ironisch Short Stories. Mark Jischinski

ironisch Short Stories - Mark Jischinski


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Gesicht.

      »Sie haben da übrigens noch Kompott am Kinn.«

      Sie reichte mir ein Taschentuch und ich wischte mir ihr Geschenk aus dem Gesicht.

      »Vielen Dank, Frau Köpfe. Ich schaue jetzt trotzdem einmal nach den Kabeln.«

      Der erste Blick unter den Tisch genügte. Das DSL-Kabel steckte nicht im Rechner. Ich behob den immensen Schaden, kam wieder unter dem Schreibtisch hervor und klickte auf die Internetverbindung.

      »So, nun müsste es wieder gehen.«

      Ein Fenster nach dem anderen ploppte auf.

      »Huch, was haben Sie denn da?«

      Frau Köpfe wurde rot. »Ach das!? Nichts weiter. Nur ein kleiner Zuverdienst. Wissen Sie, meine Rente ist ja nicht so üppig.«

      Dann wurde ich rot. Über dem letzten Fenster stand es deutlich: Chat4U, Username »wild_vampire«. Darunter unser Chat von letzter Woche.

      Wir waren bloß wegen eines dämlichen Kabels so lange getrennt. Und das Treffen in Echtzeit hatte ich nun endlich auch.

      Noch eine Viertelstunde länger und ich wäre geplatzt. Endlich sehe ich das Schild mit dem Hinweis auf eine Raststätte in fünf Kilometer Entfernung. Ich trete das Gaspedal durch, keinen Gedanken an die Umwelt, denn jetzt geht es um mehr. Es geht um mich und mein Wohlergehen. Meine Blase drückt bereits an den Gurt und ich überlege kurz, ob ich den Gürtel meiner Hose öffnen sollte. Doch ich lasse es sein, weil ich ihn beim Aussteigen wieder schließen müsste und das könnte seltsam auf andere wirken. Ich setze den Blinker und bremse ab. Auf der Abbiegespur fahre ich noch hundert Sachen, den Weg zum Parkplatz bringe ich mit einer runden sechzig hinter mich. Das Auto steht, ich steige aus, schließe ab und renne in die Raststätte. Eine kurze Unterbrechung zur Orientierung und schon weiß ich, wohin ich gehen muss. Im Keller finde ich eine hochtechnisierte Anlage, bei der ich zunächst siebzig Cent in einen Schlitz stecken muss, bevor ich ein Drehkreuz passieren kann. Nach wenigen Schritten erreiche ich eine Box, gehe hinein, schließe die Tür, reiße mir Hose und Slip runter und setze mich. Von lebensbedrohender Körperspannung zur puren Erleichterung sind es manchmal nur Sekunden. Ich atme noch etwas schnell, weil ich rennen musste, doch langsam macht sich Ruhe in mir breit. Plötzlich höre ich aus einem Lautsprecher eine Stimme. Störend. Nervtötend. »Willkommen bei Sanifair. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Um ihre Zeit bei uns so angenehm … « Das alles mit einer esoterisch angehauchten Melodie im Hintergrund.

      Ich halte meine Hände an die Ohren. Das kann doch nicht wahr sein! Kann die mediale Volldröhnung nicht wenigstens hier aufhören? Oder muss das bei einem Preis von siebzig Cent einfach sein? Ist das der Zusatznutzen, den ich gar nicht bestellt hatte? Singt jetzt gleich Queen »Under pressure« in der Acoustic-Version? Oder Keimzeit »Lass es laufen den Berg hinunter … «? Haben die noch nie etwas vom stillen Örtchen gehört? Ich komme mir vor wie im Flugzeug. Warum nicht gleich die Sache richtig angehen? Ich lehne mich zurück, und beginne zu träumen.

      In eine Sanifair-Bedürfnisanstalt der Zukunft kommt ein nervöser Mann, von einem Bein auf das andere tretend. Ein persönlicher Sanifair-Betreuer empfängt ihn freundlich:

      »Guten Tag! Ich möchte Sie im Namen von Sanifair bei uns begrüßen und Ihnen einen angenehmen Aufenthalt wünschen. Ich heiße Jochen Kulke, aber meine Freunde nennen mich Jo. Mein Team und ich werden Sie heute begleiten. Wollen Sie mir bitte folgen?«

      Der nervöse Mann wird noch nervöser, sieht Jo aber in die richtige Richtung gehen. Die Erlösung von seinen Qualen scheint nicht mehr weit. Jo dreht sich um.

      »Darf ich Sie noch fragen, welche unserer Leistungen Sie gedenken, in Anspruch zu nehmen?«

      Der nervöse Mann vernimmt ein Knurren in seinen Gedärmen und spürt erhöhten Druck in der finalen Strecke seines Verdauungstrakts. Er denkt: ›Kann man hier nicht einmal in Ruhe scheißen?‹, doch er sagt es nicht. Jo schaut ihn durchdringend an: »Welche Leistung, der Herr?«

      Der Mann reagiert nicht. Nicht ohne Grund ist Jo für solche Momente geschult. Deshalb unterstützt er gern.

      »Wird es bei Ihnen eher etwas größeres oder etwas kleineres? Oder, anders gefragt, können Sie dabei stehen oder müssen Sie sich setzen?«

      Der Mann presst mit hochrotem Kopf durch die Lippen: »Ich würde mich gern setzen.«

      Jo setzt sein verbindliches Lächeln auf. »Gern!« Er strahlt den Mann an, als habe er soeben in einem Sternerestaurant die Bestellung für Jakobsmuscheln entgegen genommen. »Dann darf ich Sie nun in die Obhut von Hans, Ihrem persönlichen Betreuer geben.«

      Der Mann zögert. Der zweite Betreuer? Ist das nicht etwas übertrieben? Doch Jo scheint seine Gedanken lesen zu können. »Wir bei Sanifair haben ein ganzheitliches Konzept, um unseren Gästen ein Optimum an Kundenservice zu bieten. Sie werden merken, dass Sie Hans gar nicht bemerken. Er ist nahezu unsichtbar und doch nah genug bei Ihnen, um für Ihr Wohlergehen zu sorgen.«

      ›Aber meine Güte, ich will doch bloß scheißen‹, denkt der Mann, der gerade sehr schmerzhaft von seinem Enddarm an den Grund seiner Begegnung mit Jo und Hans erinnert wird. Da kommt sein persönlicher Betreuer auch schon um die Ecke. Ein gut trainierter und gebräunter Sonnyboy um die dreißig, weißes T-Shirt, eine Idee zu Slimfit, eine weiße Hose und Birkenstocksandalen. Er streicht sich eine seiner schwarzen Locken hinter das Ohr und reicht dem Mann die Hand. »Ich bin Hans. Folgen Sie mir bitte zu unseren Premium-Boxen.«

      »Premium-Boxen?«, entfährt es dem Mann erstaunt.

      »Sind Sie kein Premium-Kunde?«

      »Nein. Nicht, dass ich wüsste.«

      Hans schaut streng zu Jo und zieht eine seiner perfekt gezupften Augenbrauen nach oben. Jo zuckt mit seinen Schultern und zischt ihm zu: »Ich dachte schon.«

      »Was muss ich denn tun, um Premium-Kunde zu werden?«, fragt der Mann.

      Die Mienen von Jo und Hans hellen sich deutlich auf. Jo zieht von irgendwoher einen Flyer und reicht ihn dem Mann. Hans zückt einen Kugelschreiber und sagt:

      »Sie müssten bitte hier einen Antrag auf eine Sanifair-Goldcard ausfüllen.«

      Der Mann sieht die beiden erstaunt an. Krämpfe durchzucken seinen Bauch. Er kann kaum noch stehen. »Und was habe ich davon?«

      Jo scheint nur auf diese Frage gewartet zu haben. »Sie haben eine Eins-zu-Eins-Betreuung, bekommen trockenes und feuchtes Toilettenpapier in zwei Duftrichtungen und brauchen nicht mehr selbst zu spülen. Wenn Sie wollen, bekommt Ihre Partnerin auch eine Karte. Dann dürfen Sie unsere Partnerboxen nutzen. Zeit für Partnerschaft in höchst intimen Momenten gehört zu unserem Credo, gerade in Zeiten der Vereinsamung, der Entfremdung und fortschreitender Individualisierung«, proklamiert er politikeresk.

      Dem Mann steht inzwischen der Schweiß auf der Stirn. »Können wir das nachher noch klären? Ich würde dann gern einfach nur … «

      »Natürlich«, ereifert sich Hans nun, »Ihr Wohl steht selbstverständlich an allererster Stelle. Darf ich vorausgehen? Sie bekommen einfach eine Premium-Betreuung, damit Sie gleich merken, was das für ein Vorteil ist.«

      Der Mann nickt, Jo nimmt ihm Flyer und Stift ab und verabschiedet sich mit einem freundlichen Grinsen. Dann folgt der Mann Hans. Selbiger bleibt nach wenigen Schritten vor einer Box stehen, öffnet diese und macht eine ausladende Handbewegung in das Innere. »Bitteschön!«, sagt er wie ein Hotelpage. Doch als der Mann eintreten will, stellt sich Hans in den Weg. »Wenn ich Sie nun noch mit unseren Sicherheitsvorschriften vertraut machen darf?«

      Der Mann greift sich auf den Bauch und schaut mit sehnsüchtigem Blick auf die Kloschüssel direkt vor ihm. »Aber ich will doch einfach nur …!«

      »Ich weiß«, sagt Hans, »denn Ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Doch die Sicherheitsvorschriften sind nun einmal verpflichtend. Sonst bekommen wir wieder Ärger.« Der Mann


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