Handbuch E-Learning. Patricia Arnold
den Lehrenden fehlende Zeit für den Mehraufwand, den die Objektivierung der Lerninhalte in digitalen Medien und die Beantwortung der online – anders als in Präsenzveranstaltungen – viel häufiger gestellten Nachfragen der Lernenden erfordern. In Fachhochschulen sind zudem aufgrund der deutlich höheren Lehrverpflichtungen, geringeren Personalausstattung, engeren finanziellen Ressourcen und wenigen zeitlichen Freiräumen für Innovationen meist die Ausgangs- und Rahmenbedingungen ungünstiger. Außerdem sind die Mitarbeitenden der Kompetenzzentren, im „third space“ (Whitchurch 2008) zwischen Wissenschaft und Verwaltung, oft unter herausfordernden Bedingungen beschäftigt (Salden 2013; für E-Learning-Kompetenzzentren Arnold/Prey/Wortmann 2015). Der Aufbau von Kompetenzzentren ist ein wichtiger Schritt, um die Entwicklung und Nutzung von E-Learning weiter auszubauen. Sie sind die Promotoren, die den arbeitsteiligen Prozess der Konzeptualisierung, Programmierung und Unterstützung, an dem unterschiedliche Personengruppen in unterschiedlichen Positionen und Funktionen beteiligt sind, organisieren und voranbringen (Arnold/Prey/Wortmann 2016; Kleimann/Wannemacher 2006; Thillosen/Hansen 2009).
Akzeptanz und Nutzung von Massive Open Online Courses (MOOCs)
Das weltweite Wachstum durchgeführter MOOCs und ihrer Nutzerzahlen zeigt, dass diese Form des virtuellen Studienangebots (vgl. Kap. 4.3.3) durchaus große Resonanz zu finden scheint: Im Jahr 2014 gab es ca. 1.000 US-amerikanische MOOCs (Bates 2014, 49), ca. 800 europäische (Open Education Europe 2014), mehr als 5 Millionen Einschreibungen in MOOCs weltweit und durchschnittlich 33.000 Teilnehmende pro MOOC weltweit (MOOC Infographics 2014). In Deutschland befindet sich das Angebot noch im Aufbau. Umfassende und systematische Evaluationsstudien liegen bisher noch nicht vor. Aber der zusammenfassende Blick auf die einzelnen Untersuchungen lässt wichtige Einschränkungen erkennen: Die Absolventenquoten bei MOOCs sind in der Regel niedrig (ca. 10 %), und ca. 50 % schreiben sich aus Neugier am innovativen Kursformat ein, denn in der Regel verfügen die Teilnehmenden bereits über einen Hochschulabschluss (ca. 70 %) und nutzen MOOCs zur persönlichen und beruflichen Weiterbildung (vgl. MOOC Infographics 2014). Eine Anrechnung der in MOOCs erbrachten Leistungen und ggf. erworbenen Zertifikate erfolgt bislang, selbst an den anbietenden Hochschulen, nur in Ausnahmefällen.
Trotz der beeindruckend großen Zahl derer, die sich zu MOOCs anmelden, kann bisher nicht von einer breiten Akzeptanz neuer virtueller Studienangebote und der Öffnung der Hochschulen im großen Maßstab gesprochen werden, sondern allenfalls von einem großen Interesse an diesem neuartigen Kursformat, der selektiven Nutzung der Kurse für eigene Vertiefungs- oder Weiterbildungsinteressen und von bislang geringer Strukturwirkung auf den Hochschulbetrieb insgesamt. Die Abbruchquoten sind auch hoch, weil meist keine persönliche Betreuung der Lernenden stattfindet. Die menschliche Kommunikation und Betreuung ist eben auch beim Lernen mit digitalen Medien für den Erfolg einer ganzheitlichen Bildung von entscheidender Bedeutung. Inzwischen werden auch MOOCs angeboten, in die Kommunikation und Betreuung integriert ist (siehe Kap. 4.3.3). Bates (2014, 51, in Dt. übersetzt) zieht in dieser Situation ein sehr treffendes Fazit: „MOOCs sollten für das genommen werden, was sie sind: eine ziemlich einzigartige – und wertvolle – Möglichkeit des informellen Lernens.“
Die Ergebnisse der jüngeren deutschen MOOC-Initiativen wie z. B. iversity bleiben abzuwarten, ob sie unterstützt mit Fördermitteln grundlegende Veränderungen im Hochschulbetrieb bewirken werden. Solange die prinzipiellen Probleme der Prüfungen und Zertifizierung in MOOCs (vgl. auch Kap. 7.8) und vor allem der Anrechenbarkeit auf formale Studienleistungen nicht gelöst sind, werden MOOCs wohl noch eine Randerscheinung an Hochschulen bleiben (Daniel 2014, ii).
In betrieblichen Weiterbildungsangeboten haben dagegen, zum Teil in Zusammenarbeit mit Hochschulen, MOOCs zu einer (Wieder-)Entdeckung virtuellen Lehrens und Lernens geführt; sie werden gerade in Großunternehmen auch als Form des Wissensmanagements gesehen, oft mit zusätzlichen Betreuungsleistungen versehen, und Absolventenquoten von 70 % sind unter derart veränderten Rahmenbedingungen nicht selten (Strube 2014).
Erkenntnisse aus der Nutzung virtueller Bildungsangebote
Die Resultate dieser kurzen Betrachtungen sowie der Blick in zwei frühere empirische Untersuchungen (Uhl 2003; Haug/Wedekind 2009) umfangreicher Hochschulprojekte zur Entwicklung und Einführung virtueller Studienangebote im grundständigen Studium zeigen beispielhaft, dass für die Implementierung von E-Learning im Lehren und Lernen noch einige Probleme zu bewältigen und Entwicklungen zu leisten sind:
Die Studierenden ziehen offensichtlich das Präsenzstudium dem Online-Studium vor, und die Lehrenden bleiben lieber bei der Präsenzlehre, die sie mit vielfältigen begleitenden digitalen Medien unterstützen, obwohl beide keineswegs computer- und internetfeindlich sind, sondern Computer und Internet zur Informationsverarbeitung, Informationssuche und Kommunikation vielfältig und intensiv nutzen.
Trotz der mentoriellen Betreuung reicht den Studierenden diese Kommunikation für ein erfolgreiches Studium offensichtlich nicht aus. Die unmittelbare Kommunikation mit den Lehrenden über die Studieninhalte in Präsenzveranstaltungen – und damit auch unmittelbar mit anderen Studierenden – ist dazu anscheinend unverzichtbar notwendig.
Die für erforderlich gehaltene unmittelbare Kommunikation mit den Lehrenden und den anderen Studierenden schließt nicht aus, dass die Studierenden auch die Möglichkeiten der Online-Kommunikation ausgiebig nutzen. Insgesamt hat mit Computer und Internet eine erhebliche Intensivierung und Ausweitung der Kommunikation stattgefunden, die positive Effekte hat, aber auch viel Zeit kostet.
Es ist nicht so, dass die Studierenden die virtuellen Studienangebote nicht nutzen. Allerdings verwenden sie diese in anderer Weise, als sich dies die Entwickler der Angebote vorgestellt haben. Sie ziehen Gewinn aus den Online-Studienangeboten, indem sie diese als interaktive und multimediale Studienmaterialien neben Büchern, Zeitschriften, Arbeitsblättern etc. verwenden.
Es entsteht die Gefahr für die Studierenden, worauf Schulmeister (2009, 321) hinweist, dass sie „die Gedankenschnipsel der Geistesverwandten in Weblogs“ lesen, sich aber „kaum noch Zeit für die umfangreichen Originale und die anspruchsvollen Monografien“ nehmen. „Was auf diese Weise entsteht, das sind nicht wissenschaftliche Schulen wie ehedem, auch nicht echte Diskurszirkel, sondern Zitationskartelle“ (ebd.). Das führt zu einer Verflachung der Studieninhalte und einem Defizit in der Bildung kritisch reflektierender Handlungsfähigkeiten.
Ohne die Einrichtung von Kompetenzzentren mit der erforderlichen personellen und finanziellen Ausstattung und ohne eine Unterstützung der Lehrenden durch Teletutoren ist der hohe Aufwand virtueller Studienangebote für die Lehrenden nur schwer oder gar nicht zu schaffen. Dafür sind neue Personal- und Finanzstrukturen in Hochschulen für eine erfolgreiche Etablierung virtueller Studienangebote notwendig.
Hinzugekommen ist in den letzten Jahren eine Zunahme der digitalen Vernetzung, die zu einer Flut von oft auch anonymen Informations- und Kommunikationshäppchen und damit auch zu einer Belastung ohne großen Nutzen geführt hat und noch weiter zunehmend führt. Diese Informations- und Kommunikationsflut kann auch dazu führen, dass eine kritisch reflektierende Bildung, die auch die Gründe, Bedingungen und Zusammenhänge im Blick hat, zerstört wird. Es ist daher notwendig, in den gemeinsamen Lehr- und Lernprozessen zu einer souveränen Nutzung der sozialen Netzwerke und einer entsprechenden Kommunikationskultur in der Bildung und der Gesellschaft auszubilden.
Auch das Lesen von E-Books kann zu einer Abwendung von der gegenständlichen Welt und einer geringeren Konzentration des Lesens führen, wie aktuell diskutiert wird. Küchemann (2017) berichtet von einer internationalen Tagung, dass viele „Studien […] das Lesen auf Bildschirmen grundsätzlich als oberflächlicher, flüchtiger, ablenkungsanfälliger aus[weisen]. Wenn das Gelesene nicht mit einem festen Ort – auf einer Seite, innerhalb eines Buchs – verknüpft werden kann, weil das Gerät immer nur eine Seite anzeigt oder der Text zum Lesen gescrollt werden muss, hat es die Erinnerung schwer.“ Es wird daher wichtig, da die Bildschirme alltäglich genutzt werden, das Lesen und Verstehen der auf dem Bildschirm präsentierten digitalen Medien zu lernen.
Diese Ergebnisse