Der Dreißigjährige Krieg. Axel Gotthard

Der Dreißigjährige Krieg - Axel Gotthard


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Grundprinzip: Wird der Zweite Religionsfrieden von 1648 die konfessionellen Besitzstände an ein Stichdatum binden, stellte der Erste, der von Augsburg, auf die freie Entscheidung des Landesherrn ab. Die regionale Obrigkeit – ob Kurfürst, Fürst oder Graf, in Reichsstädten der Stadtrat – konnte zwischen zwei Konfessionen wählen und diese Glaubenswahl ihrem Territorium verbindlich vorschreiben.

      Die zulässigen Optionen: Katholizismus und „augspurgische confession“

      Bei den beiden reichsrechtlich zulässigen Konfessionen handelte es sich, modern gesprochen, um Katholizismus und Luthertum. Anders die Terminologie des Augsburger Religionsfriedens: er kennt die „alte religion“ und die „augspurgische confession“. „Konfession“ (lat. confessio = Bekenntnis): das meint ein spezifisches „Glaubensbekenntnis“; aber warum ist dieses „augspurgisch“? Am Augsburger Reichstag von 1530 hatten die Anhänger Luthers dem Kaiser eine schriftliche Zusammenfassung ihrer religiösen Anschauungen, die deshalb sogenannte Confessio Augustana („Augsburger Bekenntnis“) überreicht. „Alte religion“, „augspurgische confession“ – dass bald danach ein drittes Bekenntnis, der Calvinismus, ins Reich einsickern würde, hat man 1555 nicht vorhergesehen; ob auch die Anhänger Calvins vom Religionsfrieden geschützt seien, gehört denn auch zu den vielen Streitfragen, die seit den 1580er-Jahren die Atmosphäre im Reich erneut vergiften werden. Zunächst aber: zwei reichsrechtlich zulässige konfessionelle Optionen; im Norden und Osten optierten fast alle Obrigkeiten für jene Confessio Augustana, die in ihren Territorien längst maßgeblich war, im Westen und im Süden des Reiches gab es hingegen weiterhin viele katholische Territorien.

      Ius reformandi der Obrigkeit

      Der Wille der Obrigkeit gab also den Ausschlag. Im akademischen Lehrbetrieb machte man das später als „Ius reformandi“ der Landesobrigkeit griffig, und es kam diese Merkformel auf: „cuius regio, eius religio“. Herr Hinz und Frau Kunz pflegten es sich deutsch zusammenzureimen: „Wo ich leb, so ich bet“. Wo die Herrschaftstopografie kleinräumig und verwinkelt war, war es fortan auch die Konfession [<<14] slandkarte. Hier galt häufig genug schon hinter dem nächsten Bergrücken die andere einzig wahre Glaubensformel, das anders formulierte exklusive Heilsversprechen. Im Jahr 1997 berichtete eine fränkische Tageszeitung über das bei Wolframs-Eschenbach liegende 60-Seelen-Dörfchen Adelmannsdorf, das ein Bach durchschneidet: „Die Häuser davor sind ausnahmslos katholisch, die dahinter evangelisch … Ein Kind springt leicht über diesen Bach – für Hochzeiter ist er nach Jahrhunderten noch zu breit.“ Noch nie habe „jemand aus der einen Hälfte des Dorfes in die andere geheiratet“. Das liegt natürlich nicht an magischen Wirkkräften des dahinrinnenden Wassers, wir sehen Spätfolgen der vormodernen Herrschaftstopografie – der einen Dorfhälfte prägte einst der Deutsche Orden den Glauben auf, für die andere war die evangelische Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach maßgeblich.

      Ein politisches System – zwei Wege zum Seelenheil

      In der Mitte des Kontinents war die Glaubensentscheidung (nach vormodernem Verständnis ein wichtiges Attribut von Staatlichkeit) seit 1555 definitiv gleichsam eine Ebene tiefer angesiedelt als in den werdenden Nationalstaaten der Iberischen Halbinsel, West- und Nordeuropas. Das Alte Reich, der Dachverband über den zahlreichen mitteleuropäischen Territorien, hatte dauerhaft zwei divergierende Wege zum Seelenheil, zwei exklusive, einander erbittert bekämpfende Wahrheitsmonopole zu integrieren, politisch zu überwölben. Ein politisches System, zwei Wege zum Seelenheil – das war im europäischen Maßstab eine avantgardistische Leistung. Der Augsburger Religionsfrieden ist überhaupt in vielen Hinsichten wegweisend, er gehört sogar in eine Archäologie der Grund- und Menschenrechte. Aber wenn man vom Dreißigjährigen Krieg aus auf ihn zurückblickt, muss man die negativen Seiten hervorkehren.

      Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 eilte seiner Zeit zu weit voraus. Es kann faszinieren, den Akten abzulesen, wie sich das vom doppelten Wahrheitsmonopol bedrohte Reich 1555 auf den säkularen Boden eines politischen Friedens rettete. Aber nach gut einer Generation pochte das Wahrheitsproblem kraftvoller denn je wieder an die Türe. Eine Generation lang schien der Gedanke, den Wahrheitsdissens rechtlich zu neutralisieren und politisch zu überwölben, das Reich tatsächlich zu befrieden, aber seit den 1580er-Jahren wurde dann ziemlich rasch ziemlich vieles schlechter. [<<15]

      1.2 Seit 1580 – die konfessionelle Polarisierung des Reichsverbands

      1.2.1 Die interkonfessionellen Beziehungen verschlechtern sich wieder

      Warum litt denn das Reich unter Kaiser Rudolf II. (1576–1612) erneut, wie schon vor 1555, unter erheblichen interkonfessionellen Spannungen? Zunächst einmal wegen Rudolf, genauer: seiner mangelnden Präsenz in der Reichspolitik. Rudolf war nicht dumm (wiewohl er uns aus den – künstlerisch durchaus hochstehenden – Porträts ja oft etwas tumb anstarrt). Aber er besaß nicht die Psyche eines Entscheiders.

      Rudolf II., ein kaum noch regierungsfähiger Kaiser

      Die Mitakteure beklagten Rudolfs „melancholia“. Wir meinen, bei diesem Ausdruck in etwa Bescheid zu wissen, sind versucht, ihn mit depressiver Verstimmung und Antriebsarmut zu übersetzen. Frühneuzeitliche Akten nennen aber unterschiedslos alles, was wir heute als psychische Störung bezeichnen würden, vom harmlosen Tick über die Neurose bis hin zur Psychose, „melancholia“. Wenn man Rudolf ein wenig kennt (genauer: sein Handeln, soweit es sich in den Akten widerspiegelt), wird man, eher als auf melancholische Apathie, auf eine agitiert-depressive Krankheit schließen. Ober gar auf eine Geisteskrankheit, war er schizophren? Seine Tobsuchtsanfälle waren berüchtigt; offenkundig wähnte er sich zeitweise verhext – hat er im Zuge schizophrener Schübe Stimmen gehört? Oder war er einfach nur ein verschrobener, menschenscheuer Sonderling? Wir kommen als Historiker mit unseren Methoden auf diesem Gebiet nicht weit. Jedenfalls neigte Rudolf im Lauf der Jahre zu immer abenteuerlicheren Fluchten aus der Wirklichkeit. Ein Moderator mit Charisma und Autorität ist er dem Reich nicht gewesen.

      Ein folgenreicher Generationswechsel

      Dieses Manko kam sozusagen verschlimmernd hinzu. Wozu? Wir können angesichts des Forschungsstands (die Reichspolitik der Jahrzehnte um 1600 ist viel weniger untersucht als, beispielsweise, die der Reformationszeit) nur spekulieren. War es nicht auch eine Generationenfrage? Es starben jene Fürsten, die die Malaise der Jahre vor dem Religionsfrieden noch selbst erlebt hatten, gewissermaßen nacheinander weg. An ihre Stelle traten forsche junge Leute, die vor allem eines verabscheuten: die dauernde Leisetreterei der Altvorderen, ihre [<<16] ewige Kompromisslerei. Zumal viele von ihnen ganz in kämpferisch konfessionellem Geiste erzogen worden waren, etwa an Jesuitenkollegs. Anspruchsvoller formuliert: Sie hatten eine konfessionalisierte Primärsozialisation durchlaufen.

      Dasselbe gilt für Gelehrte, die Autoren von theologischen und juristischen Traktaten, von populäreren Flugschriften. Auch dort kann man seit den 1580er-Jahren eine vordem unbekannte Militanz beobachten, auf katholischer Seite bis hin zum frohgemut oder aggressiv vorgetragenen Bekenntnis, sich nicht mehr an den Religionsfrieden gebunden zu fühlen: Die Notsituation von 1555 ist vorbei, es gibt nun keine Ausreden mehr – wir müssen die Ketzerei austilgen. Je nach Adressatenkreis war in solchen Abhandlungen häufig von „ausrotten“ oder aber von „exstirpare“ die Rede. (Als „Ketzer“ oder „Häretiker“, also Irrgläubige, bezeichneten Katholiken alle, die von der in Rom festgelegten offiziellen katholischen Glaubenslehre abwichen – so natürlich Lutheraner und Calvinisten.)

      1.2.2 Ein Versuch, den mentalen Haushalt des Konfessionellen Zeitalters sinnfällig zu machen

      Der mentale Haushalt des Konfessionellen Zeitalters ist uns Heutigen fremd, bei der ersten Annäherung befremdlich, viel schwerer zugänglich als der der Renaissance oder des reformatorischen Aufbruchs. Wie kann man „Konfessionalisierung“ sinnfällig machen, veranschaulichen? Versuchen wir es mit zwei Gemälden! Auch die Maler stellten sich ja in den Dienst der konfessionellen Propaganda, der konfessionellen Polemik, der konfessionellen Konfrontation. Lehrgemälde in den Kirchen betonten die Unterscheidungsmerkmale zwischen der ins Bild gesetzten allein selig machenden Konfession und den anderen, grundverkehrten


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