Qumran. Daniel Stökl Ben Ezra
(D). Für das Finden der Edition zu einer mit Nummer angegebenen Schriftrolle ist die von Emanuel Tov veröffentlichte Liste aller Rollen vom Toten Meer (Tov, Revised ListsTov, Revised Lists), die die Angaben im Einleitungsband zu Discoveries in the Judean Desert (DJD 39) auf den neuesten Stand bringt, ein unabdingliches Arbeitsinstrument. In Revised Lists findet man für jede Schriftrolle geordnet, nach Fundort, Höhlennummer und Rollennummer:
1 ihren offiziellen Namen (z.B. 1Q8 = 1QIsab)
2 ihre Inventarnummer (um zu wissen, in welchem Museum oder in welcher Sammlung man die physischen Fragmente heute unter welcher Nummer einsehen kann)
3 eine Liste aller Fotos (um die Editionsarbeit nachvollziehen zu können)
4 den Literaturnachweis einer Edition
5 Verweise auf nicht mehr gültige Abkürzungen aus der Zeit der Scrollery, die manchmal in vorläufigen Veröffentlichungen verwendet worden sind.
Hier eine Liste der wichtigsten Fundorte (s.u. S. 129–132) und ihrer Abkürzungen:
XQXQ (X = Qumran, aber unbekannter Fundort – meist für Fragmente in Privatsammlungen vom Schwarzmarkt).
KhQKhQ für Ostraka aus Khirbet Qumran (Khirbet = Ruine), d.h. der Siedlung.
WDSPWDSP = Wadi Daliyeh (Samaritanische Papyri), etwa 25 km nördlich vom Toten Meer.
MurMur = Wadi Murabbaat. Texte aus der Zeit der zweiten jüdischen Revolte, unter Bar Kosba.
5/6Hev5/6Hev = Nahal Hever, die Höhle mit Eingängen 5 und 6, ca. 38 km südlich von Qumran, etwa 5 km südlich von Ein Gedi. Texte aus der Zeit der zweiten jüdischen Revolte, unter Bar Kosba
34Se34Se = Nahal Seelim Höhle 34, etwa 50 km südlich von Qumran. Texte aus der Zeit der zweiten jüdischen Revolte, unter Bar Kosba
MasMas = Masada, die Festung Herodes etwa 55 km südlich von Qumran. Texte vom Ende der Epoche des Zweiten Tempels.
CC = Cairo (nur für die Damaskusschrift aus der Kairoer Geniza). Mittelalterliche Dokumente, von denen einige aus der Antike stammen.
Nur in Masada und in der Geniza wurden mit Qumrantexten verwandte nicht-biblische Rollen gefunden.
|57|Wer sich auch nur nebenbei mit Qumran beschäftigen wird, für den wird die Liste mit den offiziellen Namen und einer wichtigen Edition zum ersten Anlaufpunkt werden. Manchmal stellt sich aber das umgekehrte Problem. Ein Artikel zitiert eine Schriftrolle mit Namen und man möchte wissen, welche Nummer sich hinter diesem Namen verbirgt.
Viele Forscher benutzen verschiedene Namen für die gleiche Rolle (oder den gleichen Namen für unterschiedliche Rollen). Um die Identifikationsnummer einer mit einem Namen angegebenen Schriftrolle zu finden, sollte man entweder Maiers Übersetzung oder die Liste im Anhang der Study Edition von García Martínez und Tigchelaar konsultieren. In Zukunft wird vermutlich das Internet diese Katalogfunktion übernehmen, vor allem die Großprojekte des Qumranwörterbuchs in Göttingen (s.o. S. 63) und des Leon-Levy Archivs in Jerusalem, die jetzt über Scripta Qumranica Electronica verbunden werden. Auch DJD 39 enthält noch viele andere Listen, die von bleibendem Wert sind.
Die meisten Abkürzungen der Kompositionsnamen erschließen sich von selbst. Ist es nur ein Großbuchstabe S, D, M, H, T(S, D, M, H, T), handelt es sich um eine der wichtigen großen Rollen. Ein kleines Präfix pp vor einer Abkürzung für ein biblisches Buch steht für Pescher (z.B. 1QpHab, 4QpPs). Wenn eine „Handschrift“ nicht der Standardgruppe der hebräischen Texte in judäischer Schrift auf Pergament zugehört, die ca. 80 % des Materials darstellen, enthalten Namensabkürzungen auch immer wertvolle Informationen über Material (pap
paleo
cryptA
gr
ar
nabpap = Papyrus), Schrifttyp (paleo = Paläohebräisch; cryptA = kryptisch Typ A) und/oder Sprache (gr = griechisch, ar = aramäisch, nab = nabatäisch).
Zwei Fälle verdienen eine Erklärung:
1 Gibt es mehr als eine Rolle der gleichen Kompositionen in ein und derselben Höhle wird durch einen hochgestellten Kleinbuchstaben nach dem Namen oder der Abkürzung angezeigt, ob es sich um das erste, zweite etc. Exemplar dieser Komposition aus dieser Höhle handelt, z.B. 2QExa2QExa = 2QExodusa = 2Q2; 2QExb = 2QExodusb = 2Q3.
2 Manchmal lassen sich Handschriften formell und inhaltlich ungefähr einem Genre zuweisen. Dann erhält der Text gewöhnlicherweise einen recht allgemeinen Namen wie etwa „Halakha“ oder „Calendrical Document“. Wenn man nun aufgrund von Schrift und Material derartige Fragmente auf mehrere Handschriften aufteilt, kann man oft nicht sicher sein, ob diese Handschriften Kopien des gleichen Werkes waren oder unterschiedliche Werke des gleichen Genres darstellen. Letzteres wird durch einen Groß|58|buchstaben nach dem Namen angezeigt: Z.B. 4QHalakha A4QHalakha A (4Q251), 4QHalakha B (= 4Q264), 4QHalakha C (472a). Der Unterschied zwischen dem kleinen hochgestellten a und dem Großbuchstaben A ist also signifikant.
3 Beide Fälle können auch zusammen vorkommen. Zum Beispiel gibt es drei unterschiedliche Kompositionen, die Apokryphon Jeremias genannt worden sind, also ein Apokryphon Jeremias A, ein Apokryphon Jeremias B und ein Apokryphon Jeremias C. Von der dritten Komposition gibt es mehrere Handschriften, z.B. 4Q387 = 4QApocJer Cb = 4QApokryphon Jeremias Cb. Dies ist also die zweite Handschrift vom Apokryphon Jeremias C aus Höhle 4.
Beide Systeme, Nummern und Namen, haben ihre Vor- und Nachteile. Nummern sind eindeutig und inhaltsneutral. Sie sind aber ähnlich undurchschaubar für Außenstehende und Neulinge wie Angaben für neutestamentliche Papyri (z.B. P66). Namen wiederum sind einfacher verständlich, doch implizieren sie eine Deutung des Inhalts oder Genres, die oft hypothetischer ist als die Nummer. Außerdem hat im Laufe der Editionsgeschichte manch eine „Handschrift“ verschiedene Namen erhalten, und es ist vor allem bei älteren Veröffentlichungen nicht immer ganz einfach zu ergründen, welche Handschriftennummer sich hinter welchem Namen verbirgt.
3.4 Alte Fotos und neue Bildtechniken
Gute Fotos gehören seit Trevers Fotografien im Februar 1948 untrennbar zur Editionsarbeit an den Qumranrollen und -fragmenten (ebenso wie zu archäologischen Ausgrabungen). Tiefergehende Einblicke verschaffen die oben angeführten Artikel in die Technik und Geschichte der Fotografie der Qumranrollen.
Neben sichtbaren Wellenlängen kann man auf Fotos auch Wellenlängen erkennbar machen, die unserem Auge sonst unsichtbar sind. Das menschliche Auge nimmt Licht in Wellenlängen zwischen ca. 400 und 750 Nanometern wahr. Länger- oder kurzwelligere Strahlung benötigt andere Rezeptoren. Diese können mit Hilfe von Spezialfilmen oder -filtern, die gleichzeitig das uns sichtbare Licht unterdrücken, die unsichtbaren Wellenlängen für uns sichtbar machen. In den ersten fünfzig Jahren wurde dies vor allem für InfrarotfotosInfrarotfotos mit langwelligem Licht gemacht. Dies war nötig, da viele Pergamentfragmente sich so dunkel verfärbt hatten, dass sie für das bloße Auge unlesbar waren und die Tinte nur auf Infrarotfotos |59|sichtbar gemacht werden konnte. Wärmestrahlen werden vom in der Tinte konzentrierten Kohlenstoff stark absorbiert, während auch dunkles Pergament sie mehr reflektiert. So wirkt auf Infrarotfotos auch nachgedunkeltes Pergament hell, die Tinte aber tiefschwarz. Allerdings sind alle alten Infrarotfotos nur Schwarz-weiß-Fotos. Es ist daher oft unmöglich zu unterscheiden, ob ein schwarzer Fleck das Resultat von Tinte, einem Loch oder einem Schatten darstellt. Außerdem geht fast alle Information über die Farbe und Oberflächenstruktur der Fragmente verloren. UV-Licht kann wiederum Informationen zu nachträglichen Interventionen (z.B. Abkratzen) oder früheren Schriften (Palimpseste) sichtbar machen.
Da die Qumranfragmente langsam zerfallen oder zu Gelatine werden, sind gerade alte Fotos oft Zeugen für inzwischen verlorengegangene Ränder (wichtig für „joins“) und für eventuell darauf noch erkennbare und inzwischen verschwundene Buchstabenreste. Manchmal kann man auch erkennen, dass ein Fragment in Wirklichkeit noch ein Klumpen („wad“) mit mehreren aufeinander gestapelten