Durchgeknallt. Wolfgang Breuer
sein Bestes versuchte.
Nur der Porschefahrer, für den es offenbar kein Zurück in die entgegengesetzte Richtung gab, tobte wie ein Irrer und versuchte nun, den Trucker von seinem Sitz zu holen. Doch der hatte sich die Schimpfkanonaden nicht länger gefallen lassen, dem Aggressor schlicht den Stinkefinger gezeigt und die Fahrertür verrammelt. ‚Macht man nicht‘, dachte Klaiser. Trotzdem: der Mann auf dem hohen Lkw-Thron hatte seine volle Sympathie.
Allerdings wurde es für den Mutigen hinter der Tür jetzt brenzlig, denn sein Widersacher vom Typ „handliches Schrankformat“ war um den Brummi herum gerannt und im Begriff, die Beifahrertür aufzureißen. Die drei stählernen Stufen hatte er bereits erklommen. Der Polizist musste also eingreifen.
Und das tat Klaiser auch. Er ging ein paar Schritte vor und riss den Fleischberg an seinem gürtelverstärkten Hosenbund mit einem Ruck einfach vom Bock. Einfach so. Klaus war perplex, wie leicht das ging. Dieser aggressive Sack allerdings auch. Denn der hatte nicht mit einer Attacke von hinten gerechnet. Frei schwebend drehte er sich halb um die eigene Achse, nachdem ihm der Türgriff entglitten war, stierte Klaiser im Vorbeifliegen verwundert an und knallte der Länge nach auf die Straße. Freier Fall aus gut einem Meter fünfzig Höhe, plus Körpergröße, auf Asphalt. Das klatscht richtig. Vor allem, wenn sich die Hände, nach Halt suchend, irgendwo, aber nicht vor dem Gesicht befinden.
Für Sekunden war es still. Sogar der Motor des Lkw brummelte nur im Standgas. Und der schreckensbleiche Fahrer gönnte sich einen Moment hingebungsvollen Gaffens auf den Gestrauchelten. Ein dankbares Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Gesetzeshüter ansah. Dann verschwand er wie in Zeitlupe im Inneren des Führerhauses. Vermutlich musste er jetzt erst einmal ordentlich lüften in der Kabine.
Klaiser stand breitbeinig über dem reglosen Sturzopfer am Boden. Wie ein Jäger über seiner Beute. Nur weniger zufrieden. Denn so konnte er den Mann schließlich nicht liegen lassen. Idiot hin oder her. Er musste was tun. Erste Hilfe leisten womöglich. Doch der Beamte war alleine mit diesem gewaltbereiten Koloss. Ihm war extrem unwohl zumute.
Berechtigterweise, wie sich herausstellen sollte. Denn als er ihn zaghaft an der rechten Schulter anfasste, um ihn umdrehen und nach ihm schauen zu können, stieß der Porsche-Rüpel einen tierischen Schrei aus. „Uuuuuuuuaaaaaaaaaah, Scheiffe, verfluchte. Jetf iff allef im Eimer“, brüllte der Fleischberg mit total lädierter Oberlippe und drehte sich auf die Seite.
Blut quoll aus einer Platzwunde an der Stirn und aus Mund und Nase. Letztere hatte eine seltsame Kartoffelform. „Fo ein Mift, fo ein verdammter!“ Er kriegte sich gar nicht mehr ein. „Wer bift Du eigentlich, Du dämlicher Narr!“, schrie er Klaiser an. „Gnade Dir, wenn ich Dich fu packen kriege! Ich bring´ Dich um, du Wickfer!“
„Interessant“, versuchte der Angebrüllte cool zu bleiben. „Ich bin Hauptkommissar Klaus Klaiser, Kripo Bad Berleburg. Und du regst dich jetzt am besten erstmal ab.“
Seinem Gegenüber blieb vor Schreck das blutende Maul offen stehen, als Klaus ihm seinen Dienstausweis vor die verbogene Nase hielt.
Wie von der Tarantel gestochen war der Typ urplötzlich auf den Beinen und wollte weg. Doch der Bulle erwischte ihn an einem Handgelenk, riss ihn am Arm herum und hatte dessen Pranke blitzschnell so weit auf den Rücken gedreht, dass der Muskelprotz leise aufjaulte und auf die Knie ging. Gut, dass der Polizist in Zivil die Handschellen noch am Hosenbund hatte.
Der Rest war Routine. Die Hamburger Acht klickte zweimal und Klaiser entspannte innerlich ein wenig. Mit festgezurrten Händen auf dem Rücken schien ihm der Riese jetzt weit weniger gefährlich. Auch wenn der immer wieder brüllte wie ein Ochse und ihn auf´s Übelste beschimpfte.
Als der heftig Verbeulte allerdings versuchte, nach Klaus zu treten, knickte sein linkes Standbein ein. Begleitet von einem noch lauteren Aufheulen. Offenbar war der Sturz auch für die unteren Regionen seines massigen Körpers nicht ohne Folgen geblieben.
Irgendwie war es dem Trucker zwischenzeitlich gelungen, sein sperriges Gefährt um die Kurve zu bringen und endlich weiter zu fahren. Röhrend zog der Brummi den Tieflader samt Kran den Berg hinauf. Klaisers Armbanduhr zeigte drei Minuten nach halb fünf.
‚Alles super’, dachte Klaus. ‚Den Typen können die Kollegen ja gleich mit nach Berleburg nehmen.’ Und er hätte endlich Feierabend. Es gab nur noch ein Problem. Der Verkehr wollte nicht so recht anrollen. Es setzte jetzt eher ein Hupkonzert ein.
Und das war kein Wunder. Denn der Porsche stand ja noch immer quer zur Fahrbahn in der Kurve. Da traute sich kaum jemand mit seinem Wagen vorbei. Hätte ja noch zusätzliche Macken geben können, an dem edlen Gefährt. Obwohl es rechts schon ziemlich lädiert war. Aber da wollte keiner noch zusätzliche Schuld auf sich laden. Und natürlich auch den eigenen Wagen heile lassen.
„Meine Karre muff da weg, Du Arsch!“, brüllte der Bodybuilder. „Mach‘ mich lof!“
Demonstrativ dreht er dem Polizisten den schrankbreiten Rücken mit seinen zusammengeschnallten Pfoten zu.
„Leck mich doch“, entgegnete Klaiser. Nicht für Geld und gute Worte hätte er den Typen zu seinem Wagen zurück gelassen. Auch wenn der sich jetzt gebärdete wie Rumpelstilzchen. Vorher wollte der Hauptkommissar wissen, was der Kerl so alles auf dem Kerbholz hat. Außerdem war der Porschekutscher schon allein wegen seiner Raserei, der Kollision mit den beiden Wagen im Dorf und der Bedrohung des Truckers fällig. Den würde er nicht mehr laufen lassen.
Aber es wäre jetzt wirklich an der Zeit, den Porsche von der Piste und die bluttriefenden Wunden in der Visage dieses Zweieinhalbzentnermannes versorgt zu bekommen. Und die Gaffer weg zu schicken. Denn mittlerweile hatte sich eine ansehnliche Menge Mensch im Kreis um das Geschehen aufgebaut. Natürlich in respektvollem Abstand. Wann kriegst du so was schon mal geboten auf dem Dorf?
Klaiser war ganz und gar nicht nach Publikum zumute. Er wollte die Sache hier so schnell wie möglich beenden und hoffte inständig auf die versprochenen Streifenkollegen. Mit der Linken zerrte er den Demolierten an der Handschellenkette neben sich her, während er mit der Rechten sein Handy in Gang setzte. Mal nachfragen, wo die Kollegen bleiben.
Doch da stoppte dicht neben ihm ein blau-silberner VW-Bus mit der tollsten Werbeaufschrift, die er sich im Moment nur denken konnte: POLIZEI. Der war wohl über eine der Nebenstraßen gekommen, die jetzt wieder frei waren. Heraus sprangen zwei junge Kollegen, die Klaiser nur vom Sehen kannte. Beamte, die als Verstärkung bei der Sicherung des Flüchtlingserstaufnahmelagers von Köln nach Bad Berleburg abgeordnet worden waren.
Die Jungs hatten Figürchen wie Zehnkämpfer. Breite Schultern, schlanke Hüften und ein massives Fahrgestell. In ihren Einsatzkombis und mit Springerstiefeln machten sie echt was her. Selbst der Gefesselte schien ein wenig ins Grübeln zu geraten, als er sie sah. Richtig topfitte Jungbullen.
In kurzen Zügen erklärte Klaiser ihnen, dass es sich bei dem Mann um einen Verkehrsrowdy und üblen Schläger mit reichlichen Drohgebärden handele. Dann überließ er den Kraftprotz ihrer Obhut, um endlich die Straße frei zu machen. Das Hupkonzert hatte ein wenig nachgelassen. Den Autofahrern war das Auftauchen der Uniformierten wohl zu mulmig. Außerdem war klar, dass sich bald an der Situation etwas ändern würde.
Der Porsche-Schlüssel lag zum Glück auf der Mittelkonsole, als Klaus sich in den Sportsitz gleiten ließ. ‚Was für ein Auto. Und dazu noch ziemlich neu‘, dachte er, als er startete. Mit unbändiger Kraft zog der Bolide schon im Standgas an wie ein wilder Hengst. Aber der Beamte machte mit dem Traumfahrzeug lediglich eine Kehrtwende und stellte es neben seinem Quattro auf dem Hof vor dem ehemaligen Union-Stübchen ab. Eine legendäre Kneipe. Sein Nachbar hatte dort der Erzählung nach so manche Nacht Doppelkopf gespielt und geknobelt. Und dabei reichlich dem Dortmunder Bier zugesprochen. „Lang ist´s her“, hatte Werner sinniert. Der Zapfhahn war schon seit Jahrzehnten nach oben gedreht.
Klaus machte sich auf die Suche nach Personal- und Fahrzeugpapieren im Wagen. Das jedoch verlief mehr als enttäuschend. Der Panamera war innen so gut wie leer. Seltsam. Lediglich eine Sportjacke ohne Taschen auf dem schmalen Rücksitz. Und die Betriebsanleitung vom Hersteller im Handschuhfach. Die Tankanzeige stand auf etwas über „halbvoll“ und der Tacho