Qumran. Daniel Stökl Ben Ezra

Qumran - Daniel Stökl Ben Ezra


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Wogen in der Presse hoch schlagen. Die wissenschaftliche Debatte hingegen stellt schnell klar, dass es im Gegenteil der Messias ist, der (einen Gegner) tötet. Diese Episode illustriert den Sensationshunger der Presse und völlig unbegründete Theorien, dass sich die Veröffentlichung verzögere, weil der Vatikan das Christentum relativierende Handschriften verborgen halten möchte (z.B. Verschlußsache Jesus).

      Ebenfalls 1991 bringen Ben Zion Wacholder und AbeggWacholder (1924–2011) und sein Doktorand Martin Abegg den ersten Band mit Transkriptionen der unveröffentlichten Texte heraus A Preliminary EditionPreliminary Edition of the Unpublished Dead Sea Scrolls: The Hebrew and Aramaic Texts from Cave Four. Sie hatten von Strugnell eine der wenigen per Hand kopierten Konkordanzen des Editorenteams erhalten. Abegg |24|gibt für seinen (blinden) Lehrer Wacholder, der zeitlebens auf die Herausgabe dieser Texte wartete, Zeile für Zeile der Konkordanz für jedes Wort in seinem Kontext in einen Computer ein. Daraus rekonstruiert er dann in „Reverse Engineering“ die vollständigen Transkriptionen der späten fünfziger Jahre, die der Konkordanz als Grundlage gedient hatten. (Das ist so, als würde man mit Google books den Text eines Buches rekonstruieren, obgleich man immer nur auf Abschnitte von 2–3 Zeilen Zugriff hat).

      Tov agiert sehr schnell. Ohnehin ist er damit beschäftigt, das Team auf über 80 Mitarbeiter zu erweitern, die entweder mit den bisherigen Editoren zusammenarbeiten oder von ihnen ihre vorläufigen Niederschriften „ererben“. Viele der neuen Mitarbeiter sind Israelis. Einige decken wichtige Gebiete wie Halakhageschichte ab, für die vorher kein Teammitglied Experte war. 1993 veröffentlicht Tov eine hervorragende Mikrofiche-EditionMikrofiche-Edition aller Fotos und schließt so die Lücke zwischen offiziellen und inoffiziellen Mitteln, an die unveröffentlichten Texte zu gelangen. Sein Organisationstalent und seine effiziente Genauigkeit machen es möglich, dass in den darauffolgenden achtzehn Jahren jedes Jahr ein bis zwei Bände erscheinen können, bis zum Abschluss von Discoveries in the Judaean DesertAbschluss von Discoveries in the Judaean Desert im Jahre 2008.

      Jean-Baptiste Humbert, der Nachfolger von de Vaux als Chefarchäologe, engagiert für die Veröffentlichung der endgültigen Ausgrabungsberichte das belgische Ehepaar Robert Donceel und Pauline DonceelDonceel-Voute, Spezialisten für frühchristliche Mosaike. Diese überraschen die Forscherwelt mit einer de Vaux Interpretation auf den Kopf stellenden These: Qumran wäre eine Villa, wie man aus unveröffentlichten Funden schließen könne, die zahlreiche Luxusgüter wie Glas und hochwertige Keramik enthalten. Ein von de Vaux als Schreibsaal identifizierter Raum sei ein Triklinium (Speisezimmer). Die Schriftrollen hätten mit der Siedlung und ihren Bewohnern nichts zu tun. Kurze Zeit später publiziert der Genizaspezialist Norman GolbNorman Golb sein Buch Who wrote the Dead Sea Scrolls?. Auch er trennt die Rollen von der Siedlung, seiner Ansicht nach ein Fort. Seine Bewohner halfen im jüdischen Aufstand Flüchtlingen aus Jerusalem, die ihre Schriftrollen nach Qumran gebracht hatten. Die Schriftrollen stellen also einen Querschnitt durch Jerusalemer Bibliotheken dar.

      Wirklichen Zugang zu (fast) allen nicht-biblischen Rollen erhält die spanische Weltöffentlichkeit 1992 durch Florentino García-Martínez (1942–) GesamtübersetzungGesamtübersetzung Textos de Qumran, 1994 ins Englische übersetzt. 1995 erscheint die erste deutsche Komplettübersetzung durch Johann Maier. Eine neue Etappe beginnt mit der Publikation von elektronische Datenbankenelektronischen Datenbanken der Texte und |25|Fotos, zuerst 1997 von Alexander und Lim, dann bei Brill und bei Accordance (s.u. S. 61). Seit 2012 sind alle historischen und viele neue Fotos auch über die Internetseiten der Israelischen Antiquitätenbehörde frei zugänglich, allerdings (noch) ohne Transkriptionen (s.u. S. 60). Dies wird sich mit dem neuen Scripta Qumranica Electronica Projekt in den nächsten Jahren ändern. Mehr und mehr eröffnen chemisch-physikalische Untersuchungen der Schriftrollen neue Einsichten in ihre Geschichte. Vor allem aber kann, seitdem die Allgemeinheit Zugriff auf alle Texte hat, die Gesamtsammlung in ganz anderer Weise verstanden werden. Nun ist es klar, dass die als essenisch definierten Texte, die bis 1977 die Diskussion bestimmten, nämlich die großen Texte aus Höhle 1 und die Texte Allegros, nicht die Mehrheit unter den nicht-biblischen Texten darstellen. Jetzt wird aus der Bibliothek einer marginalen Sekte wirklich das, was Hartmut Stegemanns und Norman Golbs ursprünglich diametral entgegengesetzte Sichtweisen schließlich vereint: eine essenische Auswahl aus der breiten Masse der hebräischen und aramäischen Literatur unterschiedlicher Gruppen des Judentums des Zweiten Tempels.

      |27|2 Wie liest man ein Fragment? Anatomie der ältesten jüdischen Bücher

      S. auch Literatur zu Kapitel 3

      Cross, Frank, The Development of the Jewish Script. In: Wright, George Ernest (Hg.), The Bible and the Ancient Near East. Essays in Honor of William Foxwell Albright, Garden City 1961, 133–202.

      Cross, Frank, Palaeography and the Dead Sea Scrolls. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd. 1, 379–402.

      Doudna, Greg, Dating the Scrolls on the Basis of Radiocarbon Analysis. In: Flint, Peter/VanderKam, James (Hgg.), The Dead Sea Scrolls After Fifty Years, Leiden 1998, Bd. 1, 430–471.

      Johnson, William, Bookrolls and Scribes in Oxyrhynchus, Toronto 2004.

      Jull, Timothy/Donahue, Douglas/Broshi, Magen/Tov, Emanuel, „Radiocarbon dating of scrolls and linen fragments from the Judean desert“, Radiocarbon 37 (1995) 11–19.

      Leach, Bridget/Tait, John, Papyrus. In: Nicholson, Paul/Shaw, Ian (Hgg.), Ancient Egyptian Materials and Technology, Cambridge 2000, 233–253.

      McLean, Mark, The Use and Development of Palaeo-Hebrew in the Hellenistic and Roman Periods, (unpubl. Ph.D. diss., Cambridge, Mass: Harvard University, 1982).

      Nir-El, Yoram/Broshi, Magen. „The Red Ink of the Dead Sea Scrolls“, Archaeometry 38 (1996) 97–102.

      Nir-El, Yoram/Broshi, Magen. „The Black Ink of the Qumran Scrolls“, Dead Sea Discoveries 3 (1996) 157–167.

      Poole, John/Reed, Ronald, „The Preparation of Leather and Parchment by the Dead Sea Scrolls Community“, Technology and Culture 3 (1962) 1–26.

      van Strydonck, Mark/Nelson, D. Erle/Crombé, Philippe/ Bronk Ramsey, Christopher./Scott, E. Marian/van der Plicht, Johannes/Hedges, Robert, Les limites de méthode du Carbone 14 appliquée à l’archéologie. In: Evin, Jacques/Oberlin, Christine/Daugas, Jean-Pierre/Salles, Jean-François (Hgg.), Actes du 3ème Congrès International 14C et Archéologie, Paris 1999, 433–448.

      Tov, Emanuel, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert, Leiden 2004.

      Yardeni, Ada, Textbook of Aramaic, Hebrew and Nabatean Documentary Texts from the Judaean Desert and Related Material, Jerusalem 2000.

      Wer liest, dass in Qumran Reste von etwa 1000 Schriftrollen gefunden worden sind, ist sich vielfach nicht im Klaren darüber, dass davon nur fünfzehn Texte wirklich noch wie Rollen aussehen. Fast alle anderen „Rollen“ sind in Wirklichkeit aus kleinen Fragmenten (ca. 15000 allein für Höhle 4) von der Größe einer Linse bis zu |28|einer DIN A4-Seite rekonstruiert und manche würden sogar sagen konstruiert (Tigchelaar).

      Die ca. 15 wirkliche Qumranrollen15 wirklichen Qumranrollen sind die beiden Jesajarollen (1QIsaa und 1QIsab), das Genesisapokryphon (1QGenAp), der Habakukkommentar (1QpHab), die Gemeinschaftsregel (1QS), die Kriegsregel (1QM) und die Hymnenrolle (1QHa) aus Höhle 1, die Kupferrolle (3Q15) aus Höhle 3 und die Levitikusrolle (11Q1 = 11QpaleoLev), eine (ungeöffnete) Ezechielrolle (11Q4), die Psalmenrolle (11Q5 = 11QPsa), die Apokryphen Psalmen (11Q11), die Sabbatopferlieder (11Q17), das Neue Jerusalem (11Q18), die Tempelrolle (11Q19) aus Höhle 11. Dazu kommen einige wenige Einzelblätter wie 4Q175.

      Jedes noch so kleine Detail, das man über den ursprünglichen Aufbau


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