Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy

Menschen im Krieg – Gone to Soldiers - Marge Piercy


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      Als sie nach dem Baden Seite an Seite lagen und das Salzwasser auf der Haut trocknen ließen, schwiegen beide. Sie lag auf dem Bauch und hatte sich gegen die Sonne den Strohhut in den Nacken geschoben. Sie war dankbar, eine Woche außerhalb von New York zuzubringen. Kay war fort und arbeitete als Betreuerin in einem fortschrittlichen Ferienlager. Normalerweise wäre Kay ein Jahr zu jung dafür gewesen, aber dem Lager fehlten Betreuer, da die Jungen an die Wehrpflicht verloren waren. Louise empfand mehr Erleichterung als Schmerz, zwei Monate von Kay getrennt zu sein. Sie hatten sich ziemlich oft gestritten. Kay gabelte nach wie vor Soldaten auf und behauptete, alle ihre Freundinnen täten das. Louise hatte ihr das Taschengeld gestrichen, ihr Szenen gemacht, ihr gut zugeredet, Familienfreunde eingeschaltet, darauf bestanden, sie von der Schule abzuholen, sie eine ganze Woche lang nicht aus dem Haus gelassen, aber Kay war genauso dickköpfig wie sie. Louise hatte Kay den Einsatz als Betreuerin besorgt, um sie vor Schwierigkeiten zu bewahren.

      Sie sog den salzigen, fast rauchigen Moschusduft ihres Arms ein. Er roch wie eine essbare Köstlichkeit. Sie musste an Kays Haar denken, wenn sie in der Sonne gespielt hatte, als sie schließlich genug Geld hatten, um gelegentlich Urlaub zu machen. Sie erinnerte sich an Ferien in Montauk Point, wo es billige Fischerhütten gab. Der Salzgeschmack des Ozeans war etwas, das als Erster Oscar ihr geschenkt hatte. Sie trödelten immer zu dritt den Strand entlang und suchten nach Strandgut, hoben Muscheln und Steine auf, zerknallten die prallen Kapseln von Blasentang. Sie hatte es genossen, Brooklyn zu entkommen. In einem klümpigen Doppelbett zu liegen und die Wellen hereinrauschen zu hören war erotisch und anheimelnd zugleich gewesen.

      Claude regte sich und seufzte. Er lag auf dem Rücken und schirmte mit einer Hand seine blassblauen Aquamarinaugen ab. Plötzlich drehte er sich um. »Ich weiß nicht, warum, aber ich dachte gerade an St. Malo. C’est en Bretagne. Warst du je dort?«

      »Ich bin leider noch nie in der Bretagne gewesen.«

      »Ich verbrachte oft den August in einem kleinen Steinhaus am Strand. Da gibt es Sand und Marschland wie hier, aber auch Granit. Die Knochen des Landes.«

      Obwohl er ich sagte, spürte sie deutlich, dass seine Gedanken auch bei seiner Familie in Frankreich waren, bei der Frau und den zwei Kindern. Mehr wusste sie darüber nicht, nur, dass seine Frau nicht bei ihm war und dass er sich selbst als alleinstehend beschrieb.

      Er setzte sich auf. Er schien entschlossen, an der Gegenwart festzuhalten, und fuhr ihr mit der Hand zärtlich über den Rücken. »Du sagtest aber doch, du warst in Frankreich? In Paris, ja?«

      »Viermal. Die Schwester meines geschiedenen Mannes lebt dort. Vielleicht kennst du sie?«

      »Paris ist eine große Stadt, kein Dorf, Lulu.«

      Warum gaben Männer ihr immer Kosenamen? Sie hatte Oscar nie Schatzi oder Scheißerle oder Ossie genannt. Sie redete Claude mit Claude an. Aber jeder Mann, mit dem sie sich je eingelassen hatte, erfand einen Namen für sie, als brächte sie das in seinen Besitz. »Eure Wege hätten sich ja zufällig kreuzen können.«

      »Wie heißt sie?«, fragte er ohne Interesse und schlug nach einem Sandfloh.

      »Sie schreibt unter dem Namen Gloria Ivoire, aber das ist nur ihr Pseudonym für Modeartikel. Sie berichtet für Harper’s Bazaar und McCall’s über die Pariser Modeschöpfer. Sie lebt unter dem Namen ihres Mannes als die Baronne de Montseurrat, Gloria Barthoise.«

      Er lachte, ein scharfes Geräusch überraschter Freude. »Ich habe sogar mit ihr diniert. Weitaus schöner als die Mannequins, über die sie schreibt, aber verheiratet mit einem Mann von lähmender Langeweile. Er hält sich Rennpferde – und sieht ihnen ähnlich.« Claude lächelte, wach, ganz anders fasziniert, als er sich sonst zeigte, obgleich er wie Oscar ein Mann war, den – zumindest kurz – fast alles interessieren konnte. »Ich staune, dass du Gloria kennst. Ich kannte sie schon ein halbes Jahr, als ich erfuhr, dass sie Amerikanerin ist. Sie spricht fast akzentfrei. Eine Frau von beneidenswertem Stil und vielleicht noch beneidenswerterem Verstand. Aber du sagtest, dein geschiedener Mann kommt aus Pittsburgh?«

      »Gloria auch«, sagte Louise und setzte sich auf.

      »Gloria Neige Noire, so nannten wir sie. Also so etwas.« Er lächelte wieder, aalte sich im Sand und im Klatsch der Hautevolee. Es war, als häutete er sich aus seinen amerikanischen Jahren und als ermöglichte sie ihm, über die Menschen zu reden, die ihm im wirklichen Leben etwas bedeutet hatten. »Sie hatte einen leicht skandalösen Ruf, der ihr bis zu ihrer Heirat anhaftete. Eine Abenteurerin mit entsprechenden Liebhabern. Aber dann – nichts mehr. Die Rechtschaffenheit in Person. Die Langeweile der Treue. Eine plötzliche Kälte.«

      Louise lächelte höflich, dachte aber auch über die Formulierung nach, die Langeweile der Treue. Sie hatte Treue nie langweilig gefunden. Sie hatte sie Oscar uneingeschränkt entgegengebracht und vergeblich zurückerwartet. Wenn Oscar die Formulierung gebraucht hätte, hätte sie sofort Streit begonnen, aber hier kam das für sie offenbar nicht in Frage. Sie musste noch viel über Claude lernen.

      »Wie hast du sie überhaupt kennengelernt?«

      »Wir begegneten uns im Haus eines Produzenten, als ich Geldgeber für La Tête du Bonhomme suchte. Außerdem gehe ich gern zu den Rennen in Longchamp. Die Menschenmengen beobachte ich noch lieber als die Pferde. Kleine Wetten machen und leidenschaftlich Anteil nehmen, wenn ein Klepper gewinnt oder verliert, Champagner trinken und die schönsten und elegantesten Frauen von Paris beobachten. Hier gibt es nichts Vergleichbares. Gar nichts.« Er sah müde aus.

      Sie hatte für einen Augenblick das Gefühl, sie seien ein seltsam ungleiches Paar. Louise konnte sich nicht für die Rennen in Longchamp erwärmen, und was fing jemand, der die schönsten und elegantesten Frauen von Paris verehrte, mit ihr an?

      Er sah stirnrunzelnd auf. »Aber Gloria Ivoire ist doch bestimmt nicht jüdisch?«

      »Aber ja. Ihr Mann natürlich nicht. Sie steht in engem Kontakt mit ihrer Familie. Beziehungsweise tat sie es bis Dezember einundvierzig. Seither haben wir nichts mehr von ihr gehört. Ich weiß, Oscar macht sich große Sorgen.«

      »Ich denke, sie ist einigermaßen sicher. Die Nazis und die französische Rechte sind zwar hinter den Juden her, aber sie ist gut geschützt, verheiratet mit diesem Nichts aus untadeliger Familie. Wir konnten ihm übrigens nie Geld entlocken.«

      »Ich vermute auch, sie ist sicher, aber es wäre beruhigend, es zu wissen. Ich habe keine Ahnung, wie Gloria darauf reagiert, in einem besetzten Land zu leben. Sie hat einen eisernen Willen und verabscheut es, irgendetwas auf Befehl zu tun.«

      »Ich könnte es für dich herausfinden«, sagte er beiläufig. »Wenn du es wirklich wissen möchtest.«

      »Doch, ja.« Sie nahm das Angebot nicht ernst. Er gab sicher an, ging davon aus, dass sie es vergessen würde.

      Am Abend fand er einen Grill in dem Schuppen neben dem Haus und beschloss, den geschenkten Blaufisch zu grillen. Das war seine Vorstellung vom einfachen Leben: im wohlausgestatteten Haus eines Freundes mit Haushaltshilfen im Hintergrund zu Gast sein und einen Fisch über offenem Feuer grillen. Eine frische Brise peitschte herüber vom marschigen Meeresarm am Fuße des Hügels, auf dem das Haus stand, ein graues, verwittertes Doppelhaus im Cape-Cod-Stil mit vielen kleinen Zimmern im Obergeschoss, die alle ineinander übergingen. Rund um den Rasen aus Fingergras, auf dem Claude seine Feuerstelle errichtet hatte, blühten in Rosa und Kirschrot Rosa rugosa, die wilden Strandrosen mit den übergroßen Hagebutten.

      Das Haus gehörte einem Schauspieler, der es nur im August benutzte, ein Mann, der für gewöhnlich barsche Landärzte spielte oder verrückte alte Wissenschaftler und abgeklärte alte Anwälte. Das Haus war schön gelegen und solide gebaut, mit breitdieligen Fußböden aus dem achtzehnten Jahrhundert und einem Rundkamin, aber die Zimmer waren klein, und es gab keinen verbindenden Korridor. Badezimmer waren nachträglich eingeflickt worden, unter anderem in einer alten Gebärkammer. Um eins davon aufzusuchen, musste sie durch andere Schlafzimmer gehen, erträglich, solange sie nur zu zweit waren, aber unvorstellbar für sie, wenn das Haus mit Kindern und Erwachsenen voll belegt war.

      Zum Haus gehörte ein ortsansässiger Schreiner, der das Wasser und den Strom anstellte,


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