Bauchgefühl & Gottvertrauen. Guido Cantz

Bauchgefühl & Gottvertrauen - Guido Cantz


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      Vermutlich lag es am Mittagessen vom Vortag. Es war im Angebot des Tagesausflugs inklusive. Da sagt der innere Schwabe natürlich nicht nein. Reis, Bohnen und Hähnchen hatten mir wenig Sorgen bereitet, Zweifel beschlichen mich eher beim gereichten Avocado-Salat, denn der wird weder gekocht, gebraten noch frittiert, was Krankheitserregern im Zweifelsfall sehr entgegenkommt. Letztlich dachte ich mir: „Genieß ihn einfach! So reif und lecker bekommst du sie ab übermorgen nicht mehr.“

      Der Durchfall wurde allerdings in den kommenden Tagen immer schlimmer, sodass mein Hausarzt schließlich eine Stuhlprobe zum Hamburger Tropeninstitut schickte. Es hieß abwarten und auf die Diarrhö-Tabletten vertrauen.

      In diesen Tagen begann auch die Vorbereitung auf die Fußballsaison. Fußball ist meine große Leidenschaft, seit ich sechs Jahre alt bin. Doch womöglich hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass ich von heute – also von meinem 50. Lebensjahr – aus betrachtet, im Alter von 25 eine längere Halbzeitpause mit körperlichem Systemausfall erlebte.

      Da ich in der heißen Phase des Karnevals wie jedes Jahr aus Zeitmangel mit dem Training pausieren musste, wollte ich mich in der Vorbereitung umso mehr beweisen und als Stammspieler etablieren. Mit Peter Klimke, dem ehemaligen Bundesligaprofi von Bayer Leverkusen, hatten wir zudem einen neuen Trainer, der ambitionierte Ziele verfolgte und neue Spieler mitbrachte, darunter auch solche mit Oberliga-Erfahrung. Insofern gab es im Team definitiv technisch versiertere Fußballer als mich. Mich aber zeichneten Leistungsbereitschaft und Kampfeswillen aus. Beides musste ich unter Beweis stellen.

      Klimke wollte sehen, dass wir die Vorbereitung ernstnahmen. Einmal pro Woche mussten wir zum Wiegen antreten, dazu schleppte er sogar seine private, ziemlich schwere mechanische Waage auf den Platz. Einer nach dem anderen durften wir auf das Original-Badezimmeraccessoire des Ex-Profis treten, der mit einem Block in der Hand die Entwicklung notierte und wenn nötig mahnende Worte sprach.

      Da ich ein durchaus ehrgeiziger Sack bin, habe ich im Training alles gegeben. Dass ich nach den ersten beiden Saisonspielen plötzlich Schmerzen in der Leiste spürte, schob ich aufs Training und bat Klimke um eine Pause beim Pokalspiel am Mittwoch. Ich hoffte, am Wochenende wieder fit zu sein. Doch noch in derselben Nacht hatte ich plötzlich vierzig Grad Fieber und Schmerzen im Bauchraum. Mein Vater vermutete eine Blinddarmentzündung, der Hausarzt hielt das am folgenden Morgen ebenfalls für die passende Erklärung und so fand ich mich im Troisdorfer Krankenhaus ein: Bauchdrücken, Fieber, erhöhte Leukozyten – mein Blinddarm sollte wenig später entfernt werden. Nur ein Routineeingriff, sagte man mir, ein paar Tage Ruhe und die Sache wäre erledigt. Ich rief meinen ehemaligen Schlagzeuglehrer und guten Freund Ilja an und er versprach, am Nachmittag vorbeizukommen.

      Als er später tatsächlich in meinem Zimmer stand, fand er jedoch nur ein unbenutztes Bett vor. Er fragte die Schwester, wo ich sei. Sie sah ihn besorgt an und wollte wissen: „Sind Sie ein Verwandter?“ – Eine Szene wie aus einer Arztserie, nur ohne den Nachsatz: „Wir konnten leider nichts mehr für ihn tun.“ Tatsächlich hätte aber dafür nicht viel gefehlt.

      Als ich wieder zu mir kam, lag ein Schlauch in meiner Nase, der mich mit Sauerstoff versorgte, und in meiner linken Armbeuge steckte ein Zugang, der direkt zum Herzen führte. An das Gefühl erinnere ich mich bis heute. Ich spüre noch genau die Stellen, an denen der Schlauch verlief. Am rechten Zeigefinger hing ein Pulsmessgerät, der Blick unter die Bettdecke ließ außerdem einen Blasenkatheter und ein Kabel in meinem Hintern erkennen, das wohl dazu diente, meine Temperatur zu messen. Komplett verkabelt, heute würde man sagen: Ich war online. Leider gab es noch kein W-Lan.

      Warum so viel Aufwand für einen Blinddarm? Einmal unterm Messer wurde er zwar in die ewigen Jagdgründe geschickt, wies aber keinerlei Entzündung auf. Dafür fand man eine Flüssigkeit im Bauchraum, deren Herkunft sich niemand erklären konnte. Nach der OP bin ich dann im Aufwachraum blau angelaufen: Herzinsuffizienz linksseitig.

      Nun lag ich also auf der Intensivstation. Mit über vierzig Grad Fieber. Eine Spezialdecke mit Dauerluftzug arbeitete daran, meinen überhitzten Körper wenigstens in die Nähe der Normaltemperatur zu kühlen. Es war die Art von Zudecke, die man sonst benutzte, um stark unterkühlte Lawinenopfer wieder aufzuwärmen. Offensichtlich konnte man sie auch für das Gegenteil einsetzen.

      In den kommenden Stunden und Tagen probierte man diverse Antibiotika aus und setzte sie wieder ab, bis schließlich eins Wirkung zeigte. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich in dieser Zeit immer wieder laut fantasiert hätte. Ich kann mich an die Stunden nach der OP nur schemenhaft erinnern, weil ich alles durch meinen Fieberschleier wahrgenommen habe. Ich weiß allerdings noch, wie die Menschen um mich herum sehr hektisch wurden und aufgeregt durcheinandersprachen.

      Ohne das passende Antibiotikum hätte ich höchstwahrscheinlich nicht überlebt. Das Fieber ging nun zum Glück runter, aber eine Erklärung für meinen Zustand hatte immer noch niemand. Für die Mediziner war mein Fall ein spannendes Rätsel und das war alles andere als beruhigend. In den kommenden Tagen standen gefühlt sämtliche Ober- und Chefärzte bei mir am Bett und jeder durfte mal tasten, drücken, Blut abnehmen und dabei ernst gucken. Es kam mir vor, als hätte jeder einen Versuch frei. Ich fühlte mich wie ein Versuchskaninchen. Sie alle waren auf der Suche nach der Ursache für meinen Zustand. Und täglich half ich ihnen bei ihrer Spurensuche und beantwortete stets dieselben Fragen, nur dass sie von Vertretern aus unterschiedlichen Fachrichtungen gestellt wurden. Ob Urologe, Orthopäde oder Internist, sie alle hörten interessiert zu, bis jeder einzelne schließlich mit vollen Ampullen in der Hand mein Zimmer wieder verließ.

      Ohne das passende Antibiotikum hätte ich höchstwahrscheinlich nicht überlebt.

      Besonders schmerzhaft war allerdings die Prozedur mit der sogenannten Beckenmarkstanze. Eine Biopsie, bei der mittels einer langen Hohlnadel Knochenmark aus dem Beckenknochen entnommen wurde. Obwohl ich mit Schmerzmitteln bis oben hin vollgepumpt war, hätte ich am liebsten laut aufgeschrien.

      Eigentlich fehlte am Ende nur noch, dass Studenten an mein Bett geführt wurden mit den Worten: „Schauen sie sich diesen interessanten Fall mal an.“ Doch selbst ohne Ärztenachwuchs fanden sich bei mir im Zimmer mehr Zuschauer ein als bei meinen ersten Auftritten bei Geburtstagsfeiern.

      Es war zermürbend! Jeden Tag neue Tests, die keine eindeutigen Ergebnisse erbrachten und dazu die andauernden, heftigen Schmerzen. Die Erleichterung darüber, dass mein Fieber nicht mehr lebensbedrohlich war, geriet allmählich in den Hintergrund. Mein Zustand war schließlich nach wie vor schlecht. Jede Bewegung schmerzte und eine Besserung schien nicht in Sicht.

      Ich wollte endlich Klarheit, ich wollte die Nachricht hören: „Ja, Sie kommen wieder in Ordnung, Sie stehen bald wieder auf dem Fußballplatz und auf der Bühne.“

       Die Stimme ist mein wunder Punkt

      Dass mein Körper nicht mehr mitspielen und meine Pläne durchkreuzen könnte, war mir seit zwei Stimmband-OPs in den Jahren 1991 und 1992 durchaus bewusst. Durch viele Auftritte und die Parodien hatte ich meine Stimmbänder überanstrengt und es hatten sich sogenannte Sängerknötchen gebildet. Im Zuge der beiden Operationen wurden sie abgeschält, erst auf der linken, dann auf der rechten Seite. Ein Eingriff, den man nicht unbegrenzt oft wiederholen kann.

      Als meine Stimme das erste Mal den Dienst versagte, war ich noch bei der Bundeswehr. Beim zweiten Mal bekam ich meine Heiserkeit bei einem Karnevalsauftritt auf einer Radiositzung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) an Weiberfastnacht nicht mehr richtig in den Griff.

      In den beiden Aufklärungsgesprächen wurde ich über die Risiken des Eingriffs informiert, dass bei der Operation meine Stimmbänder schlimmstenfalls dauerhaft beschädigt werden könnten. Was wäre also, wenn ich meinen ersten Satz sprechen würde und mir meine Stimme nicht mehr gehorchte? Dann wäre alles, was ich mir gerade aufgebaut hatte, mit einem Schlag wieder vorbei.

      Nach den Eingriffen durfte ich jeweils fünf Tage lang nicht reden, ich habe nur schriftlich kommuniziert und war hochnervös. Ist alles in Ordnung? Ich versuchte, optimistisch zu bleiben und den Gedanken an den in diesem Moment größtmöglichen Albtraum wegzuschieben, aber die Wartezeit war trotzdem schwer auszuhalten.


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