Rasse, Klasse, Nation. Immanuel Wallerstein

Rasse, Klasse, Nation - Immanuel Wallerstein


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in einer popularisierten Fassung, in einer volkstümlichen Publikation mit sehr großer Auflage unter die Leute gebracht worden ist: G. Faye (Hg.), »Dossier choc: Immigrés: Demain la haine«, J’ai tout compris. Nr. 3, Juni 1987.

      Nachbemerkung: Erst nach Abfassung dieser Untersuchung ist mir das Buch von Pierre-André Taguieff (La Force du préjugé. Essai sur le racisme et ses doubles, Editions La Découverte, 1988) zugänglich geworden, in dem er die Analyse, auf die ich mich oben bezogen habe, beträchtlich weiterentwickelt, vervollständigt und zugleich in ihrem Resultat verschiebt. Ich hoffe, dieses Buch demnächst so diskutieren zu können, wie es dies verdient.

      Kapitel 2

      Ideologische Spannungsverhältnisse im Kapitalismus: Universalismus vs. Sexismus und Rassismus

      Immanuel Wallerstein

      Lange Zeit hat man uns glauben machen wollen, dass die moderne Welt als erste die Grenzen der engen, regional fixierten Bindungen aufgesprengt und die allumfassende Verbrüderung der Menschen verkündet habe. Spätestens seit den siebziger Jahren aber ist uns bewusst geworden, dass schon die Terminologie des Universalismus, die in Sätzen wie Alle Menschen werden Brüder ihren Ausdruck findet, sich selbst Lügen straft, denn dieser Satz zielt nur auf das männliche Geschlecht und schließt somit implizit alle Frauen aus oder verbannt sie in einen untergeordneten Bereich. Es dürfte nicht schwer fallen, die Zahl solcher sprachlichen Beispiele zu vermehren, in denen eine unterschwellige Spannung zwischen der fortwährenden ideologischen Legitimation des Universalismus in der modernen Welt und der fortwährenden (sowohl materiellen als auch ideologischen) Wirklichkeit rassistischer und sexistischer Strukturen in ebendieser Welt zu Tage tritt. Diese Spannung, oder, genauer gesagt, diesen Widerspruch will ich hier diskutieren. Denn Widersprüche sind nicht nur konstitutiv für die Dynamik historischer Systeme, sie enthüllen auch deren wesentliche Charakterzüge.

      Nach dem Ursprung und dem Verbreitungsgrad der universalistischen Lehre oder nach dem Grund für die Dauer und Fortdauer von Rassismus und Sexismus zu fragen, ist eine Sache. Eine andere ist es, der ursprünglichen Vereinigung der beiden Ideologien nachzuforschen, also dem, was man als symbiotische Beziehung dieser mutmaßlichen Gegensätze bezeichnen könnte. Wir stellen ein offensichtliches Paradoxon an den Anfang. Rassismus und Sexismus sind in der Hauptsache durch universalistische Vorstellungen in Frage gestellt worden, und der Universalismus ist vor allem durch rassistische und sexistische Vorstellungen in Frage gestellt worden. Wir nehmen an, dass die Hauptträger der jeweiligen Vorstellungen gegnerischen Lagern angehören. Nur bisweilen gestatten wir uns die Einsicht, dass (um mit Pogo zu sprechen) wir selbst der Feind sind; dass die meisten von uns (wenn nicht gar alle) überhaupt kein Problem darin sehen, beide Lehren gleichzeitig zu vertreten. Das ist zweifellos beklagenswert, doch will es auch erklärt sein, und es reicht keineswegs aus, einfach auf Heuchelei zu verweisen. Denn dies Paradoxon (oder diese Heuchelei) ist zählebig, weit verbreitet, und strukturell bedingt. Es ist kein vorübergehendes menschliches Fehlverhalten.

      In historischen Systemen älteren Datums war es einfacher, mit sich selbst im Einklang zu sein. Wie sehr sich diese Systeme auch im Hinblick auf ihre Strukturen und Voraussetzungen voneinander unterschieden, so hatten sie alle doch keine Bedenken, bestimmte politisch-moralische Kriterien der Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit zum jeweiligen System aufzustellen. Dabei gewannen der Glaube an die moralische Höherwertigkeit der je eigenen Gruppe und das Gefühl gegenseitiger Verpflichtung innerhalb dieser Gruppe den Vorrang vor irgendwelchen abstrakten Begriffen, die sich auf die menschliche Gattung insgesamt bezogen – falls solche Abstraktionen überhaupt existierten. Sogar die drei monotheistischen Weltreligionen – Judentum, Christentum und Islam – unterschieden auf diese Weise zwischen Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, obwohl sie theoretisch einem einzigen Gott verpflichtet waren, der der gesamten Menschheit sein Gesetz gab.

      Dieser Aufsatz beschäftigt sich zunächst mit den Ursprüngen moderner universalistischer Lehren, untersucht dann die Quellen des modernen Sexismus und Rassismus und wendet sich schließlich der Wirklichkeit zu, die mit der Verbindung der beiden Ideologien (des Universalismus und des Sexismus/Rassismus) vermacht ist, wobei es gleichermaßen um die Entstehung wie auch die Konsequenzen dieser Verbindung geht.

      Es gibt in der Hauptsache zwei Erklärungsweisen für die Entstehung des Universalismus als einer unser gegenwärtiges historisches System kennzeichnenden Ideologie. Man kann den Universalismus zum einen als Kulminationsform einer älteren geistigen Tradition, zum anderen als eine der kapitalistischen Weltwirtschaft besonders angemessene Ideologie betrachten. Die beiden Erklärungsweisen müssen nicht im Widerspruch zueinander stehen. Das Argument, der Universalismus sei das Ergebnis oder der Höhepunkt einer langen Tradition, bezieht sich genau auf die Trias der monotheistischen Religionen. Der entscheidende moralische Schritt, so hieß es, wurde vollzogen, als die (oder einige) Menschen dem Glauben an die Stammesgötter abschworen und die Einheitlichkeit Gottes


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