      Vater Sonne hatte die Prärie bereits einige Male begrüßt, als eines Morgens ein junger Mann auftauchte. Nur in ein wunderschönes Büffelfell gehüllt, ohne Schuhe und Besitztümer irrte er durch die Grashügel. Er konnte sich nicht erinnern, woher er kam und wer er war. Fast war es, als ob er einfach aus dem Erdboden emporgestiegen wäre.

      Nach einer Weile erreichte er eines der verstreuten Lager der Menschen. Sie hießen ihn herzlich in ihrer Mitte willkommen und lehrten ihn ihre Sprache und Bräuche. Er lauschte ihren Stimmen und Geschichten, beobachtete, wie sie Kleider und Schmuck herstellten, und begann bald selbst seine eigenen Bilder mit den Farben von Mutter Erde zu erschaffen. Er begriff, dass all diese Gaben und Talente der Menschen ein Geschenk des Großen Geistes waren. Es war seine Aufgabe, diese in Ehren zu halten und von Mutter Erde zu lernen. Mit der Zeit gliederte sich der junge Mann in die Sippe ein. Sie wurde seine Familie und er war glücklich. Doch keiner wusste, welch großes Opfer er gebracht hatte, um all diese Dinge erfahren zu dürfen.

      Er kannte die Sprache der Büffel, allerdings wusste er nicht warum, doch es war ihm bewusst, dass sie ihm nicht allein gehörte, denn die Büffelsprache war auch die Sprache von Mutter Erde.

      So lehrte er sie seiner Sippe – so wie viele andere Dinge, die der Welt der Zweibeiner vollkommen unbekannt waren.

      Die Menschen, mit denen er lebte, erfüllten sein Herz mit Freude, dennoch fühlte sich der Mann oft verlassen. Auch hatte er Mühe, das Fleisch der Büffel zu essen, und geriet oft genug auf zwei Beinen ins Straucheln. Dazu trug er stets sein Büffelfell mit sich und oftmals sah man ihn, wie er sich den Weg mit der mächtigen Herde teilte. Niemals zuvor hatte es jemanden gegeben, den die Büffel so nahe duldeten. Sie schienen ihn zu respektieren und auf seltsame Weise mit ihm verbunden zu sein. Die Alten erkannten, woher seine Stärke kommen musste, und nannten ihn Der Mann, der als Büffel ging. Sie sahen in ihm einen Mann, der wissbegierig und neugierig auf die Welt war.

      Die Menschen erzählen sich, dass er einer der besten Tänzer wurde, und wenn seine Füße den Boden berührten, schien es, als würde ein Büffel tanzen. Mit seinem Atem schlug er Wölfe und sogar Bären in die Flucht und mit seiner tiefen Stimme lockte er die scheuen Präriehunde an. Er lachte gerne und kannte die außergewöhnlichsten Geschichten.

      Es war an einem besonders heißen Sommertag, lange nachdem er Der Mann, der als Büffel ging geworden ist, als er plötzlich aus dem Dorf verschwand. Nur seine Kleidung wurde im Grasland gefunden, aber da war kein Büffelfell.

      Als die Zweibeiner seine Besitztümer fanden, entdeckten sie einen einzelnen Büffel, der auf einem Hügel in der Nähe stand und sie beobachtete. Sie konnten sich nicht erklären, was genau geschehen war, doch sie wussten, dass Der Mann, der als Büffel ging seiner wahren Natur gefolgt war. Traurig, aber auch glücklich für ihn, machten sich die Zweibeiner zurück auf den Weg ins Dorf.

      Der Büffel sah ihnen nach, bis sie seinem Blick entschwunden waren. Dann drehte er sich langsam um und ging mit kräftigen Schritten zurück zu seiner ursprünglichen Familie.

      Es wird erzählt, dass Der Mann, der als Büffel ging keine Kinder hatte. Aber wenn du ganz genau hinsiehst, entdeckst du ihn in der Standhaftigkeit eines Menschen. Du fühlst ihn im Tanz und du hörst ihn, wenn deine Füße den Boden berühren. Du kannst ihn in Bildern von beiden seiner Sippen antreffen – Büffel und Mensch. Du erkennst ihn in den selbstlosen Opfern, die jemand zum Wohle der Sippe macht. Und du kannst ihn in der Liebe beobachten, die jemand für alles, was lebt, empfindet, denn er hat den Zweibeinern den Weg der Büffel gelehrt.

      Viele Menschen mögen es vergessen haben, aber die Büffel sind heilige Tiere, die einen aus ihren Reihen geschickt haben, der seine Haut gewechselt hat, um das Bündnis zwischen Mensch und Tier zu stärken. Die Büffelnation erinnert sich an die Geschichte dieses Gestaltenwandlers so wie an einen Grashalm in der schier endlosen Prärie. Und sie ehrt ihn mit seinem wahren Namen – Der Büffel, der als Mann ging.

      Das Lied der Sonne

Das Lied der Sonne

      „Nichts Süßeres gibt es, als der Sonne Licht zu schauen.“

      Euripides

      Vorsichtig spähte der kleine Spirit in den runden Raum. Ein sanftes Licht schimmerte im Inneren des runden Raumes und brachte seinen Wagemut kurz ins Wanken. Unschlüssig blieb er stehen und wanderte in Gedanken den langen Gang entlang. Dort, irgendwo zwischen den Welten, saß Großvater Sonne und träumte. Eigentlich hatte der Spirit sich nie etwas anderes gewünscht, als Großvater Sonne zu dienen. Unzählige Mühen hatte er auf sich genommen und trotzdem jedes Mal, wenn er vor Großvater Sonne stand, hielt dieser ihn mit den Worten „Hab Geduld, deine Zeit wird kommen“ hin.

      Unmengen solcher Ausflüchte hatte der junge Spirit hingenommen, bis zu jenem Tag, als Großvater Sonne seinen Bruder zu sich gerufen hatte. Ausgerechnet ihn hatte er damit beauftragt, sich gemeinsam mit einigen anderen um die Lieder des Lebens zu kümmern. Es gab leise und laute, junge und alte Lieder, manche von ihnen veränderten sich beständig, andere blieben bestehen wie seit Beginn. Für jedes einzelne Wesen hatte die Urmutter ein Lied komponiert.

      Kurzum es war eine Ehre, über die Lebenslieder


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