Schachtelhalm - eBook. Marianne Ruoff

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      Vielleicht hat dieser saftig grüne, üppige Urwald, der nun von den Ufern winkte, vom Wasser aus so unheimlich appetitlich ausgesehen, dass er einige Meeresbewohner dazu anspornte, den mühsamen Weg an Land auf sich zu nehmen. Jedenfalls kroch am Ende dieses markanten Zeitalters ein allererster Vierfüßer namens Ichthyostega an Land, der sechs Zehen oder Klauen besaß und sich wie eine Eidechse oder ein Krokodil fortbewegt haben muss. Er hinterließ Spuren, die sich durch Zufälle versteinerten und im heutigen Schottland gefunden wurden. Dennoch waren die Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme an Land in ihrer Vielfalt noch spärlich, ganz im Gegensatz zum damaligen Leben im Wasser.

      Der erste Urwald aus Schachtelhalm, Bärlapp und Farn absorbierte dermaßen viel Kohlendioxid aus der Luft, dass der CO2-Gehalt während des Devon und noch mehr im darauffolgenden Karbonzeitalter rapide absank: auf Werte, die dem heutigen CO2-Gehalt der Luft entsprechen. Üppige Schichten abgestorbenen Pflanzenmaterials aus diesen Erdzeitaltern verdichteten sich unter Luftabschluss in sauerstoffarmem Flachwasser zwischen Schlammschichten und verwandelten sich so über Jahrmillionen in Kohle. In ihr finden sich reichhaltige Fossilienfunde, die das damalige artenreiche Meeresleben sowie die Schachtelhalm-Farn-Bärlapp-Urwälder belegen.

      Auch der Sauerstoffgehalt der Luft veränderte sich markant durch die Fotosyntheseleistung dieser riesigen Urwälder: Er stieg im Verlauf von siebzig Millionen Jahren auf ganze 25 bis 35 Prozent an. Der heutige Luftsauerstoffgehalt beträgt dagegen lediglich 21 Prozent.

      Die Menschheit macht heute durch die Verbrennung von Kohle und Erdöl diese Prozesse wieder rückläufig. Das uralte und über Jahrmillionen entstandene Pflanzenmaterial wird wieder in die Lüfte entlassen, wobei nun genau die Umkehrreaktion entsteht, also Sauerstoff verbraucht wird und in großen Mengen CO2 entsteht. Die dabei freigesetzte Wärme oder Energie ist im Grunde Sonnenkraft aus dem Devon- und Karbonzeitalter.

      Winterschachtelhalm-Sporenkolben (Equisetum hiemale L.) mit Sporenflug.

      So stellt man sich den allerersten Vierfüßer vor: Modell des Ichthyostega im Naturhistorischen Museum Bern.

      Versteinerte Blätter eines Calamiten (einer Schachtelhalmart) mit farnlaubiger Pflanze aus dem späten Karbon, ca. 300 Millionen Jahre alt. Naturhistorisches Museum Bern.

      Doch dann, gegen Ende des Devonzeitalters, vor ungefähr 372 Millionen Jahren, kam es schlagartig zu einem dramatischen Ereignis in der Erdgeschichte, dem fünfzig bis fünfundsiebzig Prozent der Zeitgenossen der Schachtelhalme zum Opfer fielen, vor allem die Bewohner flacher Gewässer. Viele Korallen, viele der zahlreichen Trilobitenarten und zahlreiche Fische. Es muss, wie heute angenommen wird, zu einer rapiden Abnahme des an der Basis der Nahrungspyramide stehenden Phytoplanktons (vor allem Algen) durch Sauerstoffmangel gekommen sein. Extreme Vulkantätigkeiten mit Giftgasausstößen und riesigen Aschewolken, Meteoriteneinschläge mit Sonnenverdunkelungen und dramatische Änderungen der Sonneneinstrahlung mit raschen Veränderungen der Meeresspiegelhöhe werden als Ursache diskutiert. Schachtelhalme, Farne und Bärlappe jedoch überlebten.

      Wieder entstanden über die folgenden Millionen Jahre viele neue Arten, manche entwickelten sich aus ein paar Restarten, die dieses Ereignis überlebt hatten, und passten sich noch besser an die Umweltbedingungen an.

      Doch für Erdzeitalterverhältnisse »nur« ein paar Millionen Jahre später gab es erneut ein Aussterbeereignis, noch verheerender als das letzte. Ihm fielen die mit ungefähr einhundert Arten doch sehr erfolgreichen und mit ihren starren Kopf- und Brustplatten gut bewehrten Panzerfische sowie einige weitere Zeitgenossen gänzlich zum Opfer und starben komplett aus. Man findet die Panzerfische heute nur noch als Versteinerungen.

      In den darauffolgenden 359 Millionen Jahren bis zur heutigen Zeit, die in sechs weitere Erdzeitalter eingeteilt wird, fanden noch ungefähr vier drastische, nach manchen Autoren auch bis zu dreizehn solcher Massenaussterbeereignisse statt, durch die jeweils vierzig bis sogar neunzig Prozent der Arten ausgerottet wurden. Und so sind von den Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme im Devon fast alle ausgestorben. Die in einer riesigen Fülle und Artenzahl vorkommenden schillernden Ammoniten sind gänzlich verschwunden. Von ihrer einstigen Vielfalt erzählen heute nur noch gut erhaltene Versteinerungen.

      Die Überlebenskünstler heute (oben): Riesenschachtelhalm (Equisetum telmateia Ehrh.), Wurmfarn (Dryopteris sp.), Waldbärlapp (Lycopodium annotinum L., unten).

      Versteinerte Ammoniten aus der Ausstellung des Naturhistorischen Museums Basel.

      Viele der Gliederfüßer, die variantenreichen Trilobiten und die monsterhaften Seeskorpione teilen gleichfalls dieses Los. Ebenfalls ausgestorben ist die große Artengruppe der Stachelhaie, und auch die Geradhörner existieren nur noch als Versteinerungen.

      Nachbildung eines Quastenflossers (Latimeria), Naturhistorisches Museum Bern.

      Überlebenskünstler Schachtelhalm, hier Sumpfschachtelhalm (Equisetum palustre L.), im Frühjahr.

      Bei den Quastenflossern dachte man zunächst ebenfalls, dass sie ganz ausgestorben seien, bis 1938 und 1997 je eine überlebende Art an den Küsten Südafrikas und Sulawesis entdeckt wurde. Von ihnen haben also gerade mal zwei von damals ungefähr siebzig Arten überlebt. Wie die Schachtelhalme werden auch sie als lebende Fossilien bezeichnet. Von den insgesamt neunhundert Nautiloideen-Gattungen oder Perlbooten hat nur eine einzige Art überlebt, von den Lungenfischen gerade mal zwei Gruppen.

      Zwischen diesen Erdkatastrophen entstanden jedes Mal neu riesige Mengen an Arten von Tieren und Pflanzen, die immer ausgefeilter und komplexer wurden. Einprägsam sind die ungefähr 140 Millionen Jahre nach den Schachtelhalmen erstmals auftauchenden Dinosaurier, die es immerhin fast 200 Millionen Jahre lang gab. Schachtelhalme stellten für so manches dieser Riesentiere eine der nahrhaftesten Futterquellen dar, wie anhand fossiler Funde gezeigt werden konnte.

      Es hat wohl seine Gründe, dass man Ackerschachtelhalm heute oft an Bahngleisen sieht. Dieser Standort muss ihn an seine gemeinsame Zeit mit den Dinosauriern erinnern, als diese tonnenschweren Tiere sicher ähnlich schnell wie Züge herangerast kamen. Bei ihrem Getrampel hat der Boden wohl auch vibriert und wurde unter der Tonnenlast extrem verdichtet. Der Dinosaurierkot war zudem eine gewaltige Ladung Dünger, vergleichbar vielleicht mit (zumindest früher) regelmäßig entleerten Zugtoiletten. Sogar die Geräusche der Dinos könnten sich so ohrenbetäubend kreischend angehört haben wie Eisenbahnräder auf kurvigen Gleisen.

      Vielleicht hat der Schachtelhalm aus den Saurierzeiten gelernt, sich an Monsterhaftes anzupassen, und damit spätere Katastrophen besser überlebt? Bis heute jedenfalls erträgt der Ackerschachtelhalm die extremen Bedingungen stark verdichteter Böden unter schweren Zügen, Steinen oder riesigen modernen Landmaschinen und widersteht selbst so manchem ausgeklügelten chemischen und hochgiftigen Unkrautvernichter. Dazu tankt er wohl Energie aus den kleinen stärkehaltigen Wurzelknöllchen, die er bis zu einem Meter tief unter der Erde bildet.

      Vor 66 Millionen Jahren fand erneut und noch ausgedehnter ein Massensterben statt, das vermutlich durch einen monströsen Meteoriteneinschlag verursacht wurde. Verschiedene Forscher zeichnen hierzu ein globales Katastrophenszenario, das schon einige Regisseure und Science-Fiction-Autoren zu Filmen und Büchern inspiriert hat. Weltweite großflächige Brände mit riesigen Rauchwolken und ein schlagartiger Temperaturanstieg werden diskutiert, dazu eine Sonnenverdunkelung und


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