Von Erbfeinden zu guten Nachbarn. Wirsching

Von Erbfeinden zu guten Nachbarn - Wirsching


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hatte, setzten die französische Presse und die Diplomatie die Forderung Frankreichs nach dem Rhein als seine natürliche Ostgrenze in die Welt. Also wieder dieser Rhein. Mit unglaublicher Schnelligkeit löste das eine ernstliche Krise zwischen Deutschland und Frankreich aus, in der eine ziemlich atemberaubende Lyrik entstand. Man muss sich die sogenannte »Rhein-Lyrik« mit ihren frankreichfeindlichen Komponenten des deutschen Nationalismus einmal anschauen. Etwa die berühmte »Wacht am Rhein«, die 1840 von Max Schneckenburger verfasst wurde. Darin beteuert etwa »der deutsche Jüngling fromm und stark«:

      Du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust!

      […]

      Und ob mein Herz im Tode bricht,

      Wirst du doch drum ein Welscher nicht.6

      Mit »du« ist hier der Rhein gemeint, der nicht französisch werden darf. Oder das »Rheinlied«:

      Sie sollen ihn nicht haben

      Den freien deutschen Rhein,

      Bis seine Flut begraben

      Des letzten Manns Gebein!7

      Aus unserer Sicht klingt diese Rheinlyrik ziemlich schwülstig, aber sie hat dazu beigetragen, dass sich in der »Wacht am Rhein«, ja sogar in der Germania als Statue, die den Fluss hütet, ein Gefühl kristallisiert hat. Nicht nur das Volk, sondern wieder einmal auch die deutschen Liberalen waren nun überzeugt: ›Der Rhein gehört uns, wir sind wir und die andere Seite ist wieder einmal gefährlich.‹ 1840 wurden aber auch um Paris herum Festungen gebaut für den Fall, dass Deutschland angriff – Festungen, die dann eine Rolle spielen werden bei der Besetzung von Paris im Rahmen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71.

      AW: Zur unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges von 1870/71 gehört natürlich auch die Schlacht von Königgrätz 1866 und damit die Auflösung des deutschen Dualismus zugunsten der neuen Großmacht Preußen. Dass Preußen im späteren Kleindeutschland mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 die Vorherrschaft erlangte, war für die Franzosen ein gefährlicher Wendepunkt, gerade für die Bonapartisten. In Frankreich gewann man den Eindruck, dass das Mächteverhältnis sich zwischen Frankreich einerseits und der Mitte des Kontinents zu verschieben drohte, und zwar dauerhaft. Deswegen ist in Frankreich oft von der Revanche für Sadowa die Rede, wie die Schlacht von Königgrätz im Französischen genannt wird.

      HMD: Diese Schlacht ist tatsächlich in Frankreich zu einem Trauma geworden. Aus französischer Sicht lässt sich die Geschichte des 19. Jahrhunderts so zusammenfassen: Man wohnt der deutschen Nationalstaatsbildung mit ihren verschiedenen Etappen bei. Zunächst einmal wird Deutschland wirtschaftlich groß, etwa mit dem Zollverein von 1834, aber man denkt sich, die sind zum Glück mit diesem Dualismus beschäftigt. Schließlich gibt es im Süden mit Österreich eine zweite deutsche Macht, die der Gefahr, die aus Preußen kommen könnte, die Waage hält. Österreich konnte ein sehr guter Verbündeter Frankreichs sein. Durch den Krieg um Schleswig und Holstein 1864 sowie den Krieg zwischen Österreich und Preußen mit dem Sieg Preußens geriet aus der Sicht Frankreichs (damals das Kaiserreich Napoleons III., das sich als die Großmacht Europas verstand) das Gleichgewicht in Europa ins Wanken.

      AW: Traditionell wird in den deutschen Schulbüchern all das als Werk Otto von Bismarcks beschrieben, der an den Schalthebeln gesessen habe. Zuerst habe er die deutsche Frage durch den Sieg über Österreich-Ungarn gelöst und dann sehr zielgerichtet auf die Auseinandersetzung mit Frankreich hingewirkt, während er die süddeutschen Staaten mit Schutz- und Trutzbündnissen im Namen einer deutschen Nation an Preußen zu binden versuchte.

      HMD: So wird es auch in Frankreich erzählt. Das passt zur Vorstellung eines heimtückischen und kriegslüsternen Realpolitikers Bismarck, der einen Masterplan hatte und so kaltblütig wie bedenkenlos Frankreich provozierte.

      AW: Ja. Aber schaut man sich die französische Haltung an, dann ist das nicht mehr so eindeutig.

      Napoleon III., der von 1852 bis 1870 Kaiser der Franzosen war, ist ja einerseits ein Champion der Nationalbewegungen in Europa, jedenfalls solange diese Nationalbewegungen im machtpolitischen Interesse Frankreichs liegen. In diesem Sinne unterstützte Frankreich die Einigung Italiens, die Camillo Benso von Cavour und das Königreich Sardinien vorantrieben. Über das Haus Piemont hat Napoleon III. die italienische Nationalstaatsgründung von 1860 ganz gut unterstützt. Als Gegenleistung sicherte er sich die Stadt Nizza, die damals französisch wurde.

      Nach 1866 spielte er allerdings ein doppeltes Spiel, das auch für die Zeit nach 1870/71 in Frankreich von Bedeutung ist. Napoleon III. versuchte, ein Bündnis mit Österreich herzustellen, wie du gerade gesagt hast. Er empfahl den Österreichern, Schlesien zu annektieren, das 1740 (allerdings auch nicht gerade völkerrechtlich korrekt) preußisch geworden war. Zudem sprach er von einem Südbund, den Österreich-Ungarn gegen Preußen doch vielleicht gründen sollte usw. Im Zuge dessen schlug er den Österreichern vor, sie könnten Schlesien als Kompensation erhalten, wenn dafür Frankreich das linke Rheinufer bekäme. Damit sind wir wieder beim Thema »Rhein«, also dieser alten Vorstellung von der natürlichen Ostgrenze Frankreichs.

      All das sind Denkweisen, die aus einer früheren Zeit kommen. Solche Ringtauschvorstellungen, wie sie im 18. Jahrhundert sehr beliebt waren, haben mit einer national begründeten Politik, die also auch das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« irgendwie berücksichtigen würde, nicht viel zu tun. Vielmehr haben wir es mit einer sehr traditionellen Machtpolitik zu tun, die Napoleon III. in dieser Zwischenphase zwischen 1866 und 1870 intensiv betrieb.

      HMD: Er betrieb sie so intensiv, weil in der französischen Wahrnehmung mit Preußen plötzlich eine Macht in der Mitte Europas entstanden war, die tatsächlich gefährlich war, und man kann diese Suche nach einem Bündnis oder nach einer Verständigung mit Österreich vor diesem Hintergrund verstehen. 1866/67 kippte wirklich etwas in Europa. In Paris feierte damals eine Operette von Jacques Offenbach große Erfolge, die La Grande-Duchesse de Gérolstein, also ›Die Großherzogin von Gerolstein‹, hieß. In dieser sehr lustigen Operette kommt ein lächerlicher General Bumm vor, und im Grunde wird die deutsche Kleinstaaterei mit ihren albernen kleinen Herzoginnen oder Gräfinnen zum Gespött gemacht. Und plötzlich sieht man auf der Weltausstellung von 1867 in Paris, die selbstverständlich als Selbstzelebrierung des französischen Kaiserreiches gedacht war, dass der preußische Pavillon der größte neben dem Bayerns und Badens war, mit einer Riesenstatue der Germania in der Mitte.

      AW: Und einer Krupp-Kanone.

      HMD: Und einer Kanone, genau. In diesem Moment ahnte man in Frankreich, dass es ernst wird mit dieser aufsteigenden Macht in Europa. Preußen wurde wirtschaftlich, dank des Zollvereins und der ›Vereinfachung‹ der deutschen Karte, die die Rahmenbedingungen für die expandierende Wirtschaft verbesserte, sowie mit seiner Industrie ein ernst zu nehmender Kontrahent.

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