Qumran. Daniel Stökl Ben Ezra
auf präparierten TierhäuteTierhäuten geschrieben, die mindestens seit 2000 v. Chr. als Beschreibstoff benutzt werden. Zu Leder oder Pergament verarbeitet hat Haut hervorragende Qualitäten. Sie ist weich, glatt, je nach Tier großflächig, relativ dünn und doch reißfest und kann Tinte und Tusche gut aufnehmen. Je nach Tier ist die Farbe homogen hell und bietet einen augenfreundlichen Kontrast zum Schreibstoff. Die Qumranrollen zeigen, dass sie unter optimalen Bedingungen extrem lange hält. Durch Zusammennähen können Bögen zu Rollen vernäht werden, um auch umfangreiche Texte aufzunehmen. Nur die Handlichkeit setzt dem Grenzen.
Bei der Präparierung wird zunächst die abgezogene Haut für die Konservierung in eine Salzlösung eingelegt. Dann wird sie eingeweicht, um das Salz und möglichst viele Haare, Fett und Verunreinigungen zu entfernen. Danach wird sie auf einem Rahmen befestigt, getrocknet und noch einmal mit Messern oder Bimssteinen sehr gründlich glatt gerieben. Möchte man die Haut zu Leder machen, wird sie abschließend gegerbt, d.h. mit speziellem Gerbstoff behandelt. Anders als Leder wird PergamentPergament gewöhnlich nicht gegerbt, sondern durch sehr große Spannung, bei der sich die Kollagenfasern in Schichten parallel legen, hergestellt (Poole/Reed). Dies |33|macht Pergament im Gegensatz zu Leder extrem formbeständig. Die meisten Qumranrollen sind wie Pergament durch Spannung hergestellt worden, doch sind sie – anders als die meisten antiken Pergamente – mit Gerbstoff behandelt worden, im Unterschied zu Leder allerdings nur sehr oberflächlich.
Die beiden FleischseiteSeiten einer Haut haben unterschiedliche Qualitäten. Die Fleischseite ist glatter, die HaarseiteHaarseite weist Poren auf. Spätere rabbinische Vorschriften unterscheiden zusätzlich zwischen ungespaltenem Leder, (gvil, auf der Haarseite beschrieben), feinem gespaltenem Leder (klaf, auf der Fleischseite beschrieben) und dyskhistos/dixystos/dixestos (auf der Haarseite beschrieben). Fast alle Qumranrollen sind aus ungespaltenem Pergament. Dieses wurde fast immer auf der helleren Haarseite beschrieben, die zur Rußtusche den stärkeren Kontrast bietet.
Um PapyrusPapyrus herzustellen, werden entrindete Papyrusstauden in dünne gleichmäßig breite Streifen geschnitten und in Wasser eingelegt (Leach/Tait). Die nassen Streifen werden eng längs nebeneinandergelegt. Auf diese erste Schicht wird eine zweite ebensolche Streifenschicht quer aufgelegt. Mit Druck werden beide Schichten übereinander geklebt und bilden ein haltbares Ganzes. Schließlich schneidet man die Ränder so, dass gleichformatige Bögen entstehen, die zu Rollen zusammengeklebt werden können. Dabei werden die Blätter so gelegt, dass auf einer Seite die Papyrusfasern immer in Schreibrichtung verlaufen. Diese nennt man recto. Die andere Seite heißt verso. Die Recto-Seite des Papyrus hatte also gegenüber Pergament den Vorteil, dass man wegen der Faserrichtung keine zusätzlichen Linien ziehen musste, um gerade zu schreiben. Das erste Schutzblatt, das Protokollon, wurde gewöhnlich mit recto nach außen angeklebt.
Nur etwa ein Achtel aller Qumrantexte sind auf Papyrus geschrieben. Davon sind viele Dokumente oder Privatabschriften in semikursiver Schrift. Papyrus ist leichter korrigierbar als Pergament, da man die Tinte nur abwaschen muss, während sie in das Pergament tief eindringen kann. Die spätere rabbinische Halakha verbietet, biblische Texte auf Papyrus zu schreiben. Im Vergleich zu Pergament zerfällt Papyrus in viel kleinere, oft rechteckige Fragmente, die den Rändern der Papyrusstengel folgen (s.o. das Zitat von Baillet, S. 21f). Dafür bleibt normalerweise der gute Kontrast zwischen Tinte und Hintergrund erhalten, so dass man weniger auf Infrarotfotos angewiesen ist. Sowohl bei Leder/Pergament als auch bei Papyrus gibt es große Qualitätsunterschiede im Blick auf Dicke und Festigkeit, Glätte und farbliche Homogenität, Weichheit sowie Narben, Löcher und Sichtbarkeit von Adern.
|34|Um Materialkosten zu sparen, wurden Papyri manchmal komplett abgewaschen oder Leder/Pergamente abgeschabt und mit einem anderen Text wieder beschrieben. Dies nennt man PalimpsestPalimpsest von griech. palin (wieder) und psēstos (abgeschabt) (4Q249, 4Q457a, 4Q457b, 4Q468e, s. Tov, 73). Wenn eine Rolle beidseitig beschrieben ist (vgl. Ez. 2,10 und Apk. 5,1), spricht man von Opisthograph, von griech. opisthen (von hinten) und graphein (schreiben) (Tov, 68–73). Das ist abgesehen von Gebetsriemen und Dokumenten selten. Fast immer enthalten Qumranrollen nur einen einzigen Text (Ausnahmen sind z.B. 1QS und das Opisthograph mit 4Q509 + 4Q505 auf der einen Seite und 4Q496 + 4Q506 auf der anderen).
Dokumente wurden oft zunächst auf eine Tonscherbe als eine Art Kladde geschrieben. Glatte Tonscherben gab es im Überfluss und umsonst. Man nennt derartige Texte Ostrakon (pl. Ostraka). Andere weitverbreitete Medien sind Stein und Mosaik. Inschriften auf Stein gibt es in Qumran kaum, auf Mosaik gar nicht. Die Kupferrolle ist auf Metall geschrieben worden (s.u. S. 163f), das – abgesehen von Amuletten – nur selten für Texte verwendet wurde.
Fast alle Qumranrollen wurden mit schwarzer RußtuscheRußtusche geschrieben (Nir-El/Broshi, „The Black Ink“). Eisengallustinte ist in Qumran noch nicht bezeugt. Wie moderne chinesische Stangentusche wurde Rußtusche in festen Blöcken verkauft. Vor jeder Benutzung wurde ein kleines Stück von diesem Block an einem Stein zu Pulver zerrieben und dann in einem Tintenfass mit Wasser vermischt, in welchem die Rußteilchen und Bindemittel schweben. Einmal auf dem Beschreibstoff aufgetragen verdunstet das Wasser und die kleinen Rußteilchen haften dank Bindemittel auf der Oberfläche und bieten einen hervorragenden Kontrast. Anders als Tinte, in der der Farbstoff völlig aufgelöst ist und die Flüssigkeit selbst farbig ist, dringt Tusche nicht in den Beschreibstoff ein und kann einfach wieder abgekratzt oder abgewaschen werden.
Einige wenige Rollen wie das Genesisapokryphon zeichnen sich durch ein Kupferfraß genanntes Phänomen aus: das Leder ist genau dort zerfressen, wo ursprünglich einmal Buchstaben standen. Diese Rollen sind sehr viel schwerer zu entziffern und in einem wesentlich schlechteren Erhaltungszustand. Vielleicht liegt dies an anderen Bindemitteln oder an Metallen – wie Kupfer –, die der Tusche zugesetzt wurden. Schließlich wurde ganz selten, genau gesagt in vier Fällen (z.B. 4QNumb), auch zinnoberrote Tusche benutzt, um Textabschnitte farblich ähnlich wie Rubriken in mittelalterlichen Handschriften zu kennzeichnen.
|35|Als Schreibgerät diente wahrscheinlich hauptsächlich ein aus Schilf geschnittenes Schreibrohr, lat. calamus, hebr. qulmus. Die Schøyen-Sammlung besitzt einen angeblich aus Höhle 11 stammenden CalamusCalamus. Schilfrohre sind billig und praktisch und relativ leicht herzustellen sowie individuell anpassbar. Man kann die Spitze eines Schreibrohrs unterschiedlich anspitzen, um die Ansatzpunkte und die Proportionen von waagerechten und senkrechten Strichen zu ändern oder individuellen Schreibwinkeln gerecht zu werden (s.u. Paläographie).
2.2 Vom Fragment zur Transkription
Da der Text nicht überall lesbar war, entwickelten die Editoren ein System, um sichere, wahrscheinliche und mögliche Lesungen von Rekonstruktionen zu unterscheiden.
Lücken im Fragment werden durch eckige Klammern angedeutet. Text[ ]TextText[ ]Text |
Wird in derartigen Lücken Text rekonstruiert, wird er in die eckigen Klammern der Lücke gesetzt, und zwar sowohl im hebräischen Original als auch in der Übersetzung. Text[Rekonstruierter Text]TextText[Rekonstruierter Text]Text |
Ein von einem der antiken Schreiber als gelöscht markiertes Wort wird mit geschweiften Klammern angezeigt. Text{gelöscht}TextText{gelöscht}Text |
Wenn ein Teil einer Zeile leer ist, steht dort vacatvacat (lat. leer). |
Margen oben oder unten werden explizit gekennzeichnet (z.B. „top margin“). |
Eine wahrscheinliche Lesung eines unvollständigen Buchstabens wird durch einen kleinen Punkt über diesem Buchstaben angedeutet. א̇א̇ |
Eine mögliche, aber unsichere Lesung eines unvollständigen Buchstabens wird durch einen offenen Kreis über diesem Buchstaben angedeutet: ד֯ד֯ |
Bei beiden Fällen ist speziell für Nichthebraisten besondere Vorsicht geboten, denn |