Demokratietheorien. Rieke Trimcev

Demokratietheorien - Rieke Trimcev


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„Mischverfassung“.

      Solange dieses System ohne allzu große Reibungen funktionierte, benötigte man keine Theorien, die das Handeln anleiteten. Erst in der Krise der Republik, als ihre Existenz infrage gestellt war, als mit Pompeius, Caesar und Octavian die Ära der Magnaten und die Rückkehr zur Alleinherrschaft einzelner Männer begann, wurden theoretische Reflexionen unternommen, die sich um die Rettung und Stabilisierung der bedrohten Ordnung bemühten und den Übergang in die Monarchie des Imperium Romanum zu verhindern suchten. Dabei half die Rezeption der griechischen Philosophie, mit der die Römer im Zuge ihrer Eroberungen in Berührung kamen. Im Spiegel des ganz anders gearteten Denkens der Griechen verlor die römische Überlieferung ihre Selbstverständlichkeit. Sie wurde verfremdet und reflexiv. Traditionsfixierte Römer wie der ältere Cato wehrten sich deshalb vehement gegen die drohende Überfremdung der römischen Kultur. Angesichts des unaufhaltsamen Aufstiegs Roms zur Weltmacht erwiesen sich vor allem die hellenistischen Herrschaftstheorien als adäquater Resonanzboden für die erforderlichen theoretischen Bemühungen. War doch hier längst von der Existenz autonomer Poleis und vom Engagement der sich selbstbestimmenden Bürgerschaft abstrahiert worden. Nicht die Klassiker des politischen Denkens, sondern ihre Nachfolger gelangten entsprechend zu Einfluss. Insbesondere die ethischen, anthropologischen und kosmopolitischen Spekulationen der mittleren Stoa (Panaitios, Poseidonios) konnten zu einem vertieften Verständnis der allgemeinen menschlichen Lage im entstehenden Imperium Romanum beitragen. Ihre Überlegungen zu den natürlichen und göttlichen Gesetzen, zu Gerechtigkeit und Wohlfahrt, Rechten und Pflichten des Bürgers, ihre Dekadenztheorie und Affektenlehre, ihre Konzeption des gerechten Krieges (bellum iustum) usw. konnten die Selbstverständigung der Römer stimulieren. Ferner konnten die geschichtstheoretischen Reflexionen des Polybios helfen, die Probleme der römischen Herrschaftsordnung besser zu verstehen. Seine Analysen zum Aufstieg Roms, seine Thesen zum Verfassungskreislauf, seine Auszeichnung der klassischen Republik als gelungene Verwirklichung einer Mischverfassung konnten bei der Erforschung der Krisenursachen und bei der Suche nach Auswegen aus der desolaten Lage helfen.

      Das Mit- und Gegeneinander dieser drei Elemente auf der Basis eines allgemeinen Konsenses über das geltende Recht und das gemeine Wohl (consensus iuris et utilitatis communio) habe Rom zu seiner Blüte geführt [De re publica I, 26-29 (42-45)]. Die egoistischen Bestrebungen der Stände seit der Zeit der Gracchen (133-121 v. Chr.) hätten diese ideelle Grundlage jedoch zerstört und damit den Niedergang und Verfall der Republik eingeleitet, die nunmehr durch Bürgerkriege zerrissen war und im Begriff stand, über die Diktatur Caesars (48-44 v. Chr.) zur Monarchie überzugehen. Das Volk (populus) war nicht mehr durch die Anerkennung des Gesetzes und durch gemeinsame Interessen verbunden, hatte demnach aufgehört, als Volk im Sinne Ciceros zu existieren (siehe den Beginn des obigen Auszugs). Es hatte sich in Parteien und Faktionen zersplittert, die sich aufs heftigste bekämpften. Um den Zerfall der Republik aufzuhalten, beschwor Cicero noch einmal die aristokratischen „Bürger“-Tugenden, den Patriotismus und die Idee der Gerechtigkeit (iustitia). Er begriff die res publica als „Sache des Volkes“ (res populi) und rief zur Eintracht (concordia) und zum gesteigerten Bürgerengagement, zur Disziplin und zur Selbstaufopferung der Einzelnen fürs Gemeinwesen und fürs Vaterland (patria) auf.

      Sein großes Ansehen gründete auf seiner Leistung als Rhetoriker, der in Rede und Gegenrede das Für und Wider der unterschiedlichen Auffassungen bedachte und deshalb auch in seinen philosophischen Schriften das Wahre und Richtige – wie zuvor Platon – in Gestalt von Dialogen zu ermitteln suchte. Diese Form ermöglichte es ihm (wie einst schon Herodot), Fürsprecher und Gegner der unterschiedlichen Verfassungen ihre Argumente vortragen zu lassen. Für die Rolle des Apologeten in der „Demokratenrede“ (siehe Auszüge) wählte er, um keinen noch Lebenden zu brüskieren, Scipio Aemilianus Africanus den Jüngeren († 129 v. Chr.), der einst Karthago (146 v. Chr.) und Numantia (133 v. Chr.)


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