Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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seiner Selbstreflexivität im Wege steht. So kann er z. B. nicht erkennen, wie die von ihm analysierten »realen« Herrschaftsstrukturen durch seine eigenen theoretischen Vorannahmen oft erst begriffliche Kontur gewinnen. Sowohl Willis als auch Radway wurden dahingehend kritisiert, dass ihre theoretischen Vorannahmen zur Ausbildung blinder Flecke führen, was freilich für jede Forschung gilt. In der neueren ethnographischen Diskussion wird etwas übertrieben eingewendet, dass man oft mehr über die theoretische Perspektive der Forscher/-innen erfährt als über die untersuchten Personen. Diese Kritik wurde auch an John Fiske geübt, der als der wichtigste Vertreter des Widerstandsparadigmas gilt und dessen Analysen in der Exploration von Möglichkeiten in dem Dickicht der Lebenswelt für viele einen zu optimistischen Charakter annehmen.

      In seinen Analysen des Populären in der Gegenwart (Fiske 1989) knüpft er eng an Foucaults (1976) Unterscheidung zwischen Macht und Widerstand an. »Widerstand« kann in spezifischen historischen Situationen im Verhältnis von diskursiven Strukturen, kultureller Praxis und subjektiven Erfahrungen entstehen. Fiske begreift den Alltag als kontinuierliche Auseinandersetzung zwischen den Strategien der »Starken« und den Guerillataktiken der »Schwachen«. Im Gebrauch der Ressourcen, die das System z. B. in Form von medialen Texten und anderen Konsumobjekten zur Verfügung stellt, versuchen die alltäglichen Akteure ihre Lebensbedingungen selbst zu definieren und ihre Interessen auszudrücken. Dabei interessiert er sich nicht für die Aneignungsprozesse, die zur sozialen Reproduktion beitragen, sondern für den heimlichen und verborgenen Konsum, der im Sinne von Michel de Certeau (1988) eine Fabrikation, eine Produktion von Bedeutungen und Vergnügen ist, in der den Konsumenten ihre eigenen Angelegenheiten deutlicher werden und die (vielleicht) zur allmählichen kulturellen und sozialen Transformation beitragen kann (Winter 2001).

      Fiske (Fiske 1999; Winter/Mikos 2001) dekonstruiert in seinen Analysen die unterschiedlichsten populären Texte von Madonna über Stirb langsam bis zu Eine schrecklich nette Familie mit dem Ziel ihr Potenzial an Bedeutungen aufzuzeigen, das je nach sozialer und historischer Situation der Zuschauer von diesen unterschiedlich realisiert wird. Er zeigt die Inkonsistenzen, die Unabgeschlossenheit, die widersprüchliche Struktur oder die Polyphonie medialer Texte auf, arbeitet heraus, wie eng populäre Texte auf die gesellschaftliche Wirklichkeit bezogen sind und soziale Differenzen artikulieren. Die Rezeption und die Aneignung von Texten werden zu einer kontextuell verankerten gesellschaftlichen Praxis, in der die Texte als Objekte nicht vorgegeben sind, sondern erst auf der Basis sozialer Erfahrungen produziert werden. Damit gelingt es Fiske, die situative Einzigartigkeit und Signifikanz kultureller Praktiken aufzuzeigen, die an einem besonderen Ort zu einer besonderen Zeit realisiert werden.

      Wie bei Radway und bei Willis stellt sich jedoch auch bei Fiske die Frage, welche über den unmittelbaren Kontext hinausgehende Bedeutung diese symbolischen Kämpfe haben können. Eine nahe liegende Kritik lautet, dass widerständiger Medienkonsum, wie Fiske (2001) ihn in seiner berühmt gewordenen Madonna-Studie aufzeigt, ineffektiv bleibt, weil er die patriarchalen Herrschaftsstrukturen nicht ändert. So zu argumentieren, heißt jedoch, nicht sehen zu wollen, dass Fiske dies zum einen nicht behauptet. Zum anderen geht es ihm gerade darum, die Bedeutung, ein Madonna-Fan zu sein, ernst zu nehmen und – vor allem in seinen späteren Arbeiten – die Singularität kultureller Erfahrungen und Praktiken in spezifischen Kontexten herauszuarbeiten, ohne überhaupt den Anspruch auf Generalisierung oder unmittelbare Transformation von Herrschaftsstrukturen zu stellen. Allerdings entgeht auch Fiske nicht der Kritik, dass er als Forscher vorgibt, die Bedeutung der Praktiken der Untersuchten besser zu verstehen als diese selbst.

      Diesem für die Forschungen zum Widerstand charakteristischen Dilemma versucht man in neueren Arbeiten dadurch zu entgehen, dass Phänomene aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden und auf diese Weise das methodologische Instrumentarium sensibler für die Erfahrung des Anderen werden soll. So wird untersucht, welchen Einfluss Widerstandspraktiken in einem spezifischen Kontext auf Ereignisse und Prozesse in anderen Bereichen haben, wie sie mit diesen artikuliert sind. Zudem werden Erfahrungen, Praktiken und Diskurse in multiplen lokalen Kontexten analysiert, sodass sich verschiedene Formen von Subordination und Widerstand aufzeigen lassen (Saukko 2003). Innerhalb von Cultural Studies spielt die Analyse subversiven Medienkonsums also weiterhin eine wichtige Rolle, auch wenn die damit verbundenen optimistischen Hoffnungen nicht mehr im Zentrum der Betrachtung stehen.

      Texte in Kontexten

      Ein weiteres zentrales methodologisches Merkmal von Cultural Studies ist ihre Analyse von medialen Texten, die nicht als diskrete Entitäten betrachtet werden, in ihrer kontextuellen Verankerung. Sie interessieren sich dafür, wie Texte und Diskurse mit sozialen, historischen oder politischen Kontexten artikuliert werden. Von Anfang an haben sie die traditionell marxistische Vorstellung abgelehnt, dass Kultur im Wesentlichen im Rahmen einer dominanten Ideologie begriffen werden kann. Vor allem Stuart Halls berühmtes »Encoding/Decoding«-Modell (Hall 1980) machte deutlich, dass in der Produktion und Rezeption von Nachrichtensendungen um die Bedeutung der dargestellten Ereignisse gerungen wird. Mediale Texte werden zum Ort der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, die ihre eigenen Interpretationen durchsetzen möchten.

      Daher spielten schon in der Frühphase der Cultural Studies in Birmingham semiotische und strukturalistische Analysen eine wichtige Rolle. Zeichen wurden als polysem und multiakzentuell begriffen, die Verknüpfung zwischen Signifikant und Signifikat war in der Lesart von Cultural Studies vor allem politisch motiviert. Mediale Texte, wie z. B. die Studie zu James Bond (Bennett/Woollacott 1987) zeigte, wurden in ihrer intertextuellen Verankerung (Winter 1992; Mikos 1994) analysiert, um den oft formalistischen Charakter semiotischer und narrativer Analysen, die an primären Texten orientiert sind, zu überwinden. Durch die Berücksichtigung textueller und sozialer Kontexte gewannen die Analysen populärer Texte an Tiefe und Komplexität, weil ihre gesellschaftliche Bedeutung ins Zentrum rückte, die in Beziehung zu komplexen sozialen und kulturellen Kräften entsteht.

      Sehr früh wurden auch die Charakteristika postmoderner Medientexte bestimmt, die Anleihen im Archiv der verfügbaren Medientexte machen und sich primär im Kontext dieser zirkulären Bezüge – und nicht als Referenz auf eine medial unvermittelte »Realität« – verstehen lassen (Denzin 1991). Dabei geht ein umstrittener Film wie Natural Born Killers selbstreflexiv und kritisch mit Medienbildern sowie mit unserem medial vermittelten Wissen über Serienkiller um. Nicht jeder hat aber eine postmoderne Sensibilität ausgebildet und versteht daher den Film als Parodie auf mediale Gewalt. Cultural Studies betonen daher, dass jede Lesart kontextgebunden ist und politischen Charakter hat. Das Wissen über Texte und Praktiken, deren räumliche und zeitliche Eigenschaften bestimmt werden müssen, ist immer ein situiertes Wissen. Wie die Forschungen zur Populärkultur zeigen, existieren Texte und Praktiken an besonderen Orten zu besonderen Zeiten für besondere Publika (Jenkins u. a. 2002). Deshalb lässt sich die Bedeutung eines medialen Textes nie erschöpfend bestimmen. Gerade im Bereich der Populärkultur vervielfachen sich die Bedeutungen, wenn Konsumenten und Forscher die Texte im Kontext ihres eigenen sozialen Lebens und ihrer kulturellen Identität verstehen. Im Rahmen von Cultural Studies sind oft die persönlichen Erfahrungen im Umgang mit medialen Texten ein Einstieg für deren kritische Analyse (Grossberg 1988). So geht es in der Folge darum, in selbstreflexiver Weise die sozialen Grundlagen unserer Interpretationen und damit auch deren Grenzen zu bestimmen.

      In neueren, poststrukturalistisch orientierten Arbeiten der Cultural Studies werden hierzu auch genealogische und dekonstruktive Analysen durchgeführt. Im Anschluss an Foucault kann die Genealogie aufzeigen, wie unsere Auffassungen, Begriffe, Problembeschreibungen oder wissenschaftlichen Wahrheiten historischen Kontexten und spezifischen sozialen und politischen Prozessen entsprungen sind. So sind die Bilder, die wir uns von uns selbst, der Gesellschaft oder der Geschichte machen, nie vollständig oder unabhängig. Sie bleiben an die gesellschaftlichen Praktiken gebunden, aus denen sie hervorgegangen sind. Ein Genealoge versucht die medialen Praktiken unserer Kultur zu verstehen, die wir mit anderen teilen und die uns auch zu dem gemacht haben, was wir sind.

      Die Dekonstruktion ermöglicht eine kritische Analyse der Logik medialer Texte. Hierzu werden z.B. binäre Oppositionen aufgedeckt und problematisiert. Hinter diesen verbergen sich Werte, ideologische Vorannahmen und kulturelle Hierarchien. Darüber hinaus zeigen dekonstruktive Lektüren die grundlegende Unbestimmtheit des


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