Lockvogel. Therese Kersten

Lockvogel - Therese Kersten


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      Ich will es tun. Gegen Geld.

      Gegen alle Bedenken. Gegen jede Vernunft. Weil ich raus muss. Den Kopf durchsetzen, weil ich es so entschieden habe. Der typische Widder, der ich nun mal bin. Sagt Mama. Erneut klemme ich mich hinter den Laptop, recherchiere fieberhaft weiter. Bis ich auf jene in ihrem Auftreten eBay nachempfundene Seite stoße, die auch jetzt, hier, in der Schulbank, von meinem Handy zu mir emporblinkt mit ihrer so eingängigen Eingangsbotschaft:

      Heute schon geseXt?

      Vorne an der Tafel turnt der Lehrkörper von einer Seite zur anderen, kratzt mit kreischender Kreide Runen hin und faselt Entbehrliches. Von … ja, wovon denn? Welche Stunde haben wir überhaupt? Englisch? BWL?

      Aber ja doch. Rechnungswesen. Non vitae sed scholae discimus. So, oder so ähnlich. Nicht fürs Leben lernen wir, sondern für die Schule. Oder umgekehrt. Wer weiß das schon. Das echte Leben, Leute, spielt sich anderswo ab. Vier Stunden, einundzwanzig Minuten und null Sekunden. Bei 700 stehen wir schon. 700 Euro! 20 Prozent ziehen sie dir ab. 20 Prozent von wieviel? 800? 1000? 1500? Minus 20 Prozent Provision … das macht … einen Haufen Kohle allemal für ein Mädchen, eine junge Frau von 19 Jahren. Ja, Leute, das nennt sich angewandtes Rechnungswesen.

      Du musst nach Hause, Therese!

      Tack. Tack. Tack.

      Die Schlagworte aus Richtung Tafel erreichen mich nur noch schwach. Nichts dringt durch. Über allem schwebt der Gedanke: Welcher Teufel hat dich da geritten? Und mit dem Wort geritten hat mich die Site auch schon wieder eisenhart im Griff. Gleich an zweiter Stelle, inmitten der mit einem + markierten, angepriesenen Vorzüge, seine Haut (wenn schon) hier und nicht anderswo zu Markte zu tragen, gleich an zweiter Stelle also dieser Eintrag, der nach Reiten und Stall und Pferden klang.

      + KEINE Einstellgebühren für Standardauktion

      Tack. Tack. Tack.

      Vier Stunden, zwei Minuten und null Sekunden. Was für ein Irrsinn, Therese. Ach was, ist doch bloß eine Versteigerung wie auf … und anstelle einer neuen (alten) Lampe, anstelle eines Sets kaum gebrauchter Schraubenzieher, eines Motorrads, eines Billardtischs erhältst du eben einen echten Menschen. Einen Mann, um präzise zu sein. Rückgaberecht? Return to sender? Nein. Betriebsanleitung? Garantie? Iwo. Worauf auch? Auf erfüllten Sex?

      Oh nein, Therese. Nicht du erhältst den Mann. Er erhält dich. Nicht er wird frei Haus geliefert. Nicht er ist die Ware. Du bist es.

      Alles nur wie bei eBay also?

      Noch einmal, ein allerletztes Mal an diesem Mittag in der Wirtschaftsschule in Schönebeck, blicke ich zurück, sehe mich vor zwei Wochen. An diesem einen entscheidenden Tag. Ich spüre der Ernüchterung nach, die mich wie eine Horde wilder Tiere befallen hat, als ich mir das Wort vergegenwärtige, das wie ein Überbau dasteht: Versteigerung. Noch einmal empfinde ich die tiefe Scham, die mich dabei durchdrungen hat.

      Auch sehe ich die geistige Waage mit ihren vielen Fürs und Widers mal nach der einen, mal nach der anderen Seite ausschlagen. Spüre dem Druck meines prallvollen Schädels nach. Der Erkenntnis, dass es sich hierbei um keine mathematische Gleichung handelt, die sich nach vorgefassten Parametern auflösen ließe. Ja, sogar dem Druck der Fingerkuppen spüre ich nach, als ich mich tatsächlich einlogge, als ich das Bild hochlade, das ich von mir gemacht habe, keck posierend, in den allerbesten Dessous, die der Schrank ausgespuckt hat: hauchdünne Nylons; ein Strapshalter, der die Hüfte ziert; ein BH mit Silikon-Einlagen. Alles in Schwarz gehalten.

      Nickname meines Profils: Alessa.

      Warum ausgerechnet Alessa? Ich weiß es nicht. Es klingt so exotisch. So italienisch. Später, viel später erst werde ich wissen, wofür Alessa steht, und es mutet geradezu absurd ab: die Verteidigerin, die Beschützerin.

      Vor allem aber auch: die Männer Abwehrende.

      Ja, du siehst verdammt sexy aus, denke ich. Ohne dass jemand weiß, wer du tatsächlich bist. Bloß kein Foto mit Gesicht. Bloß keines von den Tattoos, die dich verraten könnten. Was, wenn jemand am anderen Ende sitzt, der dich kennt? So gut kennt, dass er dich an Details identifizieren kann? Ein Freund? Ein Verwandter?

      Endlich. Die Glocke nach der letzten Stunde. Endlich nachhause. Manches läuft nun wie in Trance. Dort, auf meinem Bett, den Laptop auf den Knien, kann ich den Blick kaum noch vom Display lösen. Die letzte Stunde verbringe ich überhaupt nur noch am Bildschirm. In fiebriger Erwartung. Ein dumpfes, fast rauschhaftes Hinwarten. Ab und an blitzen Nachrichten vor dem inneren Auge auf, die ich in den vergangenen zwei Wochen erhalten und beantwortet habe. Anfragen von Interessenten zu meiner Person. Dunkle Phasen. Helle Phasen. Insbesondere, wenn dein Wert aufs Neue gestiegen ist. Am Ende sogar von Minute zu Minute. Als hätte es, so kurz vor Schluss, dieser Wertsteigerungen bedurft, um ganz sicher zu gehen. Um nicht im letzten Moment doch noch aufzugeben. Nein. Längst ist das Fieber der Hinnahme einem Fieber der Jagd gewichen.

      Und auf einmal, irgendwann am späten Nachmittag, fast unbemerkt, läuft der Countdown ab. Einfach so. Das Verfließen von Zeit ohne das Pochen der inneren Uhr. Wie ein Bächlein, das still im Nirgendwo versiegt.

      Kein tack, tack, tack.

      Beinahe unspektakulär. Aber vielleicht ist es auch so, weil mich die Stunden, Tage zuvor so unter Strom gesetzt, so ausgelaugt, mir so viel abverlangt haben, dass ich das Ende nicht mehr anders hinnehmen kann.

      Die Auktion ist beendet, lese ich.

      Also doch nur wie bei eBay?

      Als Titel der ersten Versteigerung meiner selbst habe ich diesen gewählt: Tausendundeine Nacht. Weil mir das nach dem rechten Maß Verlockung geklungen hat. Nach einem Hauch Orient. Nach Scheherazade. Ohne gleich das volle Programm morgenländischer Erzählkunst heraufbeschwören zu wollen. Mit Tod und sonstigem Firlefanz.

      Dafür mit Sultanen. Einem von ihnen würde ich demnächst, in ein paar Tagen schon, von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Berlin wird es sein. Berlin. Aber wohl kaum mein Traummann. Dafür mein Bestbieter. Für exakt tausend Euro hat er den Zuschlag erhalten.

      Tausend Euro für Alessa aus Tausendundeiner Nacht.

      Alles wie bei eBay. Nur bedeutend krasser.

      Es sind nur eine Handvoll Tage bis zu unserem Treffen. Sie verfliegen, getragen von dieser einen übergroßen, immer selben Frage, die im Hinterkopf pocht:

      Wer ist er?

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