Qualitative Medienforschung. Группа авторов
Interpretation mehr oder weniger standardisierter Kommunikationsformen ist zu verstehen als distanzierende, systematisierende und begründende Aufdeckung und Erläuterung von Orientierungen, über die die Handelnden, deren Handeln Gegenstand dieser Wissenschaft ist, in einer weit weniger durchsichtigen Form verfügen.
Für die Identifizierung und morphologische Beschreibung kommunikativer Gattungen können nun ganz unterschiedliche Bestimmungsmerkmale relevant sein. Diese reichen von der Phonologie und Prosodie bis hin zu Semantik, Syntax und Stil. Mechanismen der Redezugorganisation und der Sequenzformate spielen dabei ebenso eine Rolle wie spezifische Formen der Wissensautorisierung oder bestimmte Kontextualisierungsprinzipien (wie etwa die Verpflichtung zu einem rezipientenspezifischen Zuschnitt der Äußerungen). Generell unterscheiden sich einzelne kommunikative Gattungen auch durch den Verfestigungsgrad des sequenziellen Ablaufs voneinander, d. h. durch den Grad und das Ausmaß, mit dem sie die Handelnden auf die genaue Befolgung eines vorgezeichneten Kommunikationsmusters verpflichten. Diese Verpflichtung kann sehr starr und rigide sein und den Handelnden wenig Interpretations- und Gestaltungsfreiheit lassen; sie kann aber auch relativ schwach und unverbindlich sein; sie liegt aber immer über der relativen Beliebigkeit gattungsmäßig nicht fixierten (»spontanen«) kommunikativen Handelns. Dabei beeinflusst der Grad der Reglementierung der sozialen Situation im Ganzen auch den Grad der Striktheit der Befolgung gattungsinterner Vorgaben. Welche spezifischen Funktionen kommunikative Gattungen erfüllen und unter welchen Bedingungen es z. B. zu einer gattungsmäßigen Verfestigung kommt – dies sind Fragen, wie sie in der an die Theorie kommunikativer Gattungen anschließenden empirischen Forschung gestellt werden. Deren Ziel ist es, diese kommunikativen Vorgänge in ihrer Formenvielfalt und konkreten Ausprägung im Detail zu beschreiben und theoretisch zu erfassen.
Grundsätzlich gilt aber, dass der Begriff dieser Gattungen immer bezogen ist auf kommunikative Handlungsformen, die auf spezifischem Wissen derer, die sie hervorbringen, beruhen und die als »Muster zur Lösung kommunikativer Probleme gesellschaftlichen Handelns« (Luckmann 1986, S. 200) betrachtet werden müssen. Gattungen sind in diesem Sinn für eine gewisse Dauer feststehende Prozeduren der Kommunikation, für die bestimmte Arten der Ausbildung und des Austauschs von Informationen und Orientierungen aktualisiert werden. Das Repertoire dieser Gattungen und die Formen ihrer Aktualisierung sind zusammen, wie Luckmann auch sagt, konstitutiv für den »kommunikativen Haushalt« einer Gesellschaft, d. h. für die Praktiken, die ihr für die soziale Gewinnung, Aushandlung und Transformation handlungsleitenden Wissens zur Verfügung stehen. Eine qualitative Untersuchung des Bestandes und der jeweiligen Veränderungen dieser Praktiken, so die methodische Folgerung, erlaubt es nicht zuletzt, Prozesse des sozialen Wandels detailliert zu beschreiben.
Methodisches Programm
Mit der Theorie kommunikativer Gattungen ist von ihrer Anlage her ein methodisches Programm verbunden: Dieses fordert dazu auf, Kontexte, Strukturelemente und Muster kommunikativer Vorgänge systematisch zu beschreiben, um auf der Grundlage struktureller Gemeinsamkeiten Typen zu bilden. Hierfür werden grundsätzlich zwei Analyseebenen unterschieden, die Binnenstruktur und die Außenstruktur. Auf der Ebene der Außenstruktur werden allgemeine gesellschaftliche Kontextbedingungen in den Blick genommen, die sich auf die Kommunikation niederschlagen können (z. B. soziale Milieus, Geschlecht, Alter, Status). Auf der Ebene der Binnenstruktur wird die interne Struktur kommunikativer Vorgänge mit ihren typischen Elementen und Mustern untersucht; dazu zählen die nonverbalen wie die verbalen Bestandteile des kommunikativen Geschehens (z. B. Mimik, Gestik, Prosodie oder die Wahl bestimmter Ausdrucksmittel). Mit der »situativen Realisierungsebene«, die im Konzept der kommunikativen Gattungen quasi als eine Zwischenebene eingeführt wurde, wird der besonderen Bedeutung der Phänomene des interaktiven Austauschs und des engeren sozialen Kontextes, in dem die Kommunikation stattfindet, Rechnung getragen (z. B. Zuteilung des Rederechts, Sprecherwechsel, Beziehungsstatus der Interagierenden, Themenentwicklung etc.) (vgl. Bergmann 1987; Keppler 1994; Günthner/Knoblauch 1994; Knoblauch/ Luckmann 2000). Insbesondere hier zeigt sich, dass das Konzept der kommunikativen Gattungen nicht ohne den Einfluss der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (Bergmann 1988; 1991) denkbar ist. Die Methode der Konversationsanalyse hat sich in den 1960er-Jahren zunächst vor allem in den USA und England als eigene soziologische Forschungsrichtung aus der Ethnomethodologie heraus entwickelt. Diese wurde entscheidend von den Arbeiten Harold Garfinkels geprägt, aber auch von den Interaktionsanalysen Erving Goffmans. Die Konversationsanalyse konzentrierte sich zunächst hauptsächlich auf die Analyse sogenannter »ordinary conversations«, also auf Alltagsgespräche im weitesten Sinn. Gegenstand der Konversationsanalyse waren hier vor allem Aufzeichnungen von real abgelaufenen »natürlichen« kommunikativen Interaktionssituationen. Die Konversationsanalyse befasst sich dabei nicht mit der Formulierung und dem Testen vorgängiger Hypothesen. Vielmehr ist es ihr Ziel, über induktive Forschungsstrategien die Merkmale und wiederkehrenden Regelmäßigkeiten verbaler und nonverbaler Kommunikation zu identifizieren. Mittlerweile haben sich hier u. a. zahlreiche Forschungsrichtungen etabliert, die sich vor allem der Analyse von Kommunikationen in institutionellen Zusammenhängen widmen. Hier geht es um Kommunikationsformen, in denen mehr oder weniger offizielle oder formalisierte aufgaben- bzw. rollenbezogene Aktivitäten im Mittelpunkt stehen: z. B. um Interaktionen zwischen Arzt und Patient, um Gesprächsstrategien in Gerichtsverhandlungen, um Vorstellungsgespräche, um Unterrichtsstunden in der Schule und in der Universität und schließlich auch um medienspezifische Kommunikationsformen, hier insbesondere im Rahmen von Radio und Fernsehen (Keppler 2011; Ayaß 2004).
Ganz ähnlich gilt für das Konzept und die Theorie der kommunikativen Gattungen, dass hier die Untersuchungen von kommunikativen Vorgängen der interpersonalen Face-to-Face-Kommunikation im Mittelpunkt der Betrachtungen standen. Dennoch gab und gibt es von Anfang an Arbeiten, die sich in diesem Kontext auch mit technisch vermittelter Kommunikation auseinandergesetzt haben (vgl. Keppler 1985; Ulmer/Bergmann 1993; Keppler 1994; Ayaß 1997; Schmidt 2000). Diese Analysen verweisen darauf, dass bei einer Analyse von Kommunikationsformen, die im Unterschied zur Face-to-Face-Kommunikation durch technische Medien vermittelt sind, vielfältige Inszenierungsmöglichkeiten über Kameraoperationen oder auch über Einblendungen von Musik und Geräuschen hinzutreten. Diese mediale Mischung aus verbalen und nonverbalen, aus inszenatorischen und dramaturgischen Elementen muss berücksichtigt werden, will man die Theorie kommunikativer Gattungen für die Analyse medial vermittelter Kommunikation adäquat weiterentwickeln. Trotz gravierender Unterschiede lässt sich der Grundgedanke dieses Vorschlags auch auf die Untersuchung medial vermittelter Kommunikation übertragen.1 Denn auch hier haben wir es mit Kommunikationsformen zu tun, die auf ihre Weise Antworten auf kommunikative Probleme oder Bedürfnisse anbieten.
Eine medientheoretische Erweiterung
Einen paradigmatischen Fall audiovisuell verfasster Kommunikationsformen, die sich ebenfalls im Kontext spezifischer Gattungen vollziehen, stellt das breite Spektrum filmischer Produkte dar. Gegenüber ihren direkten interpersonalen Formen ist hier die Kommunikationssituation jedoch eine durchaus andere. Gesprächssituationen im Fernsehen beispielsweise sind hochgradig institutionalisiert, inhaltlich mehr oder weniger vorbestimmt und inszeniert. Bei fiktionalen Sendungen (in Spielfilmen oder Unterhaltungsserien) folgen die Dialoge meist einer schriftsprachlich konstituierten Vorlage, dem Drehbuch. In nicht fiktionalen Sendungen gibt es Sendetypen, in denen Sprachhandlungen ebenfalls bis ins Detail vorgeplant sind. Hier können indes Elemente des eher »spontanen« Sprechens eingebaut sein (wie bei einem Interview zwischen Journalist und Politiker in den Nachrichten). Es gibt aber auch Sendetypen, in denen Sprachhandlungen nur grob vorgeplant sind, in denen die Handelnden also gewisse Spielräume für Spontaneität haben (z. B. bei Talkshows). Und es gibt Sendungen, in denen der verbale Austausch gar nicht im Zentrum der audiovisuellen Kommunikation steht – man denke an Sportübertragungen, Musiksendungen oder Filme mit nur sparsamen Dialogen. Das bedeutet, dass man, wenn man die Gattungsanalyse des hier beschriebenen Typs zur Untersuchung medial vermittelter Kommunikationsprozesse heranzieht, auf eine besondere Weise der spezifischen materialen Verfasstheit der audiovisuellen technischen Kommunikation Rechnung tragen muss.
Mediale Gattungen sind dann als eine Unterklasse der Gattungen der Kommunikation zu verstehen. Gattungen der Kommunikation sind Schemata der Ordnung kommunikativer Sequenzen, die den Teilnehmern eine