Noch ein Mord, Mylord. Ralf Kramp

Noch ein Mord, Mylord - Ralf Kramp


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Gehstocks gefaltet hatte. »Mrs Wilberforce!«, rief er schließlich laut, sodass die alte Frau es gewiss bis in den ersten Stock gehört haben musste. Die Papageien flatterten alle drei aufgeregt mit den Flügeln.

      Und fast im selben Augenblick erschien die kleine Gestalt der Pensionswirtin wieder im Türrahmen. »Bedaure, aber sie ist nicht da, Gentlemen.«

      »Haben Sie geklopft?«

      »Ja, das tat ich!«

      »Haben Sie ins Zimmer hineingesehen?«

      »Auch das habe ich gemacht!«

      Merridew sprang vom Sofa auf. »Jetzt reicht’s aber! Wir müssen sofort einen Blick in das Zimmer der jungen Dame werfen!«

      Jetzt war es mit der Geduld der Alten endgültig vorbei. »Das werden Sie keinesfalls tun, Gentlemen! Miss Markhams Zimmer betreten Sie nur über meine Leiche!«

      »Da müssen wir ja nicht mehr lange warten«, entfuhr es meinem Freund.

      Einen kurzen Moment blickten die beiden Kontrahenten einander starr in die Augen.

      Ehe wir’s uns versahen, hielt Mrs Wilberforce plötzlich einen Regenschirm in der Hand und erhob zitternd die Stimme. »Zeter und Mordio werde ich schreien, hören Sie! Man kennt mich auf der hiesigen Polizeistation, und im Nu wird jemand kommen und Sie verhaften! Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus. Hören Sie, auf der Stelle!«

      »Auf der Stelle!«, krähte einer der Papageien hinter uns her, während wir das Wohnzimmer verließen.

      Merridew drehte sich noch einmal um und versuchte es ein letztes Mal: »Können Sie uns wenigstens sagen, wo Miss Markham sein könnte, wenn sie nicht auf der Arbeit oder in ihrem Zimmer ist?«

      »Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben!« Sie hatte die Schirmspitze immer noch auf uns gerichtet. »Sie hat keine Verwandten. Vielleicht ist sie bei einer ihrer Freundinnen. Bei Miss Peabody oder Miss Menzies oder Miss Fitzwilliam womöglich.«

      »Oder bei diesem Mann?« Geistesgegenwärtig hatte ich die Zeichnung hervorgeholt, die uns Mr Anselm kurz zuvor angefertigt hatte.

      Sie warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Ich sagte bereits, dass Miss Markham keine Männerbekanntschaften pflegt!«

      »Kennen Sie den Mann?«

      »Nein! Macht er Musik?«

      »Das wissen wir nicht. War er schon mal vor dem Haus?«

      »Nein! Gehen Sie jetzt!«

      »Gehen Sie jetzt!«, echote es von nebenan.

      Wir gaben uns schließlich geschlagen und stolperten auf die Straße hinaus.

      »So ein zähes, altes Reptil«, zischte Merridew wütend. Es geschah nur sehr selten, dass es ihm nicht gelang, verstockte Zeugen zum Reden zu bringen, aber an dieser hartleibigen Alten hatte er sich zweifellos die Zähne ausgebissen.

      »Da vorne ist ein Telefon, Nigel. Kommen Sie, wir rufen Smith an. Vielleicht hat der inzwischen etwas herausgekriegt, das uns weiterbringt.« Und dann stapfte er mit so gewaltigen Schritten auf die rote Telefonzelle zu, als wollte er sie umstoßen.

       4

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      Noch nie zuvor in meinem Leben war ich in einem Filmstudio gewesen. In der Wochenschau hatte ich schon einmal den ein oder anderen Einblick in die großen Londoner Studios bekommen. Es war aus Elstree berichtet worden, aus Twickenham, Shepperton und Ealing, aber als wir uns jetzt vor den Fachwerkgiebeln des Eingangsgebäudes der Pinewood Studios in Iver im Westen Londons wiederfanden, war ich doch etwas aufgeregt. Smith empfing uns vor der Pförtnerloge mit tief herunterhängenden Mundwinkeln und winkte unseren Wagen durch. Zur Rechten standen zahlreiche andere Autos auf einem Parkplatz, auf dem wir den Nash-Healey abstellten.

      Mit großen Schritten kam Smith auf uns zu. »Ich bleibe dabei, das ist keine gute Idee«, knurrte er. »Wenn einer von euch auch nur ein einziges falsches Wort sagt, wittern die gleich was.«

      Merridew lachte süffisant. »Wer trügen will, kann einen Schein wohl stehlen!«

      »Kein Sterbenswort über die Entführung!«

      »Machen wir doch mal eine Frage draus«, konterte Merridew. »Hat es schon ein Sterbenswort über die Entführung gegeben?«

      Smith schüttelte den Kopf. »Nichts. Alle denken, sie liegt in Parkside in der Heia.« Er bedeutete uns mit einer Handbewegung, ihm zu folgen.

      Wir gingen eine belebte Straße entlang. Arbeiter kamen Kisten schleppend oder mit Gabelstaplern vorbei, schwatzende Personengruppen standen mit oder ohne Kostüm herum, teilweise in Zivil, teilweise als Weltkriegssoldaten ausstaffiert … es war ein buntes Durcheinander. Smith führte uns zwischen großen Gebäudekomplexen und an kleinen Parkanlagen vorbei, und vor dem Eingang zu einer großen Halle zeigte er einen Ausweis und sagte zu einem Uniformierten barsch: »Gehören zu mir«, woraufhin wir passieren konnten.

      Die Decke im Inneren des gewaltigen Gebäudes war in unerreichbarer Höhe, die Seitenwände waren in weiter Ferne zu erahnen. Schwarze Vorhänge verhinderten größtenteils den Durchblick, und überall wanden sich dicke Kabelstränge auf dem Boden herum.

      Bei jedem Schritt mussten wir jemandem ausweichen, der uns entgegenkam. Wenn wir irgendwo stehen blieben, standen wir unweigerlich irgendwem im Weg.

      Metallisches Hämmern war zu hören und großes Stimmengewirr in der Ferne.

      »Wenn es irgendwie geht, halte ich mich von diesem Chaos fern.« Roger Smith machte ein Gesicht, als müsse er sich durch einen Käfig voller Aussätziger kämpfen. »Alles Verrückte, wenn ihr mich fragt.«

      Irgendwie kamen wir nicht an das eigentliche Set heran. Aktuell stellte es nach Smiths Angaben den rotvioletten Salon in der Botschaft des fiktiven Balkanstaats Karpathia dar. Ich hätte zu gern einen Blick darauf geworfen, aber ich hatte den Verdacht, dass Smith uns in konzentrischen Kreisen drum herum führte, weil er fürchtete, wir könnten jemandem begegnen, bei dem wir uns verplappern könnten.

      »Sagen Sie mal, Smith, wann kommen wir denn endlich an? Ostern?«, rief mein Freund Merridew. »So finden wir ja nie einen, den wir befragen können!«

      Smith fuhr herum und legte verärgert den Finger auf die Lippen. »Schschscht! Sprechen Sie nicht von befragen! Erwähnen Sie auch nicht so was wie Indizien oder Alibi! Am besten, es merkt niemand, dass Sie überhaupt hier sind!«

      »Na, da brat mir doch einer nen Storch! Merridew!«, ertönte laut eine Stimme hinter uns. Wir fuhren herum und sahen uns einem großgewachsenen Mann im mittleren Alter gegenüber, der in einer über und über mit Goldlitze und Troddeln verzierten Paradeuniform steckte. Sein schmallippiger Mund war zu einem breiten Lächeln verzogen, und unter der langen, spitzen Nase hatte man ihm einen künstlichen Schnurrbart angeklebt.

      Merridew riss die Arme hoch und hätte beinahe mit seinem Stock einem Requisiteur die Vase in den Händen zertrümmert. »Wattis, Donnerwetter! Sagen Sie bloß, Sie machen bei diesem Hokuspokus mit!«

      Natürlich kannte ich Richard Wattis. Sein erkahlender Schulmeisterschädel mit der runden Brille tauchte irgendwann in nahezu jedem Film auf, der in unserem Land gedreht wurde. Dass er zu Merridews Bekanntenkreis gehörte, war mir allerdings neu.

      Er trat näher, strich mit seinen dünnen Fingern über das Revers meines Jacketts und schnurrte süßlich: »Und eine stattliche Begleitung hast du mitgebracht, Merridew.«

      Merridew stellte mich vor und erklärte, dass uns sein alter Freund Smith einen Rundgang am Set versprochen hatte.

      Wattis ließ die dünnen Augenbrauen in die Höhe wandern, wandte sich an Smith, der nervös auf der Unterlippe kaute, und sagte tadelnd: »Na, na, na! Das sollte Sir Larry wohl besser nicht erfahren. Sie wissen doch, dass Olivier … na, dass wir eigentlich alle ein bisschen unter Strom stehen. Diese


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