Die NATO. Falk Ostermann

Die NATO - Falk Ostermann


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      1 Einleitung: Die NATO zwischen kollektiver Verteidigung, Sicherheit und demokratischer Identität

      Die NordatlantikvertragNordatlantikvertragsorganisation (North Atlantic TreatyNordatlantikrat (NAC) Organization, NATO)1 ist mit mehr als 70 Jahren sowohl die älteste als auch die am stärksten institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierte multilaterale Militärallianz der Welt. Seit ihrer Gründung am 4. April 1949 in Washington D.C. ist es ihre Hauptaufgabe, ihre Mitglieder gegen Angriffe Dritter zu schützen und so „die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten“ (NATO 1949a, Art. 5Art. 5Bündnisfall). Ihre anfangs 12 und heute 30 Mitglieder haben sich zu gegenseitigem politischen und militärischen Beistand verpflichtet und sichern diesen durch ihre militärische KapazitätenKapazitäten (militärische), gemeinsame Verteidigungsplanung in politischen und militärischen Strukturen, gemeinsame Missionen sowie kooperative Praktiken mit Partnern, die Sicherheit im nordatlantischen Raum herstellen sollen. Die breite Hauptquartierstruktur mit ca. 10.500 Mitarbeiter*innen ist für ein Militärbündnis einzigartig (s. Kap. 2.3; NATO 2018d, f).

      Während des Kalten KriegsKalter Krieg, der die Weltsicherheitspolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmte, hatte die NATO einen klaren Auftrag: die Verteidigung gegen einen Angriff auf das Bündnisgebiet durch die Sowjetunion (UdSSR) und die Staaten des Warschauer PaktWarschauer Pakts (1955-1991). Dieser Konflikt wurde durch den ideologiIdeologieschen Gegensatz zwischen KommunismusKommunismus in der UdSSR und (meist) liberalLiberalismusen Demokratien innerhalb der NATO angetrieben. Die Atlantische Allianz versuchte, durch eine Politik der militärischen und politischen Stärke und des gesellschaftlichen Engagements gegenüber anderen Staaten den Einfluss der Sowjetunion einzudämmen (containment). Zur Verteidigung entwickelten die NATO-Staaten bedeutende konventionelle KapazitätenKapazitäten (militärische), waren dem Warschauer PaktWarschauer Pakt allerdings zahlenmäßig stark unterlegen, sodass NuklearwaffenNuklearwaffenAtomwaffen eine wichtige Rolle als AbschreckungAbschreckung (nuklear)smittel spielten. Die gesammelten MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) der Alliierten lagen bei 4,3 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP, 1990), in der Russischen Föderation bei ca. 4,4 % (1992). Lord IsmayLord Ismay, der erste GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär der NATO (1952-1957), fasste den Auftrag des Bündnisses pointiert zusammen: „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down.“ (Meier-Walser 2017, 1). Damit brachte er die Dynamiken europäischer Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit auf den Punkt, für die es wichtig war, die USA als Sicherheitsanker in Europa zu halten, eine neue friedlichFriedene Rolle für (West-)Deutschland zu finden und dadurch russische Aggression abzuwehren. Diese Auseinandersetzung war von 1949 bis 1991 die bestimmende Bruchlinie internationaler Politik (Bockenförde 2013, 30). Sie sorgte für eine BipolaritätPolarität des internationalen Systems, der sich nur wenige Staaten machtpolitisch entziehen konnten. Zwar blieb der Kalte Krieg ultimativ doch kalt, er kannte jedoch Episoden der gegenseitigen Beinahe-Zerstörung und unsäglichen menschlichen Leids in Stellvertreterkriegen um Einfluss.

NATO-Staaten alphabetisch sortiert, mit Beitrittsjahr
Land Beitrittsjahr Land Beitrittsjahr
Albanien 2009 LuxemburgLuxemburg 1949
Belgien 1949 Montenegro 2017
Bulgarien 2004 Niederlande 1949
Dänemark 1949 Nordmazedonien 2020
Deutschland 1955 Norwegen 1949
Estland 2004 Polen 1999
Frankreich 1949 Portugal 1949
Griechenland 1952 Rumänien 2004
Großbritannien 1949 Slowakei 2004
IslandIsland 1949 Slowenien 2004
Italien 1949 Spanien 1982
Kanada 1949 Tschechien 1999
Kroatien 2009 Türkei 1952
Lettland 2004 Ungarn 1999
Litauen 2004 USA 1949

      Tabelle 1:

      NATO-Mitglieder (Quelle: NATO (2018i), eigene Darstellung)

      Diese Blockkonfrontation endete mit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa durch die deutsche WiedervereinigungWiedervereinigung (deutsche) (1989/90) und den Zusammenbruch der Sowjetunion im Dezember 1991. Die NATO versuchte danach, mit Partnern (inkl. Russland) ein institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)iertes Sicherheitssystem mit sich selbst im Zentrum aufzubauen (z. B. Partnership for PeacePartnership for Peace (PfP), s. Kap. 5.2.2), um für Stabilität zu sorgen und Sicherheit kooperativ zu organisieren. Nach einer Übergangsphase traten aber viele ehemalige Mitglieder des Warschauer PaktWarschauer Pakts und frühere Teilrepubliken der UdSSR der NATO (und der Europäischen Union, EU) bei, weil sie sich der durch die NATO und EU verkörperten westlichen Lebensweise zugehörig fühlten und ihre neue Unabhängigkeit von Russland absichern wollten. Aus russischer Perspektive hat sich die NATO seit dem Ende des Kalten Krieges immer weiter in die post-sowjetische Einflusssphäre hineinbewegt, auf die es nach wie vor HegemonHegemonie (UdSSR, Russland)ialansprüche erhebt (Mearsheimer 2014). Hierin besteht aus russischer Perspektive letztlich die Ursünde der Neuordnung seit dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs, die Russland ab 2007 zu einer erneuten Gegenmachtbildung, Kriegen in GeorgienGeorgien(krieg) und der Ukraine sowie der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der NATO-Staaten führte (s. Kap. 4), sodass seit 2014 wieder von einer beginnenden Blockkonfrontation gesprochen werden kann.

      Obwohl der Verteidigungsauftrag der NATO 1991 zunächst zu Ende war, transformierte sich die Allianz in den 1990er Jahren bald zu einer SicherheitsmanagementSicherheitsmanagementinstitutioninstitution, die im Namen der UN (und im KosovoKosovo(krieg) illegal auf


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