ironisch Short Stories. Mark Jischinski

ironisch Short Stories - Mark Jischinski


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baut sich vor ihm auf, öffnet eine kaum sichtbare Tür in der Wand und entnimmt dieser einen Koffer. »Also. Im Falle einer Notsituation sind die Fluchtwege ausgeschildert.« Er hebt beide Arme und verweist mit ihnen zum Ausgang und auf grüne Leuchtleisten am Boden. »Unser Fluchtwegesystem garantiert Ihnen, auf schnellstem Wege außerhalb dieser Anlage zu sein.« Dann öffnet er den Koffer und entnimmt diesem eine Atemschutzmaske.

      »Sollte der Druck in Ihrer Kabine abfallen, oder aber der Rauch- und Duftmelder unangemessene Gase im Luftgemisch feststellen, ertönt ein Warnsignal und Sie setzen sofort diese Maske folgendermaßen auf.«

      Er macht es dem Mann vor und bleibt mit der Maske auf seinem Gesicht vor ihm stehen. »Haben sie alles verstanden?«

      Der Mann spürt, wie ihm Schweiß auf seinem Rücken abwärts läuft. Er atmet jetzt stoßweise. Dann presst er hervor: »Darf ich jetzt?«

      »Gern!«, sagt Hans etwas zu laut durch seine Maske, »denn schließlich steht Ihr Wohlergehen im Mittelpunkt. Wenn ich Ihnen die Brille noch einmal desinfizieren darf?«

      Und schon ist er zur Toilette geschnellt und hat einen Knopf bedient. Die Spülung ist zu hören und die Klobrille dreht sich einmal durch ein Reinigungsgerät. »Bitte«, sagt Hans und zeigt auf die Schüssel. Der Mann drängt sich an ihm vorbei, öffnet unter Schmerzen seine Hose.

      »Würden Sie dann bitte gehen?«, fragt er. Hans schaut ihn verwundert an. »Warum?«

      »Weil ich jetzt ungestört hier sitzen möchte und einfach nur … «

      »Wie Sie wünschen. Wir gehen ganz auf unsere Kunden ein. Ich warte dann vor der Tür.« Hans verlässt die Box und schließt die Tür. Der Mann lässt die Hosen und den Slip runter und setzt sich. Er versucht krampfhaft die Vorstellung loszuwerden, dass da jemand vor seiner Box steht. Das strengt ihn wahnsinnig an. Es stört ihn. Doch Stück für Stück verschwimmt das Bild vom Hans vor der Tür und Entspannung tritt ein. Er merkt, wie der Druck in seinen Därmen nachlässt.

      »Wenn Sie mich brauchen, sagen Sie es einfach. Ich bin für Sie da«, ruft ihm Hans eine Nuance zu fröhlich von draußen zu. Offenbar hat er auch seine Maske wieder abgesetzt.

      Alle Entspannung ist dahin. »Lassen Sie mich endlich in Ruhe scheißen!!«, schreit der Mann wütend nach draußen. In diesem Moment entspannt er völlig. Dann folgt Stille.

      »Darf ich Ihnen nun das feuchte Papier reinreichen?«, fragt Hans durch die Tür.

      »Nein!«, brüllt der Mann, während er das normale Papier abrollt und es seiner Bestimmung zuführt. Endlich ist er fertig, sein Bauch ist noch immer aufgebläht, aber er spürt keine Schmerzen mehr. Er betätigt gerade die Spülung, als es von außen dröhnt: »Aber das hätte ich doch machen können!«

      »Das schaffe ich schon!«, ruft der Mann. Dann öffnet er die Tür, schaut mit einem bitterbösen Blick auf Hans und sagt:

      »Danke, Sie können jetzt reingehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

      Hans geht tatsächlich in die Box und der Mann will gar nicht wissen, was er dort zu tun gedenkt. Am Tresen empfängt ihn Jo. Lächelnd kommt er auf ihn zu.

      »Und, wie hat es Ihnen bei uns gefallen?«

      Der Mann schaut zu ihm. »Etwas aufdringlich fand ich alles.«

      Jo freut sich. »Gern nehme ich auch Ihr negatives Feedback entgegen. Wenn ich Sie bitten darf, hierzu unseren Fragebogen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit auszufüllen? Es sind nur fünfzig Fragen und gerade Menschen wie Sie werden uns helfen, unseren Service in Zukunft noch besser auf die Bedürfnisse unserer Kunden abzustimmen.«

      »Nein danke. Nehmen Sie ihren albernden Fragebogen und wischen Sie sich damit … «, der Mann stockt, »ach, vergessen Sie es einfach. Auf Wiedersehen.«

      Gerade will der Mann sich an Jo vorbeipressen, als Hans von hinten kommt und ruft: »Jo, du musst den Mann aufhalten. Er muss noch nachzahlen.«

      »Nachzahlen?«, entfährt es dem Mann.

      Hans steht inzwischen vor ihm. »Ja, das müssen Sie. Unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen hängen am Eingang aus. Und danach sind in den Kosten von siebzig Cent nur fünfhundert Gramm Stuhl enthalten. Und bei Ihnen hat unsere integrierte Waage mehr gemessen.« Dann schaut er ihn durchdringend an: »Deutlich mehr!«

      Jo schüttelt seinen Kopf. Der Mann schweigt. Dann presst er sich an Jo und Hans vorbei, rennt zum Ausgang, immer weiter bis zu seinem Auto, startet es und rast davon. Auf der Autobahn versucht er alles zu verarbeiten, doch es gelingt ihm nicht. An der nächsten Raststätte fährt er ab, um einen Kaffee zu trinken. Er parkt das Auto, geht zum Restaurant und öffnet die Tür.

      Eine junge Frau tritt ihm entgegen. »Willkommen bei Tank und Rast. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Um ihre Zeit bei uns so angenehm wie möglich … «

      Dem Mann wird schwarz vor Augen und er fällt.

      Das war es also. Alexander stand vor einer Tür und er hatte das unangenehme Gefühl zu wissen, was ihn dahinter erwarten würde. In den Vorstellungen der Menschen war alles viel schöner und erhabener. In Wirklichkeit aber schien es eher wie der Gang in einer Behörde, auf dem er vor dem Zimmer mit der Zuständigkeit für die Buchstaben K bis M stand. Langsam öffnete sich die Tür und hinter einem Schreibtisch konnte er einen Mann in seinem Alter sehen.

      »Aha, der Alexander Martin. Kommen Sie, setzen Sie sich.«

      Der Mann war sehr freundlich zu ihm. Gab ihm die Hand zur Begrüßung, lächelte. Obwohl es um ihn herum tatsächlich wie in einem Amt aussah. Er blätterte ein paar seiner Papiere durch. Geburtsurkunde, Personalausweis, ja sogar eine Kopie seines Totenscheins konnte Alexander erkennen.

      »Und«, hob der Mann die Stimme von Neuem, »wie hat es Ihnen dort gefallen?«

      »Eigentlich ganz gut«, antwortete Alexander ehrlich, wobei ihm seine Antwort ein mulmiges Gefühl im Bauchraum bereitete.

      »Eigentlich oder ganz gut?«, bohrte der Mann nach.

      »Ein paar Sachen hätten schon besser sein können«, überlegte Alexander laut.

      »Zum Beispiel?« Der Mann hatte einen Stift zur Hand genommen und machte sich Notizen.

      »Ich wäre gern ein paar Zentimeter größer gewesen. Und schöner.«

      Der Mann kritzelte etwas auf seinen Block und schaute zu Alexander.

      »Das müssen Sie bei Ihren Eltern einklagen, nicht bei mir. Noch etwas? Ein paar andere Mängel?«

      »Dann eben Erfolg, Geld und Glück. Hatte ich alles nicht«, antwortete Alexander, nun fast traurig.

      Der Mann schaute auf seine Aufzeichnungen, dann zu Alexander. Er runzelte die Stirn.

      »Nun. Das hätten Sie jederzeit haben können. Es lag in Ihren Händen. Sie wollten bloß nicht.«

      »Wollte ich wohl!«, entfuhr es Alexander wie einem trotzigen Kind und er bemerkte seine Überreaktion sofort. Kleinlaut fügte er hinzu: »Entschuldigung.«

      Der Mann grinste und blieb ganz ruhig. »Glauben Sie mir. Ich habe Sie beobachtet. Wir beobachten alle. Monate, Jahre habe ich nach Ihnen geschaut. Immer wieder gehofft, bis es mir zu langweilig wurde. Sie wollten nicht.«

      Alexander überlegte kurz, ob er etwas entgegnen und diesem Schreibtischtäter ein paar Notwendigkeiten und Zwänge aus dem wirklichen Leben darlegen sollte. Aber zum einen war er sich nicht sicher, was der Mann alles über ihn wusste, und zum anderen gab es an diesem Ort sowieso keine Wirklichkeit mehr. Und das Leben, das er kannte, wahrscheinlich auch nicht.

      Der Mann sagte: »Wir wissen alles über Sie. Wie oft Sie krank waren, wie oft Sie gelogen haben, ja sogar, wie oft Sie Sex hatten.«

      »Oh ja, tatsächlich?? War es oft, also vergleichsweise?«

      »Ich


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