Lockvogel. Therese Kersten

Lockvogel - Therese Kersten


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gab Julia ungläubig wider. »Und überhaupt, was willst du mit einem Fiaker? Das ist was für die alten Knacker. Und die Japaner. Und die Dreckskerle, die daheim etwas gutzumachen haben.«

      »Stimmt«, sagte Sarah. Ein wissendes Schmunzeln umspielte ihre Lippen. Sie warf einen letzten Blick hinüber zum Ring, ehe es endlich weiter ein Stück treppab ging und sie mit einem Grüppchen in die Katakomben des In-Clubs abtauchten. »Außerdem, wenn ich mich so umsehe, wer braucht schon Fiakerpferde? Freilaufende Stuten gibt’s auch da jede Menge.« Sie lachte laut auf, warf den Kopf in den Nacken, dass ihr die Mähne aufflog.

      Julia lachte herzhaft mit. Sie taxierte die junge Frau an ihrer Seite aus den Augenwinkeln. Sarah war, was man echt scharf nannte. Der Reihe nach würden sie auf sie abfahren. Langes, glattes, blitzblondes, gestyltes Haar. Ein hübsches, wie gedrechseltes Gesicht mit maßvoll konturierten Zügen. Ein makelloser Body mit nicht einem überschüssigen Gramm. Wäre sie nicht gefestigt in ihren Vorlieben, und wäre sie nicht ebenso mit einem Selbstbewusstsein und einem Körper ausgestattet, der ihr doch ganz brauchbare Chancen bei Männern einräumte, die sie einmal auserkoren hatte – glatt hätte Julia darauf verfallen können, neidisch zu werden. Oder am besten Sarah gleich selbst anzubaggern.

      Doch das stand nicht zur Diskussion.

      Es war nicht das erste Mal, dass sie und Sarah gemeinsam auf Tour gingen. Sie waren ein gutes Gespann. Erfolgreich. Einerseits verhielt es sich bei ihnen wie bei Tag und Nacht. Oder Yin und Yang. Oder Sonne und Mond. Teufel und Engel. Andererseits waren sie wie aus einem Guss. Alle beide keine Mitte zwanzig. Alle beide fantastisch aussehend. Alle beide aus demselben Grund hier.

      Sie selbst, Julia (darin hob sie sich nun wieder von Sarah ab), hatte sich für den Weniger-ist-mehr-Joker entschieden. Ein Overall in verschossenem Schwarz als schlichtes, fast keusches Outfit. Und gerade darum so reizvoll. Hauteng obendrein. Dazu schwarze, hohe Schuhe. Wie Sarah trug sie ihr Haar offen, kastanienbraun, in fluffig die Schulter hinabwallenden Locken. Einzig schriller Kontrast: der knallrote Lippenstift, den sie aufgelegt hatte.

      Beherrschendes Thema beim Abendessen vorhin waren ihre Motive gewesen. Vor allem Sarahs. Was sie daran reizte. Warum sie mit von der Partie war. Warum überhaupt. Warum heute Abend.

      »Ich habe meinen Glauben verloren«, sagte Sarah und angelte wie lustlos mit der Gabel nach dem letzten Bissen Fisch.

      »Deinen Glauben?«

      »Ja. Den Glauben an die Treue. Männer sind Schweine.« Die Erfahrungen mit ihren beiden letzten Verflossenen erlaube ihr keinen anderen Befund als diesen. Bei dem einen habe sie überhaupt erst lange nach der Trennung erfahren, mit wem sie es da zu tun gehabt, mit wem er sie wie oft hintergangen hatte. Darunter der Klassiker: die beste Freundin.

      »Darum mache ich es«, sagte sie. Wie auch aus einer Reihe anderer Beweggründe, die sie Julia nach und nach darlegte.

      Schweine?, dachte Julia. Ein Buchstabe stieg vor ihrem geistigen Auge empor. Ein fettes, übergroßes S. S wie Schönebeck, jene Stadt im Herzen Sachsen-Anhalts, die ihr vor ein paar Jahren noch Heimat gewesen war. S wie Scheidungskind (auch ohne Heirat der Eltern). S wie Schulabbruch. S wie Schnapsidee. S wie Selfie. S wie Straps. S wie steigern. S wie Sex. S wie siedeln. S wie Stefan.

      Stefan.

      S wie sympathisch. S wie sprachgewandt. S wie Schmeichler. S wie Schlaftabletten? S wie Schwangerschaft? S wie Sehnsucht nach Sicherheit. Insbesondere aber auch, weil so übermächtig präsent in ihrer jüngsten Erinnerung: S wie Selbstaufgabe. Und, über allem: S wie

      Scheißkerl.

      Nun waren sie soweit. Endlich Einlass in die Passage. Die mitgeführten dünnen Jäckchen (man wusste ja schließlich nie) an die Garderobe geworfen. Dann ab ins Gewühl. Mit ausgestellten, teils rudernden Armen und im Takt der wummernden Bässe die Menge durchpflügen. Eine erste Runde. Blicke in geisterhaft aufblitzende Gesichter. Datenabgleich. Nein. Und weiter. Quer durch den ganzen verdammten Club. Nichts. Ein resigniertes Kopfschütteln. Ein Drink an der Bar. Lagebesprechung. Eine zweite Runde. Diesmal geteilt. Sarah die eine Hälfe. Julia die andere.

      Acht Männer, die Geburtstag feierten. Angeblich. Die mussten doch zu finden sein. Easy cheesy. Die konnten doch nicht … Andererseits, vielleicht waren sie gar nicht …? Vielleicht war auch das bloß …? Das würde bestätigen, was sie im Vorfeld gehört und was sie längst auch selbst zu vermuten begonnen hatte.

      Julia war erst ein paar Schritte vorangekommen auf ihrer Solorunde, als sie Sarahs blonde Mähne unvermutet aufblitzen sah. Sie durchtauchte die dampfende Menge mit aller Vehemenz in ihre Richtung. Ein Drängen und Zwängen auf verlorenem Posten und darin ein ähnlich hoffnungsloses Unterfangen wie der Versuch einer Sardine, sich doch noch gegen ihr Schicksal aufzubäumen, wo sie bereits in der Dose lag. Keine drei Meter vor ihr war dann auch Endstation. Eingequetscht zwischen zwei aufgepumpten Hünen, brüllte Sarah ihr etwas zu. Tonlos, wie Julia empfand, denn der Schall der Worte flog mit den dröhnenden Beats von Aviciis Lay Me Down hoffnungslos auf und davon.

      »Ich hab ihn«, brüllte Sarah abermals, nun in schrillen Lagen, fast panisch.

      Julia las ihr mehr von den Lippen, als dass sie hörte, riss die Augen auf. »Ja? Sicher?«

      Sarah nickte aufgeregt. Endlich boten die Muskelpakete einen Spaltbreit Platz, und so zog Sarah sie augenblicklich mit sich fort. »Dieses Schwein!«, fauchte sie in einem fort. »Er knutscht mit irgendeiner Tussi rum.«

      Still lächelte Julia in sich hinein, wie zur Bestätigung einer unverbrüchlichen Wahrheit, die sie schon so oft so eindrücklich bestätigt bekommen hatte, während die Kollegin energiegeladen voranstapfte, zielstrebig und unaufhaltsam wie ein Eisbrecher im Polargewässer, dessen stählerner Bug alles aus dem Weg räumte. Es war unübersehbar und zugleich wohlvertraut: Sarah war voll entbrannt, glühte im Jagdfieber, und sie schleppte sie, Julia, nun mit aller Entschlossenheit hinter sich her, um gleichermaßen stolz wie empört ihren Fang zu präsentieren.

      »Dort vorne ist er«, rief Sarah und fuchtelte wild mit dem Arm.

      Julia dachte an das Foto, das sie aufs Handy geschickt bekommen und das sie beide eben noch eingehend gemustert hatten, bevor sie auf Runde gegangen waren. Auf Kontrollgang. Der Kerl sah darauf alles andere als übel aus. Ende dreißig. Schlank. Hoch aufgeschossen. Kantige Backenknochen. Aber nicht zu kantig. Dunkles, kurzes Haar. Leicht graumeliert. Grundtenor: charismatisch.

      Julia sah den Kerl fürs Erste nur von hinten. Das soll er sein? Doch dann, als er sich mit ein paar schunkelnden Bewegungen in ihre Richtung drehte, ohne die Körpereinheit zwischen sich und seiner Begleitung aufzugeben und auch ohne seine Zunge aus ihrem Hals zu bekommen, war jeder Zweifel ausgeräumt: Ja, dieser Scheißkerl.

      Wer, verdammt, ist diese Frau?

      Da war auch Julia im Jagdmodus. Nun schleppte sie ihrerseits Sarah hinter sich her, hin zur nahen Bar. Während sie zwei Drinks orderte, scannte Julia das Umfeld des Gigolos. Ja, dachte sie, das dürften seine Freunde sein. Sie müssten zusehen, Kontakt zu kriegen.

      »Kannst du einen von ihnen anmachen?«, raunte sie Sarah ins Ohr, ohne die Augen von den acht Männern und dem weiblichen Appendix des einen zu nehmen.

      Sarah nickte kurz, nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Gin Tonic, dann schlenderte sie los. Betont cool. Julia sah, wie sie ihren Körper auf eine Weise in Szene setzte, die den Widerstand kategorisch ausschloss. Erst recht den des starken, in Wahrheit schwachen Geschlechts. Es sei denn, alle acht waren aus Stahlbeton. Oder vom anderen Ufer.

      Keine fünf Minuten später saßen sie und Sarah am Tisch der Gruppe. Ein paar flotte Sprüche. Gelächter. Blickkontakt. Zuprosten. Da eine flüchtige, wie unabsichtliche Berührung am Unterarm. Dort das übliche Geplänkel. Julia maß alledem keine Bedeutung bei. Was wirklich zählte, war er. Um seinetwillen waren sie gekommen.

      Er hieß Tobias.

      Nach fast schon endlosem Zuwarten, als seine angewachsene zweite Hälfte sich doch einmal von ihm löste, um auf die Toilette oder wohin immer zu tingeln, und auch die Reihe der Freunde am Tisch vorübergehend gelichtet war, ergriff Julia ihre Chance.

      »Schade,


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