Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl

Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl


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Alte, Kinder, sogar die Kranken haben sich rausgeschleppt. Manche verlieren die ein oder andere Träne, was im Regen völlig untergeht. Seine Tochter, die Aurelia, ist schon abgeführt worden von der Polizei, sitzt im Bully mit dem Blaulicht auf dem Dach.

      Der Schah erhebt erneut seine Stimme: „Labe eâr chere fotlan mamnunam …“

      Zuerst werden die Backen vom Dolmetscher rosig, dann der ganze Schädel fuchsrot, was auch die Schweißperlen nicht vereiteln können. Stille auf dem Marktplatz, die Rothenburger warten gespannt, was ihnen der Schah zu sagen hat, auf die Worte des rotkopferten Dolmetschers. Der schaut zum Schah, würd ihn am liebsten fragen, was er da eigentlich gesagt hat. Aber dem Schah sein gestrenger Blick, den er nur allzu gut kennt, hindert ihn daran, diesen Blödsinn zu machen, obwohl ja eigentlich der Schah, vulgo König, derjenige ist, der gerade Blödsinn macht.

      In der geschlossenen Psychiatrie im Bezirkskrankenhaus (BKH) Ansbach tobt derweil ein Mann, der wie der König ausschaut, im Wechsel Flüche auf Farsi und Englisch ausstößt und behauptet, der Schah von Persien zu sein.

       Die Geburt des Kaisers

      Später fragte sich Bartholomäus König oft, ab wann seine Eltern wussten, dass er am selben Tag wie der Schah von Persien zur Welt gekommen war: am 26. Oktober 1919. Denn ihre Anspielungen waren auffällig zahlreich gewesen. So wurde davon gesprochen, dass er jetzt dort hingehe, wo selbst der Kaiser zu Fuß hingeht. Das mag eine geläufige Redewendung und eine Ermunterung der Mutter gewesen sein, in Erwartung einer baldigen Zukunft ohne Windel. Und sie wollte dadurch sicherlich auch erklären, warum er zu Fuß aufs Klosett gehen musste und sich nicht von ihr tragen lassen durfte, auch wenn er noch so sehr belferte. Vor allem aber wird es daran gelegen haben, dass sich Mutter König die Kleider nicht dreckig machen wollte. Denn Dreck war für sie gleichbedeutend mit Unordnung. Selbst ein Halbblinder konnte es beobachten, wie sich ihre Gesichtszüge verkrampften, entdeckte sie Unordnung, wie körperlich schmerzhaft so ein Anblick für sie war.

      Wenn seine Mutter ihn auf den Thron setzte, wie sie sagte, war er schon ein wenig verwundert darüber, dass er außerhalb des Throns nicht walten durfte wie ein König. Selbst wenn er es so nicht ausdrücken konnte mit seinen zwei Jahren, es war eher ein Verlangen nach mehr, nach Verwirklichung, nach Freiheit. Darum versuchte er, an seiner Wirkung als König zu arbeiten. So, wie er es in den Geschichten gehört hatte, die ihm seine Großmutter von den Königen aus dem Morgenland erzählt hatte. Noch dazu hatte die Oma gesagt, dass derjenige, der auf dem Thron sitze, „gerade regiert“. Und dass er regieren würde, hatte sich der König angesichts der Mutter und ihres Regimes von Anfang an gewünscht. Auch wenn er es wieder nicht so formuliert hätte. Also bastelte er sich aus dem Zeitungspapier, das als Klopapier diente und von dem er immer einen schwarzen Hintern bekam, eine Krone. Samt eines Zepters: Dafür rollte er die Zeitung zusammen, denn eine Klobürste gab es damals noch nicht.

      Die Mutter beeindruckte er damit nur wenig. Und das, obwohl der Bartholomäus extra aufrecht auf dem Töpfchen saß und mit stolz geschwellter Brust, das Zepter schwingend, eine vollmundige Rede an sein Volk hielt: „Sieliewale, Sieliewewe, Tschagapeng bilabung sufschuwa, lieck!“

      Aber anstatt sich an der Phonomonologie des zwei Jahre alten Hosenscheißerherrschers zu erfreuen, warf Mutter König Krone und Zepter in den lodernden Ofen und Bartholomäus in sein Zimmer. Wie gesagt, er spürte die Unterdrückung, so, wie er spürte, dass er auf den Thron musste, weil er es einmal zu lange unterdrückt hatte und dann war die Sauerei und damit die Unordnung und damit die Unruhe bei der Mutter und auch der blaue Popo beim Bartholomäus groß, sodass er sich gar nicht mehr wie ein Bartholomäus fühlte, sondern mehr wie der König. Sofern ich mich richtig erinnere. Denn das liegt mittlerweile knapp hundert Jahre zurück und so ein Gehirn verstaubt ja auch ein wenig über die Jahrzehnte, von den ganzen Dingen, die darin herumstehen, und den Menschen, Tieren und Pflanzen, die sich darin herumtreiben.

      So schön wie der Schah von Persien, der Mohammad Reza Pahlavi, hat es der Bartholomäus König also nicht gehabt, wie er auf die Welt gekommen ist. Wobei, um das zu verifizieren, müsste man den Auslandskorrespondenten von Persien fragen, wie der Iran damals noch geheißen hat. Und ob ich den gleich erreiche, kann ich nicht versprechen. Darum erzähle ich jetzt lieber von der Geburt vom König, der damals noch nicht einmal Bartholomäus genannt wurde.

      Wir schreiben das Jahr 1919. Es brodelt in und um München. Der große Krieg ist vorbei, der Kaiser hat Reißaus genommen in die Niederlande und nicht wenige Mannsbilder sind auf dem Schlachtfeld geblieben. Und die Weiberleut waren froh, wenn s’ überhaupt einen gekriegt haben, damit sie sich beim Tanzen nicht einen Antänzer kaufen haben müssen. Aber dafür hätte die Mutter vom König eh keine Zeit gehabt, weil sie ja hochgradigst schwanger war, mit einem Bauch, der sie sakrisch genervt hat; weil: Unordnung im Bauch, im Gedärm, in ihrem Kopf sowieso, dieses Mal nicht nur wegen der Unordnung außerhalb, sondern wegen den Hormonen.

      Die König ist also gerade in den Schwammerln unterwegs, die nach einem kräftigen Herbstguss am Morgen des 26. Oktobers aus dem saftig-würzigen Waldboden sprießen, zwischen Tannennadeln, Laub und Ameisen. Im Korb liegen Maroni, Eierschwammerl und ein paar Steinpilze, obwohl sie sich mit dem Bücken schon arg schwertut. Das Wasser läuft ihr gerade im Mund zusammen bei dem Gedanken an die Knödl mit Rahmschwammerl, da spürt sie es: Der Bartholomäus macht einen Purzelbaum. Der erste in seinem Leben. Sie schnauft ganz arg und überlegt, was sie machen soll. Sie stellt den Korb mit den Schwammerln auf den Boden und langt sich an den Bauch. Da trifft sie ein Tropfen am Hirn und es zwickt: Der Bartholomäus hat in die Fruchtblase gebissen. Das Wasser, in das er gerade noch hineingepieselt hat, rauscht hinaus wie das Wasser in der nahen Isar Richtung Bad Tölz. Als wollt die Mutter diese Sauerei sofort aus sich heraus haben.

      Die König spürt, wie es nass wird in der Unterwäsch und furchtbar laut in ihrem Kopf. Sie weiß, jetzt ist gleich der Moment der Niederkunft gekommen. Sie versucht zu überlegen, was ihr gar nicht so leicht fällt, weil es ja so laut ist zwischen ihren Schläfen. Was noch verstärkt wird durch die harten Tropfen, die jetzt in immer größerer Zahl durch die gelbbraunen Blätter jagen und auf ihrem Kopf einschlagen. Donk! Donk! Donk! Sie kommt sich vor wie ein Fassl, das gerade angezapft wurde; nur von innen und nicht von außen. Da fällt ihr das Glashaus ein.

      Vor einer halben Stunde ist sie vorbeigelaufen an dem Glashaus, von dem sie schon bei der Kramerin und in der Kirch gehört hat. Ja, die Leut reden eigentlich seit Tagen von nix anderem mehr. Von den drei Staderern, den Brüdern Peter, Franz und Ottmar Ostermayr, die sich da, im Wald, südlich von München, eine Halle aus Glas ins Nirgendwo stellen. „Glashaus“, sagen die Leut. Und weiter: „Die Bildl für das Kintopp festzuhalten, das geht nicht ohne Licht.“ So wie es heut in den Bavaria Filmstudios einen Scheinwerfer braucht, um einen Film zu drehen, so haben die damals das Tageslicht gebraucht.

      Der König ihre Unterleibsschmerzen werden immer heftiger, sie schnauft, so wie man es aus den Filmen kennt, die es damals noch gar nicht gegeben hat. Trotzdem schafft sie es, samt Korb und Bartholomäus, bis zum Glashaus. Schon von Weitem hört sie es klopfen, hört Pferdl schnauben, Männer schreien. Dann sieht sie das Stahlgerippe, in dem schon einzelne Fensterscheiben befestigt sind. Darin: riesige Pfannen, Stangen, Tische. Drum herum: Anhänger, Zelte und Rösser, die die in Decken eingepackten Glasscheiben auf dem Anhänger ziehen und denen genauso heiß ist wie dem Fuhrknecht, den immer die Sorge umtreibt, die Gläser könnten zu Bruch gehen. Dieser Fuhrknecht ist dann auch der erste, der ihr zur Hilfe eilt und fragt: „Was hast denn?“

      Seine Frau, die Else, die gerade die Brotzeit vorbeigebracht hat, streicht sich über ihre weiße Schürze, sagt: „Pack ma’s!“ Und dann kümmert sie sich auch schon um ihre Geschlechtsgenossin.

      Ich glaub, das kann ich so sagen, auch wenn die König nicht mit den Roten sympathisiert hat. Die Frau vom Fuhrknecht nämlich schon. Die hat das ganz pfundig gefunden, was die im April in München gemacht, wie die die Herrschaft an sich gerissen haben, obwohl manche von denen sagen, dass sie gar keine Herrschaft haben wollen, weil sie ja Anarchisten sind. Wie der langhaarige, bartige Erich Mühsam zum Beispiel. Aber ich schweife ab, was kein Wunder ist, weil auch mein Puls steigt angesichts der Niederkunft von der König.

      Die


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