Historisch Arbeiten. Georg Eckert
Vertiefung
Reden & Schreiben
1.Guter Stil: Historisch Arbeiten als Erlebnis
2.Darstellungsformen und ihre Eigenarten
2.1Hausarbeit: Die Pflicht
2.2Essay: Die Kür
2.3Referat: Die Eigenheiten des direkten Dialogs
2.4Rezension: Ein wesentliches Wissenschaftsmedium
2.5Formalia: Hauptsache der Darstellung
2.6Zur Vertiefung
Die Form des Historisch Arbeitens
1.Die äußere Gestalt
2.Belegen & Zitieren
2.1Der Anmerkungsapparat
2.2Arten von Zitaten
2.3Die Bibliographie
Anhang
Freud & Leid des Hochschullehrers
In Kürze: Merkblatt für alle Genres
Checklisten
Zu den Vertiefungen
Abbildungsverzeichnis
Nachwort
Einleitung: Historisch! Arbeiten!
Historisch Arbeiten ist kein Hexenwerk, sondern ein Handwerk: ein facettenreiches und kreatives, dessen Ausübung ein ungeheures Privileg darstellt, eines der schönsten Handwerke überhaupt. Man kann es erlernen. Man muss es geduldig erlernen, wenn man es mit Freude und Erkenntnisgewinn betreiben möchte – für sich selbst und für andere.
Zum Zweck des Buches: Geschichtswissenschaft als Handwerk
Übung macht den Meister.1 Wie jedes Metier hat auch Historisch Arbeiten seine eigenen Techniken und Methoden. Das nötige Handwerkszeug stellt diese Handreichung zum Geschichtsstudium vor: anhand von Beispielen aus der konkreten Quellenarbeit und getragen von vielfältigen Erfahrungen aus dem Alltag universitärer Lehrveranstaltungen in mittlerweile gut achtzig Semestern – zunächst als Studenten, später als Hochschullehrer.
Historisch Arbeiten will also gelernt und geübt sein: über viele Semester hinweg, nicht von einem Tag auf den anderen. Zu Lernprozessen gehören auch Fehler. Manche davon sind nachgerade nötig, viele indes unnötig – sie lassen sich durch gründliches Nachdenken und stete Aufmerksamkeit vermeiden. Das gilt zumal für Fehler jenseits der besonderen Regeln unseres Metiers und der Wissenschaft. Rechtschreibfehler beispielsweise braucht man nicht erst zu begehen, um sie vermeiden zu können. Hier heißt es schlichtweg: Arbeiten! Und erst dann: Historisch!
Deshalb weist das vorliegende Buch auch und gerade auf zahlreiche kleine Fehlerquellen hin, aus denen große Enttäuschungen resultieren können: für denjenigen, der historisch arbeitet, ebenso wie für sein Publikum. In dieser Praxisnähe und in seiner unmittelbaren Orientierung am konkreten Arbeitsprozess ergänzt es die mannigfachen Einführungsdarstellungen ins Studium der Geschichte und in die Geschichtswissenschaft.2 Es versucht, exemplarisch darzustellen, was eigentlich gar nicht darstellbar ist. In einer Manufaktur gleicht kein Produkt exakt dem anderen.
Kurzum
Jedes Produkt des Historisch Arbeitens entsteht als Unikat, als kleines Kunstwerk für sich – weil jede Quelle einzigartig ist und ebenso jeder, der darüber nachdenkt. Entwickeln Sie also getrost Handwerkerstolz!
Historisch Arbeiten: Einheit in der Vielheit der Epochen
Historisch Arbeiten ist eine Einheit. Gleichwohl präsentiert sich Geschichte in den Universitäten eher als Vielheit: in eigenen Abteilungen für Alte Geschichte, für Mittelalterliche Geschichte, für Neuere Geschichte und für Zeitgeschichte.3 Diese übliche, oftmals noch weitaus differenziertere Einteilung in Epochen resultiert auch aus praktischen Gründen. Wie jede Wissenschaft ist die Geschichtswissenschaft arbeitsteilig organisiert. Schon einzelne Epochen umfassen ungeheuer viel Quellen-Material, in dem ungeheuer viele Ereignisse und Entwicklungen greifbar werden – handzuhaben wiederum erst mit speziellen Fertigkeiten wie Sprachkenntnissen und Spezialwissen aus der anwachsenden Fachliteratur. Außerdem hat die Geschichte eine Sonderstellung unter den Wissenschaften: Geschichte wird zwar nicht jeden Tag besser, aber wächst mit jedem Tag an! Vergangenheit veraltet nicht, auch „alte“ Deutungen tragen kein Verfallsdatum in sich. Sie verlieren keineswegs ihre Relevanz und Überzeugungskraft, bloß weil sie „alt“ sind.
Man kann die steigende Spezialisierung beklagen, weil der Zusammenhang der gesamten Geschichte immer weniger sichtbar und darstellbar gerät. Aber sie wird mit jedem Fortschritt in Wissen und Methoden unvermeidlicher und schlägt sich zuerst in der Konzentration auf bestimmte Epochen nieder. Manche Historiker beschäftigen sich vornehmlich mit der griechisch-römischen Antike (ca. 1500 v. Chr. bis 600 n. Chr.), andere mit dem christlichen Mittelalter (ca. 600 bis 1450), andere mit der Frühen Neuzeit (ca. 1450 bis 1850), weitere wiederum mit der Geschichte unserer Gegenwart. Zusätzlich zu solchen Spezialisierungen in der Zeit bestehen unzählige andere wie etwa solche im Raum: für die Geschichte bestimmter Orte, Städte, Landschaften, Territorien, Länder, Staaten, Kontinente, ja der Welt insgesamt. Historisch Arbeiten reicht von der Früh- bis zur Zeitgeschichte, von der Lokal- bis hin zur Globalgeschichte.
Mitunter quer zu diesen Spezialisierungen liegen solche, die an bestimmte Quellen, an bestimmte Methoden und an besondere Gegenstände gebunden sind. Das spiegeln die Binnenfächer der Geschichtswissenschaft wider, darunter Politik-, Ideen-, Wirtschafts-, Sozial-, Kultur-, Wissenschafts-, Technik-, Migrations- oder Geschlechtergeschichte und viele mehr. Diese Auflistung gibt nur einen Vorgeschmack auf unterschiedliche Herangehensweisen.4 Letztere stehen überdies oft in engem Kontakt mit Disziplinen außerhalb der Geschichtswissenschaft, die selbst historisch arbeiten: zum Beispiel die Literatur- oder die Rechts- oder die Religions- beziehungsweise Theologiegeschichte oder die Ethnologie.
Diese Zugänge zur Vergangenheit unterscheiden sich weniger im Prinzip als in den jeweiligen Quellen und im konkreten Umgang damit. Kunsthistoriker brauchen zur Analyse ihrer Bildquellen andere Kenntnisse und Methoden als Historiker, die aus Staatsverträgen und amtlichen Korrespondenzen die Geschichte der Internationalen Beziehungen rekonstruieren. Gleichwohl bestehen zwischen allen Binnenfächern sinnvolle Verbindungen, auch zwischen diesen exemplarisch genannten: Rembrandt war Künstler und Diplomat zugleich.
Historiker, die mit seriellen Quellen wie Taufregistern oder Steuerlisten arbeiten, nutzen wiederum andere Analysemethoden: quantitative, im weitesten Sinne statistische. Sie setzen eher sozialwissenschaftliche Verfahren ein als hermeneutische, die ihrerseits auf den Sinn einer Text-, Bild- oder sonstigen Quelle gerichtet sind. Wie viele Quellentypen, so viele besondere Merkmale, die es bei der Deutung zu beachten gilt. Deshalb widmet sich eine eigene Subdisziplin, die sogenannten Historischen Hilfswissenschaften,5 der Nutzbarmachung vor allem vormoderner Quellen mit ihren spezifischen Bestandteilen: zum Beispiel Inschriften (Epigraphik), Münzen (Numismatik) oder Siegel (Sphragistik) – während sich „Digital Humanities“6 einerseits mit digitalen Quellen, andererseits mit der digitalen Aufbereitung von nicht-digitalen Quellen auseinandersetzen.
Zu vielen Teilfächern der Geschichtswissenschaft gehören daher spezielle Konventionen beziehungsweise Praktiken, die in anderen Teilfächern wiederum