Naturphilosophie. Группа авторов

Naturphilosophie - Группа авторов


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nur noch als oberstes der Säugetiere verstehbar. Er teilt dann mit den Tieren eine ‚natürliche‘ Vergangenheit, aber noch keine Geschichte/n mit anderen Menschen. So wird nicht zur Sprache gebracht, wie unterschiedlich der Mensch sich – qua Geist und Vernunft, qua Denken, Fühlen und Handeln – in ein Verhältnis zur Natur gesetzt hat, dies heute tut und auch in Zukunft zu tun gedenkt. Wichtig ist: Erst in Kombination jener beiden reduktionistischen Vorannahmen zu ‚Mensch‘ und ‚Natur‘ und damit auch zur Konstitution von ‚Welt‘ würde es vielleicht möglich zu denken, dass Natur auch nach uns da sein wird – weshalb wir im betreffenden Satz oben das vorsichtige „womöglich“ hinzu gesetzt haben. Die so zum Ausdruck gebrachte Vorsicht ist auch eine Anspielung auf den Titel desjenigen Buches, das in jüngster Zeit wie kein anderes zur internationalen philosophischen Debatte um den Naturbegriff und das dominierende Weltbild der Naturwissenschaften beigetragen hat: Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist (engl. 2012, dt. 2013) von Thomas Nagel. Die beiden o.g. theoretischen Sollbruchstellen stehen dort im Fokus.

      |XIII|Jener Argumentationskomplex soll wegen seiner Aktualität und gerade mit Blick auf jüngere und/oder mit Science Fiction-Erzählungen vertraute Leserinnen und Leser dieses Buches kurz erläutert werden. Dabei werden die eingangs genannten Aussagen über Natur z.T. kritisch wieder aufgegriffen. Denn wenn Natur „im Trend“ ist, dann stellt sich dabei stets die Frage, in welchen Weisen sie das ist. Angenommen, Teile der bisherigen Menschheit würden die Erde für immer verlassen und extraterrestrisch als Menschen weiterleben, so bliebe Natur zumindest elementar in irgendeiner Form da, z.B. wenn jene Menschen in sog. ‚Life-Support-Systemen‘ mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt würden. Natur wäre auch in dieser reduzierten Form lebenswichtig oder genauer: überlebenswichtig. Den extraterrestrischen Menschen blieben vielleicht auch Naturfotografien, die sie an die Geschichte der irdischen Vergangenheit ihrer Vorfahren erinnerten – wenngleich sich dies etwa so anfühlen würde, wie wenn wir heute Bilder historischer Landschaften betrachten. Wir erkennen sie als Spuren unserer eigenen Geschichte, ohne den zugehörigen Sinnhorizont, der für die Menschen in früheren Zeiten galt, wirklich verstehen zu können. Um sich diesen Sinnhorizont wenigstens annähernd zu erschließen, bedarf es Quellen und zugehöriger Geschichten, die vom Gewesenen Zeugnis ablegen und sinnstiftend für das Verständnis der Gegenwart sind. Im Falle des tiefgründigen Bedeutungshorizonts von Natur und der mit ihr verbundenen Begriffe und Ideen sind dies z.B. historische Quellen zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Wetterveränderungen und Überflutungen (inklusive Fossilien), zur vorindustriellen Landwirtschaft, zum japanischen Zen-Garten und Englischen Garten, zur jüdisch-muslimischen Medizin des Mittelalters, zur antiken Legitimation der Sklaverei, zur Entstehung von Albert Einsteins Relativitätstheorien, zur Schönheit von Landschaft und zur Erhabenheit des Himmels.

      Aber die These, dass Natur, so wie wir sie bislang in all ihrer Pluralität verstanden haben, auch nach „uns“, d.h. nach der Menschheit, da sein und nicht ‚nur‘ sein würde, widerspricht folgender Annahme: Über Natur kann nur im Rahmen von Mensch-Natur-Verhältnissen und Mensch-Welt-Verhältnissen (wozu auch wissenschaftliche, technische und philosophische Verhältnisse gehören) nachgedacht werden. Dieser naturphilosophische Impetus findet sich von den Vorsokratikern und Aristoteles bis in die Neuzeit, z.B. bei Georg W.F. Hegel, Edmund Husserl, Ludwig Wittgenstein, Hannah Arendt, Paul Feyerabend und Thomas Nagel. Entsprechend kann von Natur in eben dieser gewohnten Weise auch nur von Menschen erzählt und können die Erzählungen auch nur von Menschen hinreichend verstanden werden. Das schließt nicht prinzipiell aus, dass mögliche andere Lebensformen Geschichten über Natur erzählen, aber weist darauf hin, dass es wohl keine mehr von „unserer“ Natur und dem plural gestalteten Verhältnis zu ihr sein werden. Betroffen wären davon auch die Ursprungs- und Schöpfungserzählungen in Mythos, Religion und Wissenschaft, die in vielfältiger Übereinstimmung davon ausgehen, dass es vor dem Menschen im Kosmos und auf der Erde etwas gegeben hat, was man in Bezug zum Begriff ‚Natur‘ setzen kann: das Chaos, das Tohuwabohu, den Himmel, das Wasser, die Pflanzen und Tiere, die Sonne, die Uratmosphäre, die Archaeen (von griech. arché für: Anfang), die Dinosaurier usw. Dass Natur vor uns da war ist deshalb, wenngleich nicht unproblematisch, eine weitaus weniger strittige Aussage, als dass sie nach uns (noch) da sein wird. Hinter diesen |XIV|Überlegungen verbirgt sich eine seit der Antike vieldiskutierte Problematik, die als sog. homo-mensura-Satz von Protagoras zu den Gründungsdokumenten der abendländischen Naturphilosophie zählt und aus dem 5. Jh. vor Christus stammt: „Aller Dinge Maß ist der Mensch, der seienden, daß (wie) sie sind, der nicht seienden, daß (wie) sie nicht sind“ (DK 80 B1).

      Doch selbst, wenn man im Gedankenexperiment Außerirdische mit einschlösse in ein zukünftiges „Wir“, gälte es zu bedenken: Es gibt keinen archimedischen Standpunkt im Weltall, von dem aus das Verhältnis von Natur, Mensch und Welt im wahrsten Sinne des Wortes begreiflich gemacht werden könnte – so schon 1958 Hannah Arendt in Vita activa (Kap. 37). Er ist ein Nirgendwo, weshalb das oben gewählte Wort „womöglich“ (wird Natur nach uns da sein) in Bezug auf die Aussage sogar sinnlos sein könnte. Hinzu kommt der philosophische Zweifel an einer temporal ungebrochenen Kontinuität von Natur als innerlich und dabei gleichzeitig äußerlich Vorgestelltes. Denn wenn die Natur des Menschen in den Gedankengebäuden des Transhumanismus als überwunden oder zumindest überwindbar postuliert wird, entsteht die Frage, wieso dies nicht auch die Vorstellung von der äußeren Natur, z.B. als Umwelt oder Landschaft, betreffen sollte. Transhumanistische Existenzen würden ja, wenn, dann eine andere körperlich-leiblich-geistige und somit auch eine andere innere Natur haben und deshalb wohl auch eine andere äußere Natur konzipieren – und umgekehrt. Und während wir uns von diesem Gedanken faszinieren lassen, der mit dem dystopischen Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? (engl. 1968) von Philip K. Dick Teil der Weltliteratur geworden ist, gilt trotzdem: Die innere Natur des Menschen, das Selbstempfinden und -bewusstsein, ist alles andere als verstanden. Meist wird unterschätzt, dass „wir große, komplizierte Fälle von etwas sind, das objektiv physikalisch von außen und subjektiv mental von innen ist“ (Thomas Nagel). – Bezogen auf die berechtigte Mahnung, dass Hinweise auf ‚Natur‘ und auch ‚Mensch‘ als Vehikel von politischen Ideologien dienen oder dienen könnten, wäre demnach zu ergänzen: Umgekehrt sind unterlassene Hinweise auf ‚Natur‘, insb. in Verbindung mit der Vision von der Überwindung des Menschen, derselben Gefahr ausgesetzt. Von dieser Warnung ist auch der jüngere Ökologie-Diskurs nicht auszunehmen, insofern er sich die Metapher vom „Raumschiff Erde“ teilweise zu eigen gemacht hat, um allerdings gerade darauf hinzuweisen, dass die globale Natur bedroht ist – womit Krise und Fortschritt in einem Ausdruck vereint worden sind.

      Und schließlich ergibt sich in jenem Argumentationskomplex ein logisches Problem: Wenn ‚die Natur‘ ‚die Welt‘ bedeuten und diese ‚das Weltall‘ als Ganzes meinen soll, wie kann es dann überhaupt noch eine Um-Welt geben? So bewahrheitet sich Johann W. von Goethes berühmte Aussage „Natur hat weder Kern noch Schale“ auch angesichts von zeitgenössischen Kosmologien und ihren Modellierungen, die im Spannungsfeld von Materialität und Virtualität stehen. Aus naturphilosophischer Sicht bleibt also fraglich, ob mit den immer populärer werdenden Visionen von einer transhumanistischen Existenzweise im All, d.h. mit einer die bisherige Natur ablösenden Lebensform nach Maßgabe der Technik, etwaige Entsprechungen zu Mensch-Natur-Verhältnissen auch nur annähernd begründet werden könnten. Gleichwohl erscheint es den Herausgeberinnen und Herausgebern dieses Lehrbuchs wichtig, im Angesicht |XV|jener aktuellen Visionen und Deutungen zu philosophieren und sie als Optionen des Nachdenkens über Natur nicht auszuschließen.

      Dieses Unterfangen ist gerade deshalb ambitioniert, weil auch die Philosophie von den modernen Fragmentierungs- wie Homogenisierungstendenzen nicht verschont geblieben ist, ja sie sogar mit befördert hat. Die westliche Philosophie des 20. Jhs. wurde – auch jenseits von Deutschland – damit konfrontiert, dass ihre altetablierten Lehrstühle für Naturphilosophie entweder verschwanden oder bevorzugt in solche für Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften, alternativ auch für Erkenntnistheorie bzw. Philosophie des Geistes, umgewidmet wurden. Dabei sind klassische Problemstellungen der Naturphilosophie, wie die schon in der Antike wichtigen Fragen nach Welt, Raum und Zeit, in alternative Denkarchitekturen eingeordnet worden. Die Folgen zeigen sich nun im 21. Jh. verstärkt. Sie wären nicht zu beanstanden, wenn bei jenen Transformationen


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