Sperrgebiet!. Susanne Klein

Sperrgebiet! - Susanne Klein


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zugegangen. Meine Freundin wunderte sich, weil die Frau auf dem Boden lag und schon so sommerlich gekleidet war.“ Er strich sich über seine Arme, als friere ihn bei den Gedanken daran. „‚Die holt sich noch den Tod‘, hat sie gesagt!“, berichtete der junge Mann, als die Polizei eintraf und erste Informationen von ihm erfragte. Er stand starr vor den Beamten, als würde er das Geschehene selbst verantworten müssen. Um ihn nicht unnötig zu strapazieren, notierte man seine Daten und entließ ihn aus der ersten Befragung in die Obhut der Sanitäter. Auch damit er in der Nähe seiner Freundin sein konnte. Die Polizei hielt ihn nicht für den Mörder und widmete sich den Untersuchungen vor Ort.

      Momentan und erst recht im Verlauf des Abends würden sie künstliches Licht benötigen, um den Fundort auszuleuchten und nach Spuren zu suchen. Zur Verstärkung alarmierte die Organisationseinheit das Technische Hilfswerk. Erschwerte Arbeitsbedingungen verursachte zusätzlich das nicht überall zugängliche Gelände und die Tatsache, dass die Einsatzfahrzeuge rund 250 m zuvor stoppen und sich alle auf einen mühsamen Fußmarsch einstellen mussten. An der Weiterfahrt wurden sie von einem Wassergraben und wild wuchernden Brombeersträuchern gehindert. Ob die militärischen Rückstände zusätzliche Probleme bereiten konnten, wusste zur Zeit niemand. Aber alle hofften, nicht auf eine vergessene Mine zu treten oder plötzlich eine Handgranate im Spurensicherungsbeutel zu haben, weil man sie für einen Scherzartikel, das Mordinstrument oder gleich beides hielt.

      Zunächst waren neben den Streifenbeamten nur Kollegen des Kriminaldauerdienstes vor Ort. Und mit etwas Verzögerung Labonte und Kurani aus unserem Dezernat. Sie verschafften sich einen ersten Überblick, machten Fotos und betrachteten mit ernstem Gesichtsausdruck die Leiche. Der Gerichtsmediziner erreichte mit seinem schweren Equipment keuchend zehn Minuten später den Fundort und schlüpfte etwas umständlich in seinen weißen Overall, bevor er die Kapuze überzog und sich der Toten näherte. In einer ersten, oberflächlichen Untersuchung bestätigte Carlo Seitz, so hieß der Experte, dann nicht überraschend ihren Tod und diagnostizierte fortgeschrittene Anzeichen der Verwesung. Spätestens, als er die Leiche umgedreht hatte, war dies, auch ohne ein Spezialist zu sein, erkennbar. Mehr oder weniger alle drehten sich reflexartig weg, als der offene Rücken sichtbar wurde und hunderte Maden in ihm wuselten.

      „Es ist definitiv nicht der Tatort. Das Territorium unter ihr weist nur geringe Körperabdrücke und wenige Rückstände des aus ihrem Leib austretenden Leichenwassers auf. Das heißt, sie liegt nicht so lange hier, wie sie tot ist.“ Er erklärte noch weiter: „Wir müssen den Boden trotzdem abtragen. Hier sind sicherlich Larven der Insekten abgelegt, die sich gerade über ihre Rückseite hermachen. Damit lässt sich der Zeitpunkt des Todes dann genauer bestimmen.“ Das wollte nun wirklich niemand so genau hören. Plötzlich hatte jeder irgendetwas Wichtiges zu tun und einen guten Grund dafür parat, die Fundstelle zumindest für die Dauer der Leichenanschauung zu verlassen.

      Das Gebiet wurde weiträumig abgesperrt. Die geschockten jungen Leute waren inzwischen erstuntersucht und ins Krankenhaus nach Troisdorf gebracht worden. Beide. Vorsorglich. Um sie nicht den unberechenbaren Risiken und Folgen eines schweren Schocks auszusetzen. Ein Streifenwagen fuhr zu den Eltern des Mädchens, um sie über ihren Aufenthaltsort und das Vorgefallene zu informieren. Sie war erst 17, so dass das Gesetz es vorsah, Minderjährige in die Obhut ihrer Erziehungsberechtigten zu bringen oder aber diese über die Situation zu unterrichten. Die verbleibenden Ermittler und Polizisten kamen zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Andreas richtete sich mit seinem Appell an alle Anwesenden: „Wir werden, wenn es sein muss, die ganze Nacht hierbleiben und nach Spuren suchen. Notfalls drehen wir jeden Stein um und fotografieren alle Grashalme. Noch so unscheinbare Hinweise sind wichtig. Auch wenn sie unspektakulär und weit weg von der Sache erscheinen. Betrachtet jedes Teil als wäre es unser wichtigstes Beweisstück und fügt alles zu einem Puzzle zusammen.“ Er machte eine Pause, damit sich sein Vortrag bei den Zuhörern verankern konnte und nicht sofort in der Kammer des Vergessens landete. „Und wir suchen ihre Handtasche. Vielleicht hatte sie ja doch ihre Papiere bei sich. Dann wüssten wir sicher, dass es Lena Grimm ist. Oder eben nicht.“

      Er klatschte aufmunternd in die Hände: „Kommt Leute, bleibt hellwach und gebt alles!“

      Nachdem das THW und eine kleine Einheit der Feuerwehr für Licht gesorgt hatten, wies Frank Labonte die Beamten an, vor Ort zu bleiben und den Tatort großräumiger zugänglich zu machen. Er hoffte, persönliche Dinge und vor allem das Handy der Frau zu finden. In ihrem Auto hatte es jedenfalls nicht gelegen und in der Wohnung, soweit die beiden Beamten das gecheckt hatten, auch nicht. Alle Spuren, die noch da waren, sollten so gut wie möglich erhalten bleiben und, in kleinen Plastiktüten gesichert, den Weg ins Präsidium finden. Das anfangs wuselige und ameisenähnliche Treiben rund um den Fundort wirkte inzwischen kontrollierter. Trotzdem war es schwer, die in weiße Overalls gehüllten Ermittler auseinanderzuhalten, obwohl jeder von ihnen auf der Rückseite seiner Zuordnung entsprechend „GERICHTSMEDIZIN“ oder „POLIZEI“ stehen hatte. Irgendwie sahen doch alle gleich aus. Einzig die Beamten in Zivil, die, um nicht versehentlich in einem Kugelhagel zu enden, weil man sie für den gesuchten Verbrecher hielt, trugen neongelbe Warnwesten und umrahmten das abgesteckte Territorium. Auch auf ihrer Kleidung stand in silbernen Leuchtlettern „POLIZEI“. Am nächsten Morgen sollten weitere 50 angehende Beamte einer Hundertschaft der Polizeischule Brühl hinzugerufen werden, die in einer eng geführten Reihe in kleinen Schritten und mit sogenannten Taststangen und Sonden den Boden nach Gegenständen absuchen sollten, die heute übersehen oder nicht gefunden wurden. Allem voran, suchte man nach möglichen Besitztümern des Opfers. Bestenfalls fand man welche des Täters.

       VIERZEHN

      Nach dem langen Warten der letzten Wochen wollte er den Erfolg sehen, fühlen und genießen. Ihn hautnah miterleben. Er hatte über eine Sonderfrequenz den Polizeifunk abgehört, sich in Tarnkleidung aus einer anderen Richtung an die Fundstelle herangeschlichen und hockte nun schon eine ganze Weile, unsichtbar für alle anderen, auf einem der zahlreichen Hochstände mitten in der Wahner Heide. Auch mit dem Wissen um die Gefahr, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen entdeckt zu werden, hatte er nicht widerstehen können. Mit einem breiten Grinsen beobachtete er nun durch sein Nachtsichtfernrohr das stille Geschehen. Schon vor Jahren hatte er sich nach einer Einladung zur Treibjagd im Bergischen Land eine komplette Jagdausrüstung mit allem Pipapo zugelegt und sie dann doch nie benutzt. Endlich kam sie zum Einsatz. Und, wie er fand, noch nicht einmal zweckentfremdet – Jagd ist Jagd. Sein Standort war etwa 500 Meter entfernt von dem ausgeleuchteten Fundort. Aber durch das hervorragende Equipment hatte er auch über die große Distanz eine perfekte Sicht. Niemand sprach – jeder war mit sich selber und der Leiche beschäftigt. Sie schauten vergeblich nach einem Hinweis auf ihre Todesursache. Die Regionen ihres Körpers, die sie nach Merkmalen äußerlicher Gewalt absuchten, waren jedenfalls meilenweit entfernt von dem Punkt, der ihren Tod ausgemacht hatte. Da würde ihnen auch der Blick ins Innere der Leiche später in der Gerichtsmedizin nichts nutzen. Er schaute nach oben und dankte Gott. Für diesen besonderen Moment seiner Genialität.

       FÜNFZEHN

      Ich war gerade im Büro angekommen und wunderte mich, dass noch niemand da war, als Frank mich wie auf ein Stichwort anrief. Vorwurfsvoll fragte er mich: „Schaust Du eigentlich auch mal auf Dein Handy?“ Obwohl ich alleine war, errötete ich voller Scham, als ich die vielen Nachrichten des gestrigen Abends auf meinem Display entdeckte. Gerade als ich zur Entschuldigung ansetzen und losstottern wollte, ging er zur Normalität über und berichtete von dem, was ich verpasst hatte:

      „Sie hat zwar keine Papiere dabei, aber wir gehen davon aus, dass die Tote Lena Grimm ist. Ich schick‘ Dir ein paar Fotos zum Abgleich.“ Er war aufgewühlt und hatte, wie die anderen auch, die Nacht draußen vor Ort verbracht, um keine Spur zu verlieren. „Und Du musst irgendwie versuchen, an die strategischen Pläne der belgischen Streitkräfte zu kommen, damit wir sehen können, wo die Gefahren ihrer militärischen Hinterlassenschaften lauern und wie groß das Risiko ist, abseits der gekennzeichneten Wege versehentlich Selbstmord zu begehen oder sogar ein Gemetzel anzurichten.“

      Das passte zu dem Bußgeld, das man trotz aller Dramatik dem jungen Paar aufbrummte,


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