Schachtelhalm - eBook. Marianne Ruoff

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Sauerstoffabfall erscheinen außerdem plausibel. So oder ähnlich muss es wohl zugegangen sein, als die meisten Dinosaurier ziemlich plötzlich ausstarben. Übrig blieb nur eine Gruppe, die sehr wahrscheinlich die Vorfahren heutiger Vögel waren.

      Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense L.), unter der Tonnenlast eines Zuges im Juni.

      Rekonstruktion von Dinosauriern, Urweltmuseum, Holzmaden.

      Manchen Schätzungen zufolge sind bis heute insgesamt 95 Prozent der früheren Arten ausgestorben, nicht jedoch die Schachtelhalme. Als uralte Zeugen erlebten sie die Besiedlung des Landes durch Pflanzen und Tiere, die gesamte Entwicklung und Ausformung aller Wirbeltiere wie auch des Menschen von Anbeginn an. Sie sind Zeugen der Entwicklung von Blütenpflanzen, Bäumen und der ganzen Erdgeschichte seit etwa vierhundert Millionen Jahren.

      Befasst man sich mit den Schachtelhalmen, erfährt man Entstehungsgeschichten stets neuer Arten und Lebewesen, die meist nach einigen Millionen Jahren wieder verschwanden, um gegen neue Arten ausgetauscht zu werden – ein stetes Entstehen und Vergehen. Es ist äußerst beeindruckend, dass Schachtelhalme, Farne und Bärlappgewächse alle diese Katastrophen wie Dunkelzeiten, Giftgaswolken, Wellen verschiedenster Weltraumstrahlungen, rapide Temperaturstürze, die wiederholten Wechsel von Eiszeiten und Heißzeiten, Meteoriteneinschläge, Sintfluten und wüstenartige Trockenperioden überlebt haben.

      Wie haben diese Pflanzen das nur geschafft? Und welche Heilwirkungen entwickeln sich wohl in solchen Überlebenskünstlern? Um all das soll es in diesem Buch gehen. Wie keine andere Pflanzenfamilie tragen die Schachtelhalme, wie auch Farne und Bärlappgewächse, das Thema des schier ewigen, Hunderte Millionen von Jahren alten Lebens und der Wiederauferstehung in sich.

      Könnte man den Schachtelhalm fragen, was er zu den heutigen Sorgen in Bezug auf Klimaveränderungen, CO2-Ausstoß, Weltraumstrahlen, Anstieg der Meeresspiegel und noch so manch anderer Endzeitbefürchtung zu erwidern hätte, würde er wohl recht gelassen antworten. Vielleicht würde dieser alte Weise ganz gelassen erwidern, dass er mit den Farnen und Bärlappgewächsen verschiedenerlei Klimaveränderungen erlebt und überlebt habe. Dass die aktuellen Klimaveränderungen dagegen nicht besonders extrem wären, zumindest nicht im Vergleich zu all dem, was er schon erlebt habe. Dass es immer wieder Wechsel gegeben hätte, von Warmzeiten und Kaltzeiten, von Zeiten mit viel und wenig Sauerstoff und Kohlendioxid, von viel und wenig Sonneneinstrahlung, hohen und tiefen Meeresspiegeln. Vielleicht würde er anfangen, alle die Arten aufzulisten, deren Entstehen und Vergehen er miterlebt hat. Oder beschreiben, wie es kam, dass die ersten Menschen sich entwickelten, und wie sie so lebten.

      Ja, es wäre spannend, könnte man diesen Zeitzeugen zu den sagenhaften Urgeschichten befragen, die doch wahr sind. Und wenn ich mir das vorzustellen versuche, schillert ein personifiziertes Pflanzenwesen mit langen weißen Haaren und weißem Bart in meiner Vorstellung, ein uralter und doch ewig junger Weiser mit äußerst beruhigender Ausstrahlung.

      Die Kraft seines immerwährenden Überlebens gelangte auf mysteriöse Weise in die Volksmythologie. Man fragt sich dabei, woher die ersten Geschichtenerzähler aus grauer Vorzeit von dieser extremen Wiederauferstehungsfähigkeit der Schachtelhalme wussten, die ja in Zeiten lange vor Erscheinen der Menschheit auf der Erde zurückreicht. Auch die Wurzeln des volksheilkundlichen Pflanzenwissens gehen oft sehr weit in die Vorzeit zurück. So manche Parallelen durchziehen die Pflanzenerzählungen und Pflanzenverwendungen in Bezug auf die Schachtelhalme bei weit entfernt lebenden Völkern wie den nordamerikanischen Indianern und den Eurosibiriern. Sie lassen erahnen, dass der Ursprung auf gemeinsame Urzeiten gründet, die teilweise auf das Ende der letzten Eiszeit deuten, also bis zu zehntausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückreichen könnten. Dennoch ist dieser für die Menschheitsgeschichte riesige Zeitraum aus Sicht der Schachtelhalme nur ein Wimpernschlag, gerade mal ein winziges Zehntausendstel ihres Daseins.

      WIEDERAUFERSTEHUNG IN DER VOLKSMYTHOLOGIE

      Auch die Märchen und Mythen verschiedener Völker sprechen vom Schachtelhalm. Ein Beispiel dafür findet sich im russischen Märchen vom Schachtelhalmmädchen, dessen Quelle vor langer, langer Zeit irgendwo im eurosibirischen Raum zu vermuten ist und das heute in verschiedenen Varianten erzählt wird. Es betont die außergewöhnliche Wiederauferstehungsfähigkeit der Urzeitpflanze Schachtelhalm.

      Eines Tages, früh am Morgen, so erzählt man sich, ging ein kleines altes Weiblein, das fünf schwarz gefleckte Kühe besaß, hinaus aufs Feld. Wie sie auf den weiten Acker kam, sah sie einen Schachtelhalm mit fünf Trieben stehen. Den grub sie aus, schön behutsam Würzelchen für Würzelchen. Sie verletzte nicht den Stängel und nicht die Triebe, trug ihn in ihre Jurte und legte ihn auf ein Kissen. Dann ging sie wieder hinaus, um ihre Kühe zu melken. Und während das kleine alte Weiblein so saß und melkte, hörte sie auf einmal in der Jurte Glöckchen und Schellen klingeln. Sie sprang auf, stieß an den Melkeimer, der kippte um, die Milch lief aus, sie aber eilte in die Jurte. Dort war alles wie zuvor: Auf dem Kissen lag der Schachtelhalm, ein Kräutlein wie jedes andere. Da machte sich das alte Weiblein wieder an die Arbeit. Und abermals drang der Klang von Glöckchen und Schellen an ihr Ohr. Wieder eilte sie, warf den Melkeimer um, verschüttete die Milch und als sie in die Jurte gelaufen kam, saß da ein Mädchen auf dem Bett, ein Mädchen, so schön, dass man es nicht sagen und nicht beschreiben kann. Wie Edelsteine leuchteten ihre Augen, die Brauen schimmerten wie schwarzes Zobelfell, ihre Zöpfe hingen wie Fuchsschwänze bis auf den Gürtel hinab. Aus dem Schachtelhalm war ein wunderschönes Mädchen geworden. Wie freute sich da das kleine alte Weiblein, denn sie fühlte sich schon lange sehr einsam. Wollte sie sich unterhalten, musste sie mit ihren schwarz gefleckten Kühen sprechen oder mit der silbern bemoosten Zirbelkiefer hinter der Jurte. Aber was waren das schon für Gespräche!

      Einmal nun streifte der junge Jäger Bar-Chara durch die Taiga, ein schlohweißes Eichhörnchen hatte seine Jagdleidenschaft geweckt, das wollte er schießen. Vom Morgen bis zum Sonnenuntergang jagte er dem Eichhörnchen nach und traf es doch nicht. Behände kletterte es von der Tanne auf die Birke und weiter über die Föhre auf die Lärche, bis es sich gegen Abend auf die silbern bemooste Zirbelkiefer setzte, nicht weit von der Jurte des kleinen alten Weibleins. Bar-Chara spannte den Bogen, doch wieder verfehlte er sein Ziel, und der Pfeil flog geradewegs in das Rauchloch der Jurte. »Rasch, bringt mir den Pfeil heraus!«, rief Bar-Chara. Aber niemand kam. Zornrot wurde da sein Gesicht, ärgerlich sprang er vom Pferd und stürmte in die Jurte. Und da sah er das Schachtelhälmchen, und sie war schön wie ein Sommertag. Bar-Chara vergaß seinen Pfeil, vergaß das schlohweiße Eichhörnchen, ja, für einen Augenblick vergaß er sogar das Atmen. Wie angewurzelt blieb er am Eingang der Jurte stehen. Dann stürzte er hinaus, sprang aufs Pferd und jagte in sein Dorf zurück. »Vater!«, rief er. »Mutter! Das kleine alte Weiblein, das die fünf schwarz gefleckten Kühe besitzt, hat ein Mädchen bei sich, wie ich noch keines gesehen habe. Wenn sie spricht, fallen gewiss rote Perlen aus ihrem Mund und schwarze Zobel werden dort aus der Erde springen, wo sie ihren Fuß hinsetzt. Rasch, schickt die Brautwerber zu der Jurte hinter der silbern bemoosten Zirbelkiefer. Erbittet sie für mich zur Frau! Gebt, was für sie verlangt wird, denn ohne sie kann ich niemals glücklich sein.«

      Die Eltern taten, wie Bar-Chara es verlangte. Der Vater ließ neun prächtige, gescheckte Hengste satteln, neun ehrwürdige Männer wurden als Brautwerber bestimmt. Unverzüglich machten sie sich auf den Weg, das schöne Mädchen als Braut einzuholen. Zu dem kleinen alten Weiblein kamen sie geritten, das die fünf schwarz gefleckten Kühe besaß, sie sahen das Mädchen und waren gefangen von seiner Schönheit. Wie es die Sitte gebietet, hielten sie um Schachtelhälmchens Hand an. »Ich habe nichts dagegen«, antwortete das kleine alte Weiblein. Danach fragten sie Schachtelhälmchen, und auch sie hatte nichts dawider, denn der junge Jäger hatte ihr gut gefallen.

      »Als Brautgeld«, sprach das kleine alte Weiblein, »werdet ihr mir so viele Pferde und Kühe hertreiben, dass es ihnen auf


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