Besser als nix. Nina Pourlak

Besser als nix - Nina Pourlak


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dass ich mich besser mit ihr verstehe als mit ihm. Stimmt ja zurzeit auch.

      Natürlich ist Oma begeistert von der Berufsempfehlung. Ich könnte sie ja dann unter die Erde bringen und alle ihre Bekannten hier auch, meint sie strahlend. Hier gäbe es große Nachfrage. Das sind Konsequenzen, die ich noch nicht bedacht habe, die machen mir erst richtig Angst. Und es würde bedeuten, dass die Leute denken, ich hätte sehr viel Einfühlungsvermögen, wenn sie mir so etwas empfehlen, setzt sie noch schmeichelnd hinzu.

      So habe ich das noch gar nicht betrachtet. »Ich bin sehr stolz auf dich, mein Junge«, meint sie anerkennend. Wenn ich sie nicht kennen würde, würde ich wahrscheinlich glauben, sie macht sich über mich lustig. Aber für sie ist es keine Frage, ob ich dort antreten soll oder nicht. Oder was »die Leute im Ort« von so einem Job halten. Es ist ein Abenteuer, und die Frage ist eigentlich nur, wann es losgeht. Typisch.

      Ich habe ziemlich die Zeit vergessen mit ihr und bin schon wieder zu spät dran. Das passiert mir jedes Mal, weil das Altersheim nun mal auf dem Weg liegt und ich mich fast immer zu einem Zwischenstopp hinreißen lasse. Weil sie einfach so gut zuhören kann und weil das ein Ort ist, an dem absolut keine Hektik herrscht, an dem Zeit kaum noch eine Rolle zu spielen scheint und ich deswegen immer vergesse, auf die Uhr zu gucken.

      Ungeduldig wartet mein Fahrlehrer Herr Seibel auf dem Parkplatz. Er hat hier im Ort Generationen von Autofahrern mit seiner ganz persönlichen Schulterblick- und Einparktechnik geprägt, denn das ist die einzige Fahrschule weit und breit. »Wo bleiben Sie denn? Die Stunde beginnt um Punkt sechs und sie wird durch Ihr Zuspätkommen nicht länger!«, schimpft er gekränkt. Er ist das nicht gewöhnt. Alle hier sind verrückt darauf, schnellstmöglich ihren Führerschein zu machen. Bloß ich komme immer zu spät.

      Carsten hat mir diese Stunden geschenkt – das gehört alles noch ins Gesamtpaket von diesem braun gebrannten, topfitten Fußball spielenden, Auto fahrenden Sohn, der ich nicht bin.

      Ich finde, ich brauche gar kein Auto, ich habe ja das Internet. Damit kann ich in Sekunden die ganze Welt durchqueren. Ich sage nur: Google Earth. Aber kein Wunder, dass er das nicht versteht, er kann ja noch nicht mal eine E-Mail verschicken, wie gesagt.

      Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wirklich richtig draußen Auto zu fahren, um ehrlich zu sein. Die ganzen Schilder und Verbote, die ganzen Dinge, die passieren können. Die Welt um mich und diese Blechkarosse herum. Hilfe!

      Was ich will, ist entweder zu nah dran oder zu weit weg, als dass ein Auto mir dabei helfen würde, es zu erreichen. Manchmal fahre ich so ruckelig, als ob selbst der Wagen nicht wüsste, ob er lieber vor- oder zurückfahren soll. Oder stehen bleiben. Das hasst mein Fahrlehrer am meisten, wenn wir dann so bescheuert durch die Gegend hoppeln und die anderen Autofahrer schon grinsend zu uns rübergucken.

      Muss ich hier etwa abbiegen? Meine Gedanken schweifen schon wieder ab, ich kann mich nicht entscheiden – hinter uns hupt es. Herr Seibel runzelt die Stirn. Aber zum Glück ist die Stunde jetzt auch vorbei. Ich bin jedes Mal erleichtert, wenn wir lebend wieder auf den Parkplatz einbiegen. Er auch, glaub ich.

      Zu Hause flackert das Lämpchen von unserem Anrufbeantworter so auffordernd, dass es mir sofort ins Auge springt. Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass überhaupt einer die Möglichkeit genutzt hat, seine Stimme hier für uns aufzuzeichnen. Kein Mensch außer uns hat überhaupt noch einen AB, oder? Ich hatte jedenfalls schon fast vergessen, dass es dieses Gerät überhaupt gibt. Eine junge Frau, die meinen Namen spricht, ist auf dem Band (Weltpremiere!).

      Sarah. Sie wollte noch mal anrufen, weil sie vorhin so hektisch verschwunden sei. Und wegen der Berufsberatung. Sie wisse, dass sich das seltsam anhöre, aber sie hätte ein gutes Gefühl mit diesem Vorschlag, »Bestattungsfachkraft«. Sie könnte sich vorstellen, dass das genau das Richtige für mich sei. Ob ich mich nicht wenigstens mal dort melden könnte, es mir mal ansehen, vor allem, wenn ich mir hier ohnehin schon so verloren vorkäme (hatte ich etwa verloren gesagt?). Ich könnte ihr ja dann auch erzählen, wie es war. Sie nennt ihre Nummer.

      Ich höre mir die Ansage mindestens noch fünf Mal an, als handele es sich um ein ganz kompliziert verschlüsseltes Liebesgedicht, das nur wir beide verstehen.

      Die wunderschöne Referendarin mit dem zarten Pfirsichduft und dem blonden Flaum an den Wangen, der dunklen Stimme und den spitzen Dracula-Eckzähnen, dem Busen, der – aber von dem schreib ich ja nichts mehr – fragt persönlich an, was ich von ihrer Idee halte. Sie hat bemerkt, dass ich auf diesem Planeten lebe, und kennt meinen Namen. Einen Teil ihrer Lebenszeit hat sie investiert, um mich anzurufen. O.k. Das allein ist ein Triumph. So ziemlich der Größte in den letzten Wochen und Monaten.

      Ich krame die Zettel hervor und greife zum Hörer, wie ferngesteuert. Ich seh das jetzt erst mal als Recherche. Nur für dich, Sarah, denk ich. Nur für dich. Und damit ich nicht noch mal zum Arbeitsamt muss. Ich geb’s zu.

      Bei Discount-Bestattungen ist ein Anrufbeantworter dran. »Wenn Sie einen Todesfall melden möchten, wählen Sie bitte die Eins. Wenn sie Fragen zur Bestattungsvorsorge haben, wählen Sie bitte die Zwei. Und wenn Sie einen Sachbearbeiter sprechen möchten, dann sind unsere Sprechzeiten ...«

      Alles klar. Ich lege auf und wähle dann die andere Nummer.

      »Bestattungsinstitut Heimkehr, Petrowa. Challo?«

      Ein Dorf weiter und die Leute sprechen mit deutlich russischem Akzent. Na so was.

      »Ich – guten Tag. Hallo. Tom Rasmus. Ich rufe wegen der Ausbildungsstelle an. Nur mal so. Kann ich ihnen die Daten auch mailen? Na, meine Bewerbungsunterlagen. Nein. Gut. Brauchen Sie gar nicht. Direkt vorbeikommen? Sofort? Nein. Das geht nicht. Morgen? Geht auch morgen? Morgen schon. Ja. Zehn Uhr, alles klar. Und meine Zeugnisse – O.k. Gut. Danke.«

      Ich bin eingeladen. Mein Gott, ging das schnell. Die brauchen aber ziemlich dringend jemanden, oder? Das ist eigentlich kein gutes Zeichen. Ich weiß noch nicht mal, ob ich das überhaupt werden will, und bin schon eingeladen. Was mach ich jetzt bloß? Bei Sarah will ich mich noch nicht melden. Die muss ja nicht wissen, dass ich da sofort angerufen habe. Ich bin ja schließlich nicht ihr Roboter. Soll ich Mike anrufen? Eigentlich sind wir schon lange keine richtigen Freunde mehr. Also schon, irgendwie – aber irgendwie ist das auch schon zu lange her. Ich geh nachher ins Feld, die sind bestimmt wieder alle da. Die sind immer da. Ich kauf einen Sixpack.

      Oder ich geh gar nicht hin, morgen. Ich bewerbe mich einfach wo anders. Das ist doch wirklich total absurd. Was weiß diese Sarah schon von mir? Warum sollte sie über mein Leben bestimmen? Ich rauche erst mal eine. Das ist total verboten bei uns Sportskanonen zu Hause. Auch wegen dem Krebs.

      Früher hab ich mir den wirklich vorgestellt wie so ein Tier, was in Deinen Körper gekrabbelt ist und da dann alles kaputt gemacht hat. Dieser Krebs.

      Liege auf dem Bett rum und stell mir mein Leben als Bestattungsfachkraft vor. Spinne rum. Rauchen passt irgendwie zu diesem Berufsbild. Totengräber, wie in alten Western. Leichen pflasterten seinen Weg. Ich habe noch nie eine Leiche gesehen.

      4 die nacht des lebenden toten

      Ich bin irgendwie weggenickt und jetzt ist es schon dunkel. Lüfte mein Zimmer rasch. Papa sitzt unten und schaut fern. Ich will mich vorbeistehlen, doch natürlich sieht er mich und fragt gleich, wie’s gelaufen ist. Er sieht so einsam aus dabei, vor seinem gekachelten Wohnzimmertisch, dass er mir richtig leidtut. Ich glaube, er sieht sich das Programm auch gar nicht bewusst an. Das rauscht alles an ihm vorbei, wie Lebensgeräusche, die er als Kulisse für sein Dasein braucht. Ich muss einfach stehen bleiben.

      »Und. Was hat der Berufstest ergeben?«

      Vielleicht findet er es ja auch gut, oder? Besser als gar nichts?

      »Sie haben mir etwas empfohlen«, sage ich nebulös. »Und ich habe auch schon angerufen vorhin. Und ich bin für morgen eingeladen«. Schnell laufe ich zur Haustür.

      Liebe Damen und Herren von der Presse, Tom Rasmus beantwortet jetzt leider keine weiteren Fragen mehr zu diesem Thema.

      »Ja, und, das ist ja toll, und wo? In der Reifenfabrik?


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