Theorien des Fremden. Wolfgang Müller-Funk

Theorien des Fremden - Wolfgang Müller-Funk


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bzw. die Ausländerin befindet sich, symbolisch markiert, auf der anderen Seite. Im TschechischenTschechisch kommt diese KonnotationKonnotation sehr schön zum Ausdruck: ‚zahraniční‘ bedeutet nämlich ‚hinter der GrenzeGrenze‘. Der Ausländer befindet sich jenseits des eigenenEigentum Raumes. Das heißt aber auch, dass er durch die GrenzziehungGrenzziehung explizit markiert ist.3 Auf jeden Fall gehört der ausländischeausländisch MenschMensch nicht zur jeweils ‚eigenen‘ heimischen nationalennational und regionalenregional GemeinschaftGemeinschaft, nicht, weil man ihn oder sie nicht kennt, sondern gerade, weil man ihn oder sie zu kennen glaubt und weil er/sie sich von uns sichtbar wie hörbar unterscheidet. Im Gegensatz zum Fremden, der, wie Georg SimmelSimmel, Georg und Alfred SchützSchütz, Alfred gezeigt haben, Teil eines kulturellen SystemsSystem ist und darin, vom SündenbockSündenbock bis zum SchiedsrichterSchiedsrichter, eine Rolle einnehmen kann, bleibt der Ausländer, dessen Aufenthalt im ‚eigenen‘ kulturellen RaumRaum (kulturell) nicht nur zeitlichen Restriktionen unterliegt, außerhalbAußerhalb eines gegebenen kulturellen Systems. Der ausländische Mensch, zum Beispiel der Nachbar eines angrenzenden Staates, hat zumindest ein Prädikat, er ist, etwa im Tschechischen, ein Deutscher, ein němec, nämlich jemand, der nicht die eigene – ‚unsere‘ – SpracheSprache spricht.

      An dieser Stelle ist ein Seitenblick auf Figuren von ‚ausländischerausländisch‘ AlteritätAlterität erhellend, wie sie zum kulturellen Alltag gehören. Der modernemodern TouristTourist ist ein zeitweiliger Besucher eines anderen Landes, einer anderen KulturKultur. Er ist ein AusländerAusländer, der sich zeitlich befristet, unter bestimmten Auflagen und womöglich auch örtlich beschränkt in einem fremdenfremd Land aufhält. Für eine kurze ZeitZeit wird der Ausländer zum Fremden in einem bestimmten Land, in einem AuslandAusland. Er ist nicht zuletzt willkommen, weil er für diesen Aufenthalt bezahlt.

      Der GastGast wiederum, dessen kulturelle Existenz mit dem PhänomenPhänomen der Gabe und des GeschenksGeschenk verwandt ist, kommt auf eine EinladungEinladung in ein anderes Land bzw. in eine andere Region. Zur LogikLogik der Gabe gehört indes, dass diese nicht nur angenommen, sondern erwidert wird.4 Insofern etabliert die Figur der GastfreundschaftGastfreundschaft eine interkulturelleinterkulturell Beziehung zwischen dem jeweiligen In- und dem jeweiligen AuslandAusland. Als offizieller Repräsentant des jeweils anderen Landes kann er sich an einem bestimmten extraterritorialen OrtOrt aufhalten, etwa in einer Botschaft.

      Die dramatischste Figur unserer Tage ist indes der FlüchtlingFlüchtling (im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention), jener fluchtsuchende MenschMensch, der aus unterschiedlichsten Gründen vom AuslandAusland her kommend, die GrenzenGrenze zu einem anderen Land überschreitet. Es kann die Absicht bestehen, in diesem neuem Aufenthaltsort zu bleiben. Anders als der klassische AusländerAusländer, TouristTourist, GastGast oder DiplomatDiplomat, ist sein Aufenthalt also nicht zeitlich begrenzt. Das Telos seines Ankommens ist, einen Platz in einem für ihn bis dato unbekanntenunbekannt kulturellen RaumRaum (kulturell) zu finden. SelbstSelbst wenn dies gelingt, wird er wohl bis zu einem gewissen Grad ein Fremder bleiben, auch wenn er jenen Pass erhält, der ihm bescheinigt, kein Ausländer mehr zu sein.

      Noch komplizierter erweist sich die abstrakte Kategorie des Anderen, für die das TschechischeTschechisch – neben jiny (das sich auf das Neutrum ‚andersAndersheit‘ bezieht) – das Wort druhy, das KroatischeKroatisch das verwandte drugo verwendet, das in der Nebenbedeutung der/die/das zweite als KonnotationKonnotation in sich trägt. Das heißt der Andere hängt damit zusammen, dass ich nicht allein auf dieser WeltWelt bin. Dieser Andere ist aber keineswegs, wie noch zu zeigen sein wird, irgendein kulturell Fremder, sondern ergibt sich daraus, dass er ein Zweiter/eine Zweite/ein Zweites ist, der/die/das mir gegenübertritt. Er/sie/es ist übrigens, um an dieser Stelle die geschlechtliche DifferenzDifferenz ins SpielSpiel zu bringen, nicht unbedingt sexuell markiert. Diese ZweiheitZweiheit, diese DualitätDualität der Andersartigkeit, ist geradezu dadurch bestimmt, dass in ihr und in dem durch sie geschaffenen Zwiespalt die konkrete symbolische Bestimmung als Eigenschaft nicht existiert. Deshalb ist es, dem feministischen Einspruch und Impuls folgend, problematisch, diesem unbestimmten Pronomen eine männlichemännlich Markierung – ‚der andere‘ – zu geben. Aber die männliche durch eine weiblicheweiblich zu substituieren oder ihr diese zur Seite zu stellen, würde diesem subtilen Sachverhalt der AlteritätAlterität als Zwiespalt nicht gerecht, sondern suggerierte höchst missverständlich und irreführend, dass Alterität maßgeblich mit der Dualität von MännlichkeitMännlichkeit und WeiblichkeitWeiblichkeit einhergeht. Dies ist, aus der Perspektive dieses Buches, nicht der Fall. Dennoch kann der/die/das Andere etwas sein, das weder im herkömmlichen Sinn unbekanntunbekannt noch ausländischausländisch und exterritorialExterritorialität, das heißt Teil einer anderen KulturKultur, sein muss.

      In dem kurzen Versuch, die drei relativen Unterscheidungen fremdfremd, andersAndersheit und ausländischausländisch voneinander abzugrenzen und zugleich miteinander zu verbinden, wird deutlich, dass die Zuschreibung von FremdheitFremdheit immer die Tendenz in sich trägt, diesem oder dieser Fremden den Status des/der (gleichberechtigten und respektierten) Anderen abzusprechen. Das gilt für sexistische wie für rassistische DiskurseDiskurs fast gleichermaßen. Den/die oder das Andere zu respektieren inkludiert einen Akt wechselseitiger AnerkennungAnerkennung, bei dem weder eine positive noch einer negative Differenzsetzung eine Rolle spielen. Einem MenschenMensch5 wegen seines GeschlechtsGeschlecht, seiner sexuellen Orientierung, seiner spezifischen SpracheSprache, seiner jeweiligen ReligionReligion oder seiner unverkennbaren HautfarbeHautfarbe besondere Zuwendung zu erweisen, ihn also positiv zu diskriminieren, widerspricht einer generellen Respektierung. In dieser steht Anerkennung in keiner AbhängigkeitAbhängigkeit von solchen kulturellen und ‚natürlichen‘ Eigenschaften und ist von keinem exklusiven Verhältnis abhängig.

      Die AlteritätAlterität als radikale AndersheitAndersheit beinhaltet, wie in den Kapiteln über die Philosophie Bernhard WaldenfelsWaldenfels, Bernhard’ und Emmanuel LévinasLévinas, Emmanuel’ gezeigt wird, eine unmissverständliche ethischeEthik Option und Herausforderung. Sie schließt nicht nur eine AnerkennungAnerkennung des Anderen als Anderer meiner selbst ein, sondern akzeptiert auch den existential-ontologischenOntologie Sachverhalt von dessen VorgängigkeitVorgängigkeit gegenüber meinem SelbstSelbst. Sie basiert auf einem komplexen EinschlussEinschluss (→ Kapitel 4).

      Demgegenüber sind die beiden anderen Phänomenlagen, jene des (unbekanntenunbekannt) Fremden und des exterritorialenExterritorialität Anderen, immer schon von einer FormForm dauerhaften AusschlussesAusschluss und potentieller Diskriminierung begleitet. Freilich besteht auch hier die Möglichkeit einer Korrektur. So läuft die psychoanalytische Denkfigur, wie sie Julia KristevaKristeva, Julia entwickelt hat, darauf hinaus, das Unbekannte in uns, das UnbewussteUnbewusste, zu akzeptieren und damit potentiell auch das Fremde außerhalbAußerhalb unserer selbst (→ Kapitel 3).

      Die sexuelle DifferenzDifferenz, um kurz auf sie zu sprechen zu kommen, lässt sich dieser Argumentation zufolge ausschließlich vor dem Hintergrund des alteritärenAlterität PhänomensPhänomen der FremdheitFremdheit / UnbekanntheitUnbekanntheit analysieren und begreifen. Die Alterität des Anders-SeinSeins im Sinne der ZweiheitZweiheit übersteigt die sexuelle Differenz, weil die abstrakte RelationRelation der AndersheitAndersheit auf kein Prädikat, so auch nicht auf die Zuschreibung des Geschlechtlichen (männlichmännlich, weiblichweiblich, ‚hybridHybrid‘ bzw. ‚transgendertransgender‘) bezogen ist. Die Alterität des Ausländischen wiederum ist für die geschlechtlichen Differenzen nur dann von Belang, wenn sexuelle und kulturelle Andersheit miteinander ge- und verkoppelt sind. Es mag zudem OrteOrt geben, an denen sich Frauen, metaphorisch gesprochen, in einem männlichen ‚AuslandAusland‘ befinden. Damit ist gemeint, dass es ethnologisch gesprochen in allen KulturenKultur spezifische und exklusive ‚subkulturelle‘ Orte, Räume und Treffpunkte der beiden GeschlechterGeschlecht gibt. Illustrativ ist in diesem Zusammenhang der im Post-68er FeminismusFeminismus einflussreiche MythosMythos vom fremdenfremd Volk der Frauen, den Amazonen, in dem der Unterschied der sexuellen und der ethnischenEthnie Differenz enggeführt bzw. sistiert wird. Aber dabei handelt es sich ganz offenkundig nicht um eine kulturgeschichtliche Tatsache, sondern um ein ganz besonderes gegenweltliches, ja phantasmatisches NarrativNarrativ, das der GegenwartGegenwart entzogen bleibt oder eine negativ besetzte männliche AngstAngst-UtopieUtopie darstellt.6

      Natürlich


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