Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung. Detlev Sakautzky
aus dem Leben gerissen wurde. Es ist nicht der Friedhof, die Friedhofskapelle im heimatlichen Ort, wo wir Abschied nehmen, sondern das Deck unseres Schiffes. Lasst uns Chris gedenken“, sprach der Kapitän mit fester Stimme und verneigte sich vor dem Sarg.
Die Männer verharrten regungslos. Der Schrei einzelner Möwen, die Geräusche des Windes und das durch die Wasserpforten an Deck spülende Seewasser begleiteten die Zeremonie des Gedenkens.
Nach dem Signal aus dem Typhon, ausgelöst durch den Ersten Steuermann, hoben die neben dem Sarg stehenden Männer diesen auf das Schanzkleid. Durch die Krängung des Trawlers nach Steuerbord glitt der Sarg in die brechenden Wellen und versank in die Tiefe des Atlantiks. Das Schiff trieb vor Wind und Wellen und entfernte sich langsam von der Bestattungsposition.
Eine lange Zeit standen die Männer noch am Schanzkleid und gedachten des Kollegen und Freundes.
In Gruppen verließen die Männer das Deck, suchten ihre Kammern auf oder begannen mit dem Tages- und Wachdienst.
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Der Wetterbericht meldete schweren Sturm aus Nordwest rechtsdrehend.
„Veranlassen sie das Ziehen von Strecktauen auf dem Arbeits- und Bootsdeck“, befahl der Kapitän dem Bestmann, nachdem dieser die Brücke auf Anforderung betreten hatte.
Nicht selten verursachten die überkommende See sowie das Krängen und das Stampfen des Schiffes Unfälle beim Begehen des Decks. Auf der vorletzten Reise hatte sich der Netzmacher durch einen Sturz auf dem Arbeitsdeck, verursacht durch große Krängungen des Schiffes, die Hand gebrochen.
Über den Bordfunk wurde die Besatzung durch den Ersten Steuermann aufgefordert, die Bullaugen in den Kammern mit den angebrachten Stahlblenden zu verschließen, um beim Brechen des Glases durch Seeschlag einen Wassereinbruch in den Kammern zu verhindern.
Netzreparaturarbeiten, Spleißen von Netzstandern und Stropps, Konservierung von Schäkeln, Blöcken und Tauwerk, Reinigung der Betriebsgänge, Kammern und Stores wurden während der Heimfahrt durch die nicht im Wachdienst Tätigen vorgenommen. Das Verhalten der Männer hatte sich aufgrund des schlimmen Ereignisses verändert. Sie waren in sich gekehrt und in ihren Gedanken häufig bei Chris. Fröhlichkeit, Spaß und Heiterkeit fehlten gänzlich.
In der Nordsee, im Skagerrak und Kattegat nahm der Wind zusehends ab, in der Ostsee trat eine wesentliche Wetterverbesserung ein.
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Am frühen Morgen lief das Schiff mithilfe des Lotsen im Fischereihafen ein. Es hatte ein wenig geschneit. Endlich wieder zu Hause! Zoll-, Arbeitsschutz- und Grenzschutzbehörde, der Einklarierer der Reederei, der „Geldmann“ und die Angehörigen der Besatzung warteten geduldig und beobachteten das sich nähernde Schiff.
Die Mutter von Chris war nicht gekommen.
Das Festmachen des Schiffes erfolgte auf der Steuerbordseite, vor der Fischhalle.
Martin beaufsichtigte das Festmachen auf dem Vorschiff.
„Vorspring über!“, rief der Kapitän aus der Brückennock in Richtung Vorschiff.
Die an der Vorspring befestigte Wurfleine wurde auf die Pier geworfen und durch die Festmacher an Land erfasst. Die Spring wurde an Land gezogen. Das Auge wurde über den Poller gelegt. Auf dem Vorschiff wurde die Leine durch die bereitstehenden Decksleute über den Doppelpoller geholt und langsam mit gefiert.
„Nicht in die laufenden Buchten treten!“, warnte Martin die vor dem Poller stehenden Decksleute.
„Halt fest die Vorspring!“, rief der Kapitän, der das Anlegen des Schiffes überwachte.
Björn wiederholte die Order und legte einen weiteren Törn um den Doppelpoller und hielt die Spring fest.
„Spring ist fest!“, rief Björn.
Hans Blank hielt den Fender zwischen Bordwand und Pier, um Beschädigungen am Schiff und Pier zu verhindern. Das Schiff näherte sich langsam dem Pier.
„Vorleine an Land!“, befahl Martin.
Die Vorleine wurde auch mithilfe der Wurfleine übergeben, die hinter dem Auge mit einem Slipsteg befestigt war. Die Festmacher an Land zogen die Leine auf den Kai und legten das Auge über den Poller. Auf dem Vorschiff holten zwei Decksleute die Vorleine durch und belegten diese über den doppelten Kreuzpoller. Achtern erfolgte die Übergabe der Leinen parallel zur Übergabe der vorderen Leinen.
„Schiff ist fest!“, meldete Martin dem Kapitän.
„Relingstreppe, Landgang anbringen und sichern!“, befahl der Kapitän den Bestmann von der Brückennock aus, der unverzüglich mit Hans Blank die Land-Schiff-Verbindung herstellte.
Die Behörden gingen an Bord und meldeten sich beim Kapitän. Es erfolgte die Kontrolle der Schiffsdokumente und die Übergabe des Unfallberichtes. Der Zeitpunkt der Nachuntersuchung des Unfalls durch die Arbeitsschutzbehörde wurde für den Nachmittag festgelegt.
Der Zoll kontrollierte das Schiff auf Schmuggelware, insbesondere auf die an Bord gekauften zollfreien Zigaretten.
Der „Geldmann“ ging in die Messe und bereitete die Auszahlung der Heuer vor. Er hatte zwei Aktentaschen, mit Geld gefüllt, mitgebracht. Jedes Besatzungsmitglied erhielt eine Lohntüte, die eine Abschlagszahlung und die Restzahlungen der letzten Reise enthielt sowie einen personenbezogenen Abrechnungsbogen. Die Freigabe zum Betreten des Schiffes für die Angehörigen erfolgte erst, nachdem die Behörden ihre Zustimmung gegeben hatten. Die Männer gingen mit ihren Angehörigen in die Wohnkammern. Einige Ehefrauen hatten ihre Kinder mitgebracht, die ihre Väter freudig erwarteten, umarmten und das Neueste aus der Familie berichteten.
Das Entladen des Schiffes erfolgte durch die Männer des Löschgangs. Der Lukendeckel des ersten Raumes wurde abgenommen, die Thermodeckel und das Eis wurden aus dem Lukensüll entfernt. Der Fisch wurde in Körbe gesammelt, mittels einer Talje auf ein Förderband gehievt und ausgeschüttet. In der kühlen, lang gestreckten Fischhalle wurde der Fisch, überwiegend durch junge kräftige Frauen, unter strenger fachlicher Aufsicht des Gütekontrolleurs, vom Band sortiments- und qualitätsgerecht in Holzkisten sortiert und mit Eis abgedeckt. Der Transport der gefüllten Kisten erfolgte mit Elektrokarren in die bereitstehenden Kühlwaggons, die den nachgefragten Fisch ins Land auf die Großmärkte zum Verkauf brachten.
Die letzten Besatzungsmitglieder verließen gegen Abend das Schiff. Die Arbeitsschutzbehörde hatte wichtige Zeugen zum Unfall befragt. Block und Läufer wurden durch Martin an die Arbeitsschutzbehörde zur Materialprüfung übergeben.
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Der Schiffswachdienst der Reederei übernahm die Bewachung des Schiffes für die folgenden Tage. Martin ging als Letzter von Bord. Das bestellte Gütertaxi seines Bruders war gekommen. Die persönlichen Sachen von Chris, zwei volle Seesäcke, wurden aufgeladen. Platz fand auch der von Chris ausgewählte Stein.
Abends kam er am Heimatort an. Sein erster Weg führte zu Frau Kleinke. Martin betrat alleine das Haus. Frau Kleinke wartete im Wohnzimmer. Martin ging auf sie zu. Es wurde nicht gesprochen. Beide umarmten sich und weinten leise. Martin schilderte ihr das Geschehene und die Seebestattung. Er überreichte das Beileidsschreiben der Besatzung und einen Geldbetrag.
Beide gingen vor das Haus. Martin übergab ihr die Seesäcke mit den persönlichen Sachen und den von Chris aufbewahrten Stein. Er legte den Stein im Blumenbeet des Vorgartens ab, wie es der Wunsch der Mutter war.
Am anderen Tag, nachmittags, besuchte Linda Frau Kleinke. Sie hatte sich nach dem letzten Kirchgang bei ihr angemeldet. Der Tod von Chris hatte Linda schwer getroffen. Gestern hatte der Hausarzt ihre Schwangerschaft bestätigt, die sie schon vermutet hatte.
Von Chris aufbewahrter Stein.
Sie teilte Frau Kleinke die heimliche Verlobung und ihre Schwangerschaft mit. Das Geständnis von Linda löste bei Frau Kleinke Hoffnung, Freude und Kraft aus. „Liebe Linda, die Zeit für mich ist schwer, auch Du