Sturmzeit auf Island. Susanne Zeitz

Sturmzeit auf Island - Susanne Zeitz


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heutige Tag ist eine einzige Katastrophe. Eine Achterbahn der Gefühle. Auch mit Wodka lassen sich die Gedanken nicht einfach abschalten. In ihrem Inneren ist der Vulkan der Vergangenheit erwacht und brodelt heiß vor sich hin, steht kurz vor dem Ausbruch. Als sie endlich in einen unruhigen Schlaf fällt, kommt die kleine Kristin zurück und nimmt sie wieder mit auf die Reise in ihre Kindheit.

      KAPITEL 7

       Akureyri 1964

      Der Morgen bringt mit seiner Dunkelheit auch noch eine unheimliche Stille mit. Eine traurige Stille, die allerdings bald durch das Kommen und Gehen der Nachbarn und Freunde durchbrochen wird. Alle statten der Verstorbenen einen letzten Besuch ab und versammeln sich anschließend in der großen Küche zu einem Umtrunk.

      Kristin tritt aus ihrer Kammer. Die Puppe fest an sich gedrückt, schleicht sie über den Flur. Vorsichtig drückt sie die Türklinke hinunter und stößt die Tür ein klein wenig auf. Da liegt doch die Mutter immer noch im Bett! Ach, sie ist ja so froh. Schnell eilt Kristin zu ihr. Doch irgendetwas stimmt nicht. Diese fremde Frau mit den starren, wächsernen Gesichtszügen und den heruntergezogenen Mundwinkeln ist nicht ihre Mutter. Hat die Elfenfrau sie etwa verzaubert, sie gegen eine Puppe ausgetauscht? Zaghaft berührt sie die auf der Decke liegenden, gefalteten Hände. Eiskalt! Kristin weicht erschrocken zurück, dreht sich um, rennt aus dem Zimmer und versteckt sich unter ihrer Bettdecke.

      Die Tage vergehen in dumpfer Traurigkeit, die auch dem Weihnachtsfest, auf das sich Kristin so sehr gefreut hat, den hellen, feierli-chen Glanz nimmt. Es gibt keinen Baum mit Strohsternen und Goldengeln und auch keinen flauschigen Wollpullover.

      Katla, Sagas erstgeborene, unverheiratete Tochter, zieht ins Trauerhaus, um sich um das Baby zu kümmern. Sie löst die Hebamme ab, die endlich das Haus verlässt. Kristin atmet auf. Die rothaarige Frau ist ihr unheimlich, auch wenn die Oma gesagt hat, dass sie keine Elfenfrau sei. Trotzdem, irgendetwas hat sie mit dem Tod ihrer Mutter zu tun.

      Die Tage werden allmählich wieder heller, der Winter mit seinen eisigen Winden zieht sich zurück und der Frühling flattert wie ein bunter Schmetterling über das Land. Menschen und Tiere atmen auf.

      Auch Kristin fühlt sich leichter. Die Trauer verliert ihre Schwere, das Leben kehrt wie in die Natur, so auch in die Familie zurück.

      Kristins siebter Geburtstag fällt auf einen sonnigen Julitag, der im Garten mit einer großen Geburtstagstorte gefeiert wird. Endlich liegt auch der Weihnachtspullover fertig gestrickt auf ihrem Gabentisch.

      Eines Abends, als Kristin noch einmal das Klohäuschen aufsuchen muss, wird sie ungewollt Zeugin einer lautstarken Unterhaltung zwischen ihrer Oma und ihrem Vater. Sie bleibt vor der geschlossenen Küchentür stehen und spitzt die Ohren.

      „Du solltest Katla zu deiner Frau nehmen. Du weißt, dass sie dich liebt, schon immer geliebt hat. Hekla würde sich freuen, wenn ihre Schwester an ihre Stelle treten würde. Sie wäre den Kindern eine gute Mutter“, hört sie Saga sprechen.

      „Ich habe mich damals in deine jüngste Tochter verliebt und nicht in Katla. Ich bin ihr sehr dankbar, was sie für Olaf und Kristin tut, aber ich kann sie nicht heiraten, weil ich mich in eine andere verliebt habe“, erwidert Magnus mit kalter Stimme. „Sie wird im Herbst hier als neue Bäuerin einziehen und sie wird den Kindern eine gute Mutter werden.“

      „Das kannst du Katla nicht antun!“

      „Ich habe ihr nie was versprochen. Das weißt du ganz genau!“

      „Wer ist sie?“

      „Steinunn, die Hebamme“, antwortet Magnus ruhig.

      „Dieses rothaarige Weib mit ihrem Trollenkind?“, kreischt Saga. Das verhasste Bild einer anderen Frau drängt sich in den Vordergrund. Sigrún, Steinunns Mutter. Die Frau, die ihr damals Gustav weggenommen hat. Saga spürt, wie ihr die Hitze in den Kopf schießt.

      „Weib, pass auf, was du sagst! Sie ist eine ehrwürdige Frau und ich liebe sie.“ Magnus schlägt mit der Faust auf den Tisch.

      „Das ging ja schnell, dass du meine Tochter vergessen hast. Meinen Segen bekommst du jedenfalls nicht für diese Heirat. Sie wird uns mit ihrem Balg nur Unglück bringen, wie ihre Mutter damals über mich Unglück gebracht hat“, kreischt Saga.

      Magnus schüttelt ärgerlich den Kopf, dreht sich um und reißt so unvermittelt die Tür auf, dass es Kristin nicht mehr gelingt, sich unbemerkt davonzuschleichen. Sie landet direkt an seiner Brust.

      „Solltest du nicht längst im Bett sein?“ Ihr Vater runzelt ärgerlich die Stirn. „Und gelauscht hast du auch?“

      „Entschuldige, das wollte ich nicht“, stottert Kristin. „Du darfst die Elfenfrau nicht heiraten“, entschlüpft es ihr.

      „Was redest du denn da! Geh sofort ins Bett, bevor ich mich vergesse“, droht er und hebt die große Hand.

      Kristin rennt heulend die Treppe hinauf in ihre Kammer. Die Elfenfrau zieht hier ein und bringt ein Trollenkind mit, hat die Oma gesagt. Kristin weint sich verzweifelt in den Schlaf.

      Als der November mit Nebel und Eisregen den nahen Winter ankündigt, bringt Magnus Steinunn und ihre kleine Tochter Elin ins Haus.

      „Schau Kristin, das ist jetzt deine neue Mutter und das ist Elin, deine neue Schwester.“ Stolz und voller Freude stellt er die beiden seiner Tochter vor.

      Kristin erstarrt. Der Alptraum ist also wahr geworden und gleich in zweifacher Ausführung, denn Elin sieht ihrer Mutter mit denselben roten Haaren und grünen Augen sehr ähnlich.

      „Meine Mutter ist im Himmel. Ich brauche keine neue und ich brauche auch keine neue Schwester. Ich habe Olaf“, ruft sie aufgebracht. Zornige Tränen steigen ihr in die Augen. Nein, sie will keine neue Mutter! Mit wehendem Kleid reißt sie sich von seiner Hand los und stürzt die Treppe hinauf in ihre Kammer. Die Tür fällt mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss.

      „Kristin, komm sofort herunter!“, schreit Magnus und stürmt mit puterrotem Kopf hinter ihr her.

      „Magnus lass sie! Sie wird sich schon an uns gewöhnen“, ruft ihm Steinunn hinterher.

      „Ich verlange von dir Respekt und gutes Benehmen. Haben wir uns verstanden?“ Er steht breitbeinig in der offenen Tür. Seine Stimme klingt drohend.

      Kristin nickt ängstlich mit dem Kopf. So wütend hat sie ihren Vater noch nie erlebt. Er liebt sie nicht mehr!

      „Ich höre nichts“, herrscht er sie an.

      „Ja, ich hab’s verstanden“, antwortet sie leise.

      Als ihr Vater die Kammer verlässt, sinkt sie verzweifelt auf ihr Bett. Er kann sie nicht zwingen, die neue Frau liebzuhaben. Sie wird ihre Mutter niemals verraten, das nimmt sie sich fest vor.

      Als Steinunn kurz darauf mit Elin Kristins Kammer betritt, um sie in das leere Bett gegenüber zu legen, dreht sie den beiden den Rücken zu und gibt vor zu schlafen.

      Mit dem Vorsatz, der Mutter treu zu bleiben und die Eindringlinge zu hassen, fällt sie in einen unruhigen Schlaf.

      KAPITEL 8

       Elin, Konstanz 2017

      Elin verlässt als Letzte das Antiquitätengeschäft und schließt die Tür hinter sich ab. Es hat zu regnen begonnen. Ein leichter, freundlicher Sommerregen, der die drückende Hitze wegspült. Elin nimmt einen tiefen Atemzug. Sie ist froh über die Abkühlung. Zum Glück befindet sich ihr Geschäft in der Konstanzer Altstadt. Die gewölbeartigen Räume sind im Sommer angenehm kühl.

      Nachdenklich gestimmt, schlendert sie unter ihrem großen Sonnenblumenschirm durch die alten Gassen der Niederburg. Es herrscht viel Betrieb. Sommergäste, Geschäftsleute und Einkaufende bevölkern die Altstadt. Vom nahen Münster sind sieben Schläge der Turmuhr zu hören.

      Wie es Julia wohl geht? Ob ihr


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