Bauchgefühl & Gottvertrauen. Guido Cantz
vor der Wiedervereinigung, begegnete man diesem Akzent in Westdeutschland nur ausgesprochen selten. Bis heute faszinieren mich Dialekte und regionale Sprachfärbung, auf Zugfahrten kann ich mich stundenlang mit der Frage beschäftigen, woher meine Mitreisenden wohl kommen, während sie mich an ihren Telefonaten teilhaben lassen.
Mit fremden Stimmen zu sprechen, machte mir großen Spaß.
Ich weiß noch, wie ich samstagabends bei meinem Kumpel Karsten zu Hause die Rudi-Carrell-Show verfolgt habe. Seine Eltern hatte eines dieser neuen Tastentelefone der deutschen Bundespost, Farbe Rot und – technisch konnte man kaum näher am Puls der Zeit sein – mit Lautsprecher, es konnten also alle Umstehenden hören, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde.
Die jüngere Generation kann dieses Wunder wohl nicht mehr so recht nachvollziehen, aber für uns, die wir noch als Familie zu viert im Halbkreis stehend unserem Opa in Stuttgart zum Geburtstag gratulierten und kaum zu atmen wagten, wenn Mama den Hörer in die Luft hielt, damit alle seine Reaktion mitbekamen, war das zukunftsweisende Hochtechnologie.
Während also in Carrells Sendung gerade eine Metzgereifachverkäuferin als Mireille Mathieu „Akropolis adieu“ schmetterte – natürlich nach Rudis obligatorischer Ankündigung: „Eben noch an der Fleischtheke, jetzt auf unserer Showbühne“, griff ich zum Telefonhörer, wählte eine beliebige Nummer und sagte: „Guten Abend, hier ist Rudi Carrell, ich gratuliere, Sie haben gewonnen. Schalten Sie Ihren Fernseher ein. Ja, da läuft gerade Musik, deswegen kann ich sie ja anrufen.“
Manch einer mag einwenden, dass ich mit 16 Jahren für derart infantile Telefonstreiche womöglich schon ein bisschen zu alt gewesen sein könnte. Ich sehe das eher als Berufsvorbereitung. Wie von selbst entwickelte sich jedenfalls plötzlich ein Repertoire aus Gags bekannter Komiker, Witzen und selbstausgedachten Parodien. Ich brauchte also nur noch die Gelegenheit, es vor mehr Menschen als nur meinem unmittelbaren Umfeld zu präsentieren, das es zugegebenermaßen recht gut kannte. Glücklicherweise gab es immer wieder private Feiern oder größere Familienfeste, bei denen ich meinen Gag-Fundus ausprobieren und verfeinern konnte.
1989 habe ich es dann zum ersten Mal für Geld getan. Mein Bruder Jochen war damals schon Student und jobbte nebenbei bei einer Softwarefirma, die kurzfristig jemanden suchte, der das Sommerfest bespaßen sollte. Diese Chance habe ich sofort genutzt. Die Versuchsanordnung war geradezu perfekt: Man hatte ein Ausflugsschiff gemietet, das Publikum hatte dementsprechend keine Fluchtmöglichkeiten. Direkt am Eingang habe ich von allen Mitarbeitern Polaroidfotos geschossen, anschließend eine Tombola moderiert und meine Parodien vorgeführt. Für hundert D-Mark habe ich die Gesellschaft den ganzen Tag bespaßt. Ein, wie ich finde, guter Deal für das Unternehmen, das Boris Becker, Otto, Helmut Kohl und Guido Cantz zum Preis von einem bekam.
Ob die Initiative, mich zu beauftragen von meinem Bruder oder seiner damaligen Freundin ausging, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Sie arbeitete jedenfalls auch bei diesem Unternehmen und kannte mich und meine Neigung, im Mittelpunkt zu stehen, schon aus der Schule.
4. Per Zufall im Karneval
Mundpropaganda verhalf mir zu immer weiteren kleinen und größeren Auftritten – bis zu einem schicksalhaften Polterabend in Porz im Jahr 1990. Der Abend lief richtig gut, die Festgesellschaft im Nebenzimmer lachte lauthals über meine Parodien und im Gastraum saß einer der bekanntesten Redner des Kölner Karnevals: Peter Raddatz, jedem Kölner ein Begriff als „Dä Mann met dem Hötche“. Die Karnevalslegende hatte ein gebrochenes Bein und konnte sich nicht selbst mal eben schnell unauffällig in den Saal schleichen und nachgucken, was dort los war. Vielleicht war gerade deshalb seine Neugier umso mehr geweckt. Raddatz wollte von der Bedienung wissen, wer da gerade nebenan die Leute so zum Lachen brachte. Ihre Antwort kam schnell: „Das ist so junger Typ aus Porz, ein ganz lustiger Vogel.“
Nach meinem Auftritt stellte mich jemand Peter Raddatz vor. Wer er war, wusste ich selbstverständlich. Raddatz fragte mich: „Es hat doch bestimmt jemand ein Video gemacht. Besorg dir das und schick es mir zu. Ich guck mir das gerne an und melde mich.“ Er gab mir dann seine Adresse und bekam im Gegenzug meine Telefonnummer.
Ich habe nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sich daraus etwas ergibt. Typisches Kneipengespräch, dachte ich, vielleicht wollte er ja nur nett sein. Ich konnte ohnehin nicht zu Hause um das Telefon herumschleichen und bei jedem Klingeln hoffen, dass endlich Peter Raddatz anruft, um mir mitzuteilen, dass ihn noch nie zuvor ein Video so begeistert habe. Zu dieser Zeit war ich nämlich noch beim Bund, mein Wehrdienst ging in die Endphase und ich musste schon morgen zurück in die Kaserne.
Ein paar Wochen später, an einem Freitagnachmittag, weckte mich dann aber meine Mutter und streckte mir das Telefon entgegen. Ich war zwei Stunden zuvor von meiner Woche beim Bund zurückgekehrt und hatte mich wie jedes Mal kurz hingelegt.
„Ja, hier Raddatz, ich habe doch gesagt, ich melde mich mal. Ich würde dich gerne mal in Köln vorstellen beim Stammtisch Kölner Karnevalisten. Da bin ich Mitglied und die suchen immer Nachwuchs. Hättest du Lust dazu?“
Natürlich hatte ich Lust. Ich fuhr also zu dieser Versammlung, die an einem Samstag in einem Lokal namens „Zum Jan“ stattfand. Ich ging die Treppen hinab ins Kasino des Reiterkorps „Jan von Werth“ im Keller, in dem auch heute noch regelmäßig das Tanzkorps trainiert und einmal im Monat die Karnevalisten tagen. Dort saßen die Karnevalsprofis an einer langen Tischreihe und hinten im Eck entdeckte ich eine kleine Bühne, auf der ich gleich mein Können zeigen durfte.
Erstaunlicherweise war ich vor meinem Auftritt wenig nervös. Ich hatte nicht das Gefühl, dass von der kommenden Viertelstunde meine Zukunft abhängen würde. Im Nachhinein wundere ich mich, wie unbedarft ich diesen Auftritt anging, aber vielleicht lag genau darin das Geheimnis. Ich tat einfach, was ich immer tat und war gespannt, was die Experten hinterher dazu sagen würden.
Heute wäre ich wahrscheinlich aufgeregter als damals, denn mittlerweile verunsichern mich nur dreißig Menschen im Publikum mehr als 3.000.
Die Reaktionen der Karnevalisten waren nicht enthusiastisch, aber doch sehr positiv. Menschen, die selbst seit Jahrzehnten auf der Bühne stehen, wird man selten komplett überrascht erleben, dafür haben sie einfach über die Zeit schon zu viel gesehen. Mein Auftritt hatte nur einen einzigen Fehler: Er geschah eindeutig zu spät. Für den großen Vorstellabend im Oktober, bei dem sich neugierige Karnevalsjecken und die Literaten der unterschiedlichen Gesellschaften versammelten, um die neuen Talente unter die Lupe zu nehmen, war der Zug bereits abgefahren. Das Programm war fix und fertig und es gab beim besten Willen keine Lücke mehr. Man verabschiedete mich daher mit den Worten: „Du musst nächstes Jahr noch mal wiederkommen.“
Heute verunsichern mich dreißig Menschen mehr als 3.000.
Peter Raddatz hat mich nicht vergessen
Für mich war die Sache erst mal abgehakt, aber Peter Raddatz hatte mich zum Glück weiter auf dem Schirm. Als 1991 der Karneval aufgrund des Golfkriegs abgesagt wurde und damit ein Großteil der Sitzungen, der Straßenkarneval und die Züge ausfielen, beschloss der amtierende Karnevalsprinz von Porz, im wahren Leben Gastronom, an Karnevalsdienstag zum Abschluss der Session in seiner eigenen Kneipe ein Programm auf die Beine zu stellen. Raddatz brachte mich dort ins Gespräch und vermittelte mir den Auftritt. Als Versicherungsagent wusste er bestens Bescheid, wie man anderen etwas verkauft. Und ich war froh zu sehen, dass er mich nicht vergessen hatte und ganz offensichtlich immer noch fördern wollte. Seine Verlässlichkeit, die er als mein Fürsprecher an den Tag legte, ist der wichtigste Grund, warum ich diesen Weg einschlagen konnte. Er ist mein „karnevalistischer Ziehvater“, dem ich sehr dankbar bin, auch wenn er selbst sein Engagement immer ein bisschen runterspielt und sagt: „Das, was du da im Fernsehen machst, hab ich doch alles gar nicht erlebt. Für mich war die Bühne immer nur ein Nebenjob neben meinen Versicherungen.“
Im Frühjahr erinnerte Raddatz seine Vereinskollegen vom