Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung (Band 2). Detlev Sakautzky

Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung (Band 2) - Detlev Sakautzky


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Hälfte meines Frühstücksbrotes“, antwortete Franz.

      „Brot mit Leberwurst?“, fragte Hans.

      „Einverstanden“, sagte Franz.

      Hans gab ihm das Lösungsblatt. Ab jetzt machte Hans weitere „Geschäfte“, auch mit anderen Kindern aus der Klasse. Er aß nur das halbe Frühstücksbrot, die andere Hälfte packte er für seinen Bruder ein. Über sein Verhalten hatte sich die Mutter sehr gefreut und streichelte Hans über das Gesicht.

      Am Sonntagvormittag spielte Hans mit Hildegard im großen Wohnzimmer des Bauern. Sie besaß ein Reiterspiel. Es wurde gewürfelt. Die Anzahl der gewürfelten Augen erlaubten dem Spieler sein Pferd entsprechende Schritte vorzusetzen. Der Spieler hatte gewonnen, dessen Pferd als Erstes das Ziel erreichte. Die Bäuerin rief Hildegard zur Mittagsmahlzeit. Hildegard packte das Spiel zusammen und legte es weg. Hans nutzte die Gelegenheit und stahl ein Pferd aus dem Spielkasten, das er in seiner Hosentasche versteckte. Frau Solltau sah das Pferd beim Aufräumen der Spielkiste.

      „Hans, woher hast du das Pferdchen“, fragte Frau Soltau neugierig.

      „Das Pferdchen habe ich mir bei Hildegard genommen. Sie hat so viele davon“, antwortete Hans.

      „Hat Hildegard dir das Pferdchen geschenkt?“, fragte Frau Solltau misstrauisch.

      „Nein“, antwortete Hans leise.

      „Du gehst jetzt zu Hildegard und bringst das Pferdchen zurück“, sagte Frau Solltau mit Bestimmtheit.

      Hans drehte sich wie ein Wurm.

      „Merke dir eins, wir sind keine Diebe!“, sagte die Mutter laut und konsequent.

      Hans ging nach unten und klopfte an die Küchentür des Bauern. Hildegard öffnete die Tür.

      „Hildegard, entschuldige bitte, ich habe das Pferdchen mitgenommen und bringe es zurück“, sagte Hans ganz leise.

      Hildegard nahm das Pferdchen und schlug die Küchentür zu. Hans ging zurück zur Mutter.

      Frau Solltau hatte das Sonntagsessen aufgedeckt, Kartoffelsuppe mit Speckwürfeln. Es schmeckte allen. Bis zum Gottesdienst war noch etwas Zeit. Hans las Robert Märchen aus dem Buch vor, dass ihm Frau Seits geschenkt hatte. Robert war ein aufmerksamer Zuhörer.

      *

      Frau Solltau hatte den Boden der Kirche gefegt und auf den Bänken Staub gewischt. Der Pastor und der Kantor waren gekommen. Der Pastor zog seinen Talar an, der Kantor prüfte die Orgel. Hans läutete die Glocke. Sieben Besucher saßen auf den Kirchenbänken, alle waren Flüchtlinge aus Pommern. Heute sprach der Pastor über die Zehn Gebote. „Du sollst nicht stehlen“, sagte der Pastor, dabei schaute er zufällig zu Hans.

      „Woher weiß der Pastor, dass ich das Pferdchen gestohlen habe“, sagte er leise. Dann schaute der Pastor zu Frau Leitner.

      „Du sollst nicht Ehe brechen“, predigte der Pastor weiter.

      Das ist unmöglich, dachte Hans. Die Frau war für diese Sünde schon zu alt. Da irrt sich der Pastor, dachte Hans. Nach der Predigt gab der Kantor Hans ein Zeichen mit der Hand. Hans begann den Blasebalg, zu treten. Die kleine Gemeinde sang das Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“. Der Gottesdienst war danach zu Ende. Hans läutete die Glocke, Frau Solltau sammelte die kleine Kollekte ein und trug den Betrag in ein kleines Buch. Sie übergab den Geldbetrag dem Pastor. Die drei verabschiedeten sich. Hans schloss die Kirche ab und ging mit der Mutter und Robert zufriedenen nach Hause.

      *

      In der letzten Zeit war abends Stromsperre. Heute auch. Frau Solltau zündete die Kerze an und stellte sie auf einen großen Teller. Durch tropfendes Kerzenwachs wurde die Kerze auf dem Teller befestigt. Danach sangen sie gemeinsam Weihnachtslieder. Die Mutter sang vor, Hans und Robert summten mit. Beiden gefiel das gemeinsame Singen und Summen. Frau Solltau gab den Kindern Bonbons und las danach weitere Märchen vor.

      „Eure Haare sind zu lang, ihr seht aus wie die Räuber im Wald. Hans setze dich bitte auf den Stuhl und lege dir ein Handtuch um den Hals. Ich schneide dir zuerst die Haare“, sagte die Mutter und holte den Kamm und die Schere aus einer kleinen Schublade.

      „Nicht so kurz, wie das letzte Mal“, bettelte Hans.

      Die Mutter erfüllte den Wunsch und kürzte die Haare zur Zufriedenheit ihrer Kinder.

      Die Kinder der Bauern gingen zum Friseur im Nachbarort oder warteten bis dieser die Bauern der Reihe nach zu Hause aufsuchte. Häufig erhielten die Kinder einen militärischen Haarschnitt. Vorn, an den Seiten und hinten kurz. Aber so rutschten die Mützen von den Köpfen, weil der Stoff keinen Halt mehr auf der glatten Oberfläche fand.

      Frau Solltau bereitete nach dem Haare schneiden das Abendessen. Es gab zwei Scheiben Roggenbrot in Tee getränkt, leicht mit Zucker bestreut und warme Milch.

      *

      In den folgenden Wochen ging die Mutter zusammen mit Robert und Frau Fettig, die aus Litauen vertrieben worden war, schon vormittags in den Wald, um Holz zu sammeln. Die Brennstoffe auf den Bezugskarten reichten alleine nicht aus. Frau Fettig hatte einen kleinen Handwagen, auf dem das zerhackte Holz in Säcken transportiert wurde.

      Zwei Tage vor Weihnachten fanden die Frauen unter einer Eiche einen toten Hasen in einer ausgelegten Schlinge. Dabei war das Auslegen von Schlingen treng verboten und wurde bestraft. Frau Solltau nahm den Hasen aus der Schlinge und öffnete mit einem kleinen Messer den Balg. Sie zog ihm das Fell über die Ohren und teilte den Körper in zwei Teile. Die Fleischteile wurden in Lappen verpackt und in den Holzsäcken versteckt. Sie teilte sich das Hasenfleisch mit Frau Fettig und dachte dabei an ihre Kinder. Diese hatten schon eine lange Zeit kein Fleisch mehr gegessen. Das Fell des Hasen wurde von den beiden Frauen vergraben und die Fundstelle unkenntlich gemacht.

      *

      Endlich war Heiligabend, die Kinder freuten sich schon lange auf die kommenden Stunden und hofften auf ein Geschenk von der Mutter. Frau Solltau hatte von Frau Seits die Spielsachen ihres Sohnes, der in Frankreich gefallen war, geschenkt bekommen. Bauklötze, Kinderbücher, ein Holzpferdchen, einen Bauernhof, aus Stoff vier Schäfchen und eine Kuh. Die Augen der Kinder strahlten, als die Mutter die Spielsachen verteilte. Hans freute sich besonders über das Holzpferdchen und die Kinderbücher. Das Hungergefühl war bei den Kindern weg. Spielen mit richtigen Spielsachen war ein lang ersehnter Wunsch von Hans. Am Heiligabend ging dieser in Erfüllung.

      Zum Abendessen kochte Frau Soltau eine süße Milchsuppe mit Mehlklunkern, es gab dazu eine dünn mit Margarine bestrichene Scheibe Brot. Die Mutter zündete eine Kerze am selbst gefertigten Weihnachtsbaum an. Der Fuß des Baumes steckte in einer runden beschädigten Topfkuchenform, die Hans auf dem Schrottplatz gefunden hatte. Die Form hatte die Mutter mit Kohlenstücken beschwert. Der kleine Baum stand fest und fiel nicht um. Gemeinsam sangen sie das Lied „Ihr Kinderlein kommet“. Die Augen von Hans und Robert leuchteten.

      Sie spielten mit den Geschenken bis in den späten Abend hinein. Am Morgen des ersten Weihnachtstages kam Hildegard und schenkte Hans und Robert zwei schöne rotbäckige Äpfel und eine kleine runde geräucherte Blutwurst. Hans bedankte sich bei Hildegard, wünschte ihr und den Eltern ein schönes Weihnachtsfest und schenkte ihr einen besonders großen Tannenzapfen, den er im Wald gefunden hatte.

      „Was gibt es heute Mittag zu essen? Es riecht so gut und einmalig“, fragte Hans neugierig die Mutter.

      „Heute gibt es ‚Falschen Hasen‘, gebraten und gekocht, Pellkartoffeln und Soße“, antwortete die Mutter.

      „Was ist der Unterschied zwischen einem ‚falschen‘ und einem ‚richtigen‘ Hasen“, fragte Hans interessiert die Mutter.

      „Falsche Hasen leben im Wald und richtige Hasen im Stall“, sagte die Mutter ganz leise. Hans fragte nicht weiter. Wichtig ist, dass er uns alle satt macht und gut schmeckt, dachte Hans.

      Der falsche Hase hatte allen geschmeckt. Hauptsache Hase, ob falsch oder richtig, dachte die Mutter und füllte den Teller zum zweiten Mal bis zum ersten Rand.

      Nachmittags


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