Die Flüchtlinge sind da!. Armin Himmelrath

Die Flüchtlinge sind da! - Armin Himmelrath


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bei unseren Mitschülern eine große Hilfsbereitschaft und ein riesiges Interesse am Thema Flucht und Flüchtlinge gibt«, erzählt STF-Vorsitzender Joshua Kriesmann. Doch der Wunsch, im Schulalltag mehr dazu zu machen, scheitere oft an Unsicherheiten der Schulleitung und daran, dass engagierte Lehrerinnen und Lehrer ohnehin schon viel zu tun haben. »Also haben wir gedacht: Da müssen wir Schüler selbst ran«, sagt Joshua. Zusammen mit anderen Aktiven der Schülervertretung wurde im September 2015 zunächst eine Sammelaktion für eine Flüchtlingsunterkunft gestartet, die auf viel Resonanz stieß. »Wir haben dann solche Unterkünfte besucht und festgestellt, dass sie in erster Linie normalerweise keine Spenden brauchen, sondern sich besonders über soziale Kontakte freuen«, sagt Helen Schmitz, »oft geht es dabei um Zeit: zum Beispiel, um mit den Kindern zu spielen, damit die Eltern ungestört Deutsch lernen können.« Hochmotiviert suchten die Schülerinnen und Schüler des europäischen Gymnasiums Bertha-von-Suttner nach Mitstreitern – und waren schnell erfolgreich. »Im Kernteam der Initiative sind wir zu fünft aktiv, drei weitere Mitschüler unterstützen die Projektplanung – und dann gibt es alleine an unserer Schule noch 40 bis 50 Unterstützer, die vom Deutschunterricht über die Kinderbetreuung, von den Gesprächen mit Flüchtlingen in anderen Schulen bis zur Hilfe in den Willkommensklassen aktiv sind«, erzählt Dorothea Bähr vom STF-Vorstand.

       Aus der lockeren Initiative wurde kurz darauf ein richtiger Verein, um dem Ganzen mehr Struktur zu geben. Denn neben Sammelaktionen und konkreter Hilfe für Flüchtlinge und Flüchtlingskinder wollen die STF-Akteurinnen und -Akteure ihre Idee auch an andere Schulen weitertragen und damit neue Formen der Begegnung möglich machen. »Unser Ziel ist es, an möglichst vielen Schulen ähnliche Teams zu etablieren, die dann ihrerseits Aktivitäten entwickeln und Hilfe organisieren«, sagt Joshua Kriesmann. Im Moment steht die Organisation eines Fußballturniers für Willkommensklassen aus ganz Berlin auf dem Plan, außerdem ein Training für Flüchtlingskinder beim Basketball-Bundesligisten Alba Berlin. Ein gemeinsames Koch-Event unter dem Titel »STF kocht!«, bei dem deutsche Schülerinnen und Schüler und Flüchtlingskinder zunächst in der Küche aktiv waren und anschließend einen langen, gemeinsamen Abend miteinander verbrachten, gab es schon.

       Diese Idee von STF war so überzeugend, dass auch die Jury des von der Bertelsmann-Stiftung ausgelobten Jugendintegrationswettbewerbs »Alle Kids sind VIPs« auf den Verein aufmerksam wurde und STF im Frühjahr 2016 mit einem Preis bedachte. Mit dem Wettbewerb unter der Schirmherrschaft von Staatsministerin Aydan Özoguz, der Beauftragten der deutschen Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zeichnet die Stiftung Jugendliche zwischen elf und 21 Jahren aus, die sich für Vielfalt an der Schule einsetzen und ehrenamtlich engagieren. »Der Verein wurde von Jugendlichen selbst gegründet und wird von ihnen eigenverantwortlich geleitet, alle Aktivitäten planen und führen sie selber durch«, lobt die Jury die Arbeit der STF-Aktiven. Dabei werde nicht nur den Flüchtlingen konkret geholfen und ihre Teilhabe an der Gesellschaft unterstützt, »sondern das gemeinsame Tun verbindet sie mit einheimischen Jugendlichen, die ebenfalls Neues lernen – aus der Gemeinsamkeit wächst Vertrauen und somit stärkt die Initiative Integration und Zusammenhalt«, heißt es in der Laudatio. Gleichzeitig aber seien Aktionen wie das gemeinsame Kochen so einfach gehalten, dass sie ohne großen Aufwand auch von anderen Schulen und Vereinen übernommen werden können. »Helfen, Lernen, Verstehen – darum geht es uns«, sagt Joshua Kriesmann. Eine Idee, die ankommt: Neben der praktischen Hilfe durch Mitschülerinnen und Mitschüler gab es schon Geldspenden, etwa von einer Schülerin, die spontan 100 Euro an STF übergab wegen der guten Arbeit, die der Verein macht. Mit der US-amerikanischen Botschaft in Berlin ist mittlerweile ein Sponsor dabei, der das Engagement der Schülerinnen und Schüler noch einmal besonders unterstützt: So wurde der STF-Vorstand zu einem internationalen Seminar in Zagreb eingeladen, bei dem es um Fluchtgründe in Europa ging. »Wahnsinn, was unsere einfache Idee plötzlich für Kreise zieht«, sagt Dorothea Bähr und strahlt.

       Was sie denn in der noch jungen Geschichte ihres Vereins am meisten berührt hat? Die STF-Akteure müssen nicht lange überlegen. »Für mich ist es die Rückmeldung, dass das, was wir machen, gerade gebraucht wird und genau das Richtige ist. Ich kann als Schüler keine Unterkünfte in der Türkei bauen, aber ich kann Menschen hier in Berlin helfen«, sagt Joshua Kriesmann. »Mich bewegen die Begegnungen«, sagt Dorothea Bähr: »Da gab es beim Kochen einen kleinen Brand im Ofen – und zehn Minuten später tanzten wir zu arabischer Musik. Da waren die anderen keine Flüchtlinge mehr, sondern Freunde.« Und Helen Schmitz sagt: »Ich hätte nie gedacht, dass man die Gesellschaft wirklich verbessern kann.«

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      Das Recht auf Bildung ist als allgemeines kulturelles Menschenrecht bereits in Artikel 13 des UN-Sozialpaktes (»Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte«) verankert und von der Bundesrepublik Deutschland als Paktstaat anerkannt. Dieses Recht wurde in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention bekräftigt und konkretisiert (UN-Kinderrechtskonvention 2016):

      Artikel 28 Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen;

      a.die Entwicklung verschiedener Formen der weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art fördern, sie allen Kindern verfügbar und zugänglich machen und geeignete Maßnahmen wie die Einführung der Unentgeltlichkeit und die Bereitstellung finanzieller Unterstützung bei Bedürftigkeit treffen;

      b.allen entsprechend ihren Fähigkeiten den Zugang zu den Hochschulen mit allen geeigneten Mitteln ermöglichen;

      c.Bildungs- und Berufsberatung allen Kindern verfügbar und zugänglich machen;

      d.Maßnahmen treffen, die den regelmäßigen Schulbesuch fördern und den Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen, verringern.

      Die deutsche Bundesregierung beschloss 2010, die bei der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention abgegebene Vorbehaltserklärung zurückzunehmen, sodass sie nun für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder ihrer (vermuteten) Aufenthaltsdauer und somit auch für Asylsuchende uneingeschränkt Anwendung findet (Weiser 2014).

      Das Grundrecht auf einen Schulbesuch für Asylbewerberinnen und -bewerber wird je nach Bundesland unterschiedlich ausgelegt. Ob und ab wann zugewanderte Kinder in Deutschland zur Schule gehen dürfen oder müssen, ist nicht bundesweit einheitlich geregelt.

      Beginn der Schulpflicht in den Bundesländern

      Baden-Württemberg: sechs Monate nach Ankunft (§ 72 Schulgesetz)

      Bayern: drei Monate nach Ankunft (Art. 35 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen)

      Berlin: sofort (§ 41 Schulgesetz)

      Brandenburg: nach Verlassen der Erstaufnahmeeinrichtung (§ 36 Schulgesetz in Verbindung mit Verordnung zum Ruhen der Schulpflicht nach Asylanträgen)

      Bremen: sobald sie »eine Wohnung im Land Bremen haben« (§ 52 Schulgesetz)

      Hamburg: sofort (§ 37 Schulgesetz)

      Hessen: nach Zuweisung einer Gebietskörperschaft (§ 56 Schulgesetz in Verbindung mit Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses)

      Mecklenburg-Vorpommern: nach Zuweisung einer Gebietskörperschaft (§ 41 Schulgesetz in Verbindung mit Bestimmungen zur Eingliederung und zum Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache in Schulen Mecklenburg- Vorpommerns)

      Niedersachsen:


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