Theorie und Therapie der Neurosen. Viktor E. Frankl
al., Aldine Publishing Company, Chicago 1974).10
Wenn jemand gegenüber der paradoxen Intention eine Priorität beanspruchen kann, dann sind es meines Erachtens nur folgende Autoren: Rudolf Dreikurs verdanke ich den Hinweis auf einen analogen „Trick“, der bereits 1932 von ihm (Das nervöse Symptom, Verlag Moritz Perles, Wien und Leipzig) und noch früher von Erwin Wexberg beschrieben wurde, welch letzerer ad hoc den Ausdruck „Antisuggestion“ prägte. Und 1956 wurde mir zur Kenntnis gebracht, daß H. v. Hattingberg ebenfalls auf eine analoge Erfahrung hinweist:
„Wem es zum Beispiel gelingt, das Auftreten eines nervösen Symptoms, gegen das er sich bisher ängstlich gewehrt hatte, bewußt zu wünschen, der kann durch diese willentliche Einstellung die Angst und schließlich auch das Symptom zum Schwinden bringen. Es ist also möglich, den Teufel durch den Beelzebub auszutreiben. Eine solche Erfahrung ist freilich nur manchen praktisch erreichbar. Es gibt jedoch kaum eine Erfahrung, die für den seelisch Gehemmten lehrreicher wäre.“ (Über die Liebe, München-Berlin 1940.)
Es ist auch nicht anzunehmen, daß die paradoxe Intention, wenn sie wirklich wirksam sein soll, nicht ihre Vorgänger und Vorläufer gehabt haben sollte. Was man der Logotherapie daher als Verdienst anrechnen kann, ist nur, daß sie das Prinzip zu einer Methode ausgebaut und in ein System eingebaut hat.
Nur um so bemerkenswerter ist es, daß der erste Versuch, die Wirksamkeit der paradoxen Intention experimentell zu beweisen, von Verhaltenstherapeuten unternommen wurde. Waren es doch die Professoren L. Solyom, J. Garza-Perez, B. L. Ledwidge und C. Solyom von der Psychiatrischen Klinik der McGill University, die in Fällen von chronischer Zwangsneurose jeweils zwei gleich intensiv ausgeprägte Symptome auswählten und dann das eine, das Zielsymptom, mit paradoxer Intention behandelten, während das andere, das „Kontroll“-Symptom, unbehandelt blieb. Tatsächlich ergab sich, daß einzig und allein die jeweils behandelten Symptome dahinschwanden, und zwar innerhalb weniger Wochen. Und zu Ersatzsymptomen kam es in keinem einzigen Falle! („Paradoxical Intention in the Treatment of Obsessive Thoughts: A Pilot Study“, Comprehensive Psychiatry 13, 291, 1972.)11
Unter den Verhaltenstherapeuten war es nun wieder Lazarus, dem „an integral element in Frankl’s paradoxical intention procedure“ aufgefallen ist: „the deliberate evocation of humor. A patient who fears that he may perspire is enjoined to show his audience what perspiration is really like, to perspire in gushes of drenching torrents of sweat which will moisturize everything within touching distance.“ (l. c.) Tatsächlich gehört, wie wir ja bereits vorwegnehmend bemerkt haben, als von der Mobilisierung der Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung die Rede war – tatsächlich gehört der Humor, mit dem der Patient die paradoxe Intention jeweils formulieren muß, zum Wesen dieser Technik, und mit ihm hebt sie sich auch von den verhaltenstherapeutischen Behandlungsmethoden ab, die wir aufgezählt haben.
Mit welchem Recht wir aber immer schon und immer wieder auf die Bedeutung des Humors für den Erfolg der paradoxen Intention hingewiesen haben, wurde jüngst ebenfalls von einem Verhaltenstherapeuten bewiesen, und zwar war es Iver Hand vom Londoner Maudsley Hospital, der beobachten konnte, daß an Platzangst leidende Patienten, die – in Gruppen zusammengefaßt – mit den bis dahin von ihnen vermiedenen, weil ihre Angst auslösenden Situationen konfrontiert worden waren, ganz spontan sich selbst und einander mit Humor zur Übertreibung ihrer Angst antrieben: „They used humor spontaneously as one of their main coping mechanisms.“ (Vortrag auf dem Montrealer Logotherapie-Symposium, veranstaltet von der American Psychological Association auf ihrer Jahrestagung 1973.) Kurz, die Patienten „erfanden“ die paradoxe Intention – und so wurde ihr Reaktions-„Mechanismus“ von dem Londoner Forscher-Team auch interpretiert!
Nun wollen wir uns aber der paradoxen Intention zuwenden, wie sie lege artis, nach den Regeln der Logotherapie durchgeführt wird, und zwar soll dies anhand von Kasuistik erläutert werden. In diesem Zusammenhang darf zunächst einmal auf die Fälle verwiesen werden, die in meinen Büchern „Theorie und Therapie der Neurosen“, „Die Psychotherapie in der Praxis“, „Der Wille zum Sinn“ und „Ärztliche Seelsorge“ besprochen werden. Im folgenden konzentrieren wir uns aber auf unpubliziertes Material.
Spencer Adolph M. aus San Diego, California, schreibt mir:
„Zwei Tage, nachdem ich Ihr Buch Man’s Search for Meaning gelesen hatte, befand ich mich in einer Situation, die mir Gelegenheit gab, die Logotherapie einmal auf die Probe zu stellen. An der Universität nehme ich nämlich an einem Seminar über Martin Buber teil, und während der ersten Zusammenkunft nahm ich mir kein Blatt vor den Mund, als ich glaubte, genau das Gegenteil von dem sagen zu müssen, was die anderen gesagt hatten. Da begann ich auf einmal, mächtig zu schwitzen. Und sobald ich das bemerkt hatte, bekam ich es mit der Angst zu tun, die anderen könnten es merken, woraufhin ich erst recht zu schwitzen begann. Plötzlich fiel mir der Fall eines Arztes ein, der Sie wegen seiner Angst vor Schweißausbrüchen konsultiert hatte, und ich dachte mir, meine Situation sei doch ähnlich. Aber ich halte nicht viel von der Psychotherapie, und von der Logotherapie am allerwenigsten.
Aber nur um so mehr schien mir meine Situation eine einmalige Gelegenheit zu sein, um die paradoxe Intention einmal auszuprobieren. Was war es doch, was Sie Ihrem Kollegen geraten hatten? Er möge sich doch zur Abwechslung einmal wünschen und vornehmen, den Leuten zu zeigen, wie tüchtig er schwitzen kann – ,bisher hab’ ich nur 1 Liter zusammengeschwitzt, jetzt aber will ich 10 Liter herausschwitzen‘, heißt es in Ihrem Buch. Und während ich im Seminar weitersprach, sagte ich mir: Tu doch auch du einmal deinen Kollegen was vorschwitzen, Spencer! Aber so richtig – das ist noch gar nichts – noch viel mehr sollst du schwitzen! Und es vergingen nicht mehr als ein paar Sekunden, und ich konnte beobachten, wie meine Haut trocken wurde. Innerlich mußte ich lachen. War ich doch nicht darauf gefaßt, daß die paradoxe Intention wirken wird, und noch dazu sofort. Zum Teufel noch einmal, sagte ich mir, da muß was dran sein, an dieser paradoxen Intention – das hat hingehaut, und dabei bin ich doch so skeptisch gegenüber der Logotherapie.“
Einem Bericht von Mohammed Sadiq entnehmen wir folgenden Fall:
„Frau N., eine 48 Jahre alte Patientin, litt an Zittern, und zwar in dem Maße, daß sie außerstande war, eine Schale Kaffee oder ein Glas Wasser zu halten, ohne etwas zu verschütten. Auch konnte sie weder schreiben noch ein Buch ruhig genug halten, um lesen zu können. Eines Morgens ergab es sich, daß wir einander allein gegenübersaßen und sie wieder einmal begann zu zittern. Daraufhin beschloß ich, einmal die paradoxe Intention zu versuchen, und zwar richtig mit Humor. So begann ich denn: Wie wärs, Frau N., wenn wir einmal ein Wettzittern veranstalteten? – Sie: Was soll das heißen? – Ich: Wir wollen einmal sehen, wer schneller und wer länger zittern kann. – Sie: Ich hab’ nicht gewußt, daß Sie ebenfalls an Zittern leiden. – Ich: Nein, nein – keineswegs; wenn ich aber will, dann kann ich zittern. (Und ich begann – und wie.) Sie: Jö – Sie könnens ja schneller als ich. (Und lächelnd begann sie, ihr Zittern zu beschleunigen.) Ich: Schneller – los, Frau N., Sie müssen viel schneller zittern. – Sie: Aber ich kann ja nicht – hören Sie auf, ich kann nicht mehr weiter. – Und sie war wirklich müde geworden. Sie stand auf, ging in die Küche und kam zurück – mit einer Schale Kaffee. Und sie trank sie aus, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Wann immer ich sie seither beim Zittern ertappe, brauche ich bloß zu sagen: Nun, Frau N., wie wär’s mit einem Wettzittern? Woraufhin sie zu sagen pflegt: Schon recht, schon recht. – Und das hat noch jedesmal geholfen.“
Georg Pynummootil (USA) berichtet folgendes:
„Ein junger Mann kam in meine Ordination, und zwar wegen eines schweren Blinzeltics, der immer auftrat, wenn er mit jemandem zu sprechen hatte. Da die Leute ihn zu fragen pflegten, was denn los sei, wurde er immer nervöser. Ich überwies ihn an einen Psychoanalytiker. Aber nach einer ganzen Reihe von Sitzungen kam er wieder, um mir zu melden, der Psychoanalytiker hätte nicht die Ursache finden, geschweige denn ihm helfen können. Daraufhin empfahl ich ihm, das nächste Mal, wenn er mit jemandem zu sprechen habe, soviel wie möglich mit den Augen zu zwinkern, um seinem Gesprächspartner zu zeigen, wie ausgezeichnet er das könne. Er aber meinte, ich müsse wohl verrückt geworden sein, wenn ich ihm mit solchen Empfehlungen komme, denn so was könne seinen Zustand ja nur verschlechtern. Und er ging. Ein paar Wochen lang ließ er sich nicht wieder sehen. Dann aber kam er eines Tages