Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов
nicht unbestritten, so wird dagegen argumentiert, dass – besonders durch die Verschiebung und Entwertung anderer sinnintegrierender Instanzen und Beziehungen wie Religion, Ehe und Familie bedingt – der Beruf eine zunehmend identitätsrelevante Bedeutung erhält. Auch wird ins Feld geführt, dass soziale Ungleichheiten und Lebenschancen in erheblichem Ausmaß von traditionellen Schichtkriterien wie Berufsposition und Bildungsniveau abhängen.
Sicherlich ist der Beruf nur einer unter vielen Bestimmungsfaktoren für die Positionierung von Personen im sozialen Raum, dennoch kommt ihm etwa im Zusammenhang mit Organisationen immer noch eine bedeutende Rolle zu. Die Organisationsmitgliedschaft erfordert den Beruf als qualifizierte Erwerbsarbeit, wie Max Weber ihn definiert hat: Man ist ausgebildet für eine Tätigkeit in der Organisation und wird dafür von dieser bezahlt. Für die andere Seite der sozialen Positionierungsfunktion von Organisationen, der Partizipation des Publikums an organisationsspezifischen Entscheidungen, muss in der Regel Geld gezahlt werden, für dessen Erwerb der ausgeübte Beruf eine wesentliche Rolle spielt. In diesem Sinne ist der Beruf eine der Voraussetzungen für die Teilhabe an Gesellschaft, die über Organisationen vermittelt wird.
Professionen und Wissensberufe
Wer heute über die Form der qualifizierten Erwerbsarbeit nachdenkt, der bleibt nicht mehr bei der klassischen Steigerungsformel »Arbeit, Beruf, Profession« (Hartmann 1968) stehen, sondern unterscheidet im Bereich der hochqualifizierten akademischen Tätigkeiten professionelle Arbeit und die sogenannten Wissensberufe wie Experten, Ratgeber und Berater. Der Begriff der Wissensberufe ist ein Steigerungsbegriff, in der modernen Wissensgesellschaft tendiert immer mehr Arbeit zur Wissensarbeit. Demgegenüber haben wir es beim Begriff der Professionen mit einem exklusiven Begriff zu tun, Professionen können immer nur sehr wenige Berufe sein (s. a. das Stichwort »Professionalisierung«).
Professionen sind in der Moderne akademische Berufsgruppen, die lebenspraktische Probleme von Klienten im Kontext einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche wie dem Gesundheits-, dem Rechts-, dem Religions- und dem Erziehungssystem in Interaktionssituationen mit Klienten stellvertretend deuten, verwalten und bearbeiten. Die Professionellen wie Ärzte, Rechtsanwälte, Seelsorger und Lehrer fungieren dabei als verberuflichte Leistungsrollen dieser Sozialsysteme, denen sowohl bei der Ausdifferenzierung der Systeme wie auch bei deren Erfüllung der Leistung für andere Funktionssysteme der Gesellschaft eine besondere Bedeutung beigemessen werden konnte. Diese sogenannten Leitprofessionen (Stichweh 1996) verwalten jeweils den besonderen Wissenskorpus dieser Funktionssysteme und nehmen gegenüber den anderen im Kontext des Systems arbeitenden Berufen eine Kontroll- und Delegationsfunktion ein.
Obwohl nun die neuen Wissensberufe gegenüber den klassischen Professionen weder unbedingt etwas mit lebenspraktischen Problemen von Klienten zu tun haben noch gesellschaftliche Zentralwerte abdecken müssen, kann man in Bezug auf die Form der[55] Wissensbasierung beider beruflichen Gruppen auch eine Gemeinsamkeit markieren. Auch die Handlungslogik der zunehmenden Wissensberufe ist nicht die einer technisch-instrumentellen Anwendung von wissenschaftlichem Regelwissen; wie das Wissen der Professionen ist auch das Expertenwissen der Wissensberufe interpretationsbedürftig, kontingent und im Handeln immer wieder neu zu reproduzieren.
Ende des Berufs?
Der Bedeutungsverlust der Berufssoziologie korrespondiert in gewisser Weise mit der in den Massenmedien und der Wissenschaft seit den 1980er Jahren geführten Debatte über eine Krise bzw. einem Ende von Arbeit und Beruf (Dahrendorf 1983), womit zwar nicht ausgesagt wird, dass der Erwerbsgesellschaft gleich die (berufliche) Arbeit ausgehen würde, wohl aber wird das Ende der sogenannten Vollzeiterwerbsarbeitsgesellschaft prognostiziert. Die Veränderungen, die wir gegenwärtig in der Arbeitswelt beobachten können, zeigen gleichwohl auch noch nicht das von vielen heraufbeschworene Ende der Berufsform überhaupt an. Auch in Zeiten, in denen wir in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft über das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen diskutieren, werden Personen für Arbeit, die ihnen ihren Lebensunterhalt sichern soll, ausgebildet, und Organisationen müssen für die ausgeübte Arbeit, auf die sie angewiesen sind, bezahlen. Was sich aber vor allem verändert, ist das Verhältnis von Ausbildung und Arbeit/Erwerb und damit ein inhaltlicher Wandel des Berufs. Im Übergang zur Wissensgesellschaft, in der immer mehr Arbeit zur reflexiven Wissensarbeit wird, muss sich das Bildungssystem darauf einstellen, dass mehr und mehr Personen mit überfachlichen Kompetenzen und entwicklungsoffenen Qualifikationspotentialen gesucht werden. Hier zeigen sich Tendenzen einer Annäherung von beruflicher und allgemeiner Bildung.
Obwohl in zunehmendem Maße andere Formen von Arbeit an Bedeutung gewinnen, wird die berufliche Erwerbsarbeit auch weiterhin die dominante Form des Arbeitens bleiben (Daheim 2001). Die Veränderungen, die wir gleichwohl in der Arbeitswelt beobachten können, scheinen denn auch eher ein neues und sich immer schneller wandelndes Mischungsverhältnis anzudeuten; und zwar auf der einen Seite im Rahmen beruflicher Erwerbstätigkeit selber, auf der anderen Seite aber auch im Verhältnis der Erwerbsorientierung zu gemeinschaftsorientierten Tätigkeiten oder solchen im persönlich-familiären Bereich.
Genauso wenig wie man von einem Ende des Berufs sprechen kann, ist auch die Berufssoziologie noch lange nicht überflüssig geworden, sie scheint sogar gegenüber anderen das Berufsthema bearbeitenden soziologischen Teildisziplinen einen analytischen Vorteil zu haben: So kann sie etwa das Themenspektrum der Arbeitssoziologie und der Professionssoziologie mit bearbeiten. Denn der zwischen Arbeit und Profession stehende Berufsbegriff schließt sowohl nur wenig berufliche Qualifikationen erfordernde Erwerbsarbeit als auch hochqualifizierte professionelle Arbeit bzw. Wissensarbeit ein. Und darüber hinaus kann sie Beiträge zu anderen soziologischen Debatten beisteuern, wie etwa denen der Organisationssoziologie oder der soziologischen Ungleichheitsforschung, so dass die Berufssoziologie aus der spezifischen Perspektive der Berufsform eine Verbindung zwischen diesen Teildisziplinen herstellen kann (Kurtz 2005).
Literatur
Beck, Ulrich et al., 1980: Soziologie der Arbeit und der Berufe. Grundlagen, Problemfelder, Forschungsergebnisse, Reinbek. – Blau, Peter M.; Duncan, Otis D., 1967: The American Occupational Structure. New York u. a. – Daheim, Hansjürgen, 2001: Berufliche Arbeit im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft; in: Kurtz, Thomas (Hg.): Aspekte des Berufs in der Moderne, Opladen, 21–38. – Dahrendorf, Ralf, 1983: Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht; in: Matthes, Joachim (Hg.): Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages in Bamberg 1982, Frankfurt a. M./ New York, 25–37. – Durkheim, Emile, 1996: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, 2. Aufl., Frankfurt a. M. (1893). – Hartmann, Heinz, 1968: Arbeit, Beruf, Profession; in: Soziale Welt 19, 193–216. – Kurtz, Thomas, 2005: Die Berufsform der Gesellschaft, Weilerswist. – Luckmann, Thomas; Sprondel, Walter Michael, 1972: Einleitung; in: dies. (Hg.): Berufssoziologie, Köln, 11–21. – Parsons, Talcott; Smelser, Neil J., 1956: Economy and Society. A Study in the Integration of Economic and Social Theory, London. – Schelsky, Helmut, 1960/1965: Die Bedeutung des Berufs in der modernen Gesellschaft; in: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln, 238–249. – Stichweh, Rudolf, 1996: Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft; in: Arno Combe; Helsper, Werner (Hg.): Pädagogische Professionalität. Untersuchungen [56]zum Typus pädagogischen Handelns, Frankfurt a. M., 49–69. – Voß, G. Günter; Pongratz, Hans J., 1998: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50, 131–158. – Weber, Max, 1984: Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung, hg. von Johannes Winckelmann, Gütersloh (1920). – Weber, Max, 1985: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen (1920).
Thomas Kurtz
Bevölkerungssoziologie und Demographie
Gegenstand und Thematik
Demographie (engl. demography) ist der Oberbegriff für Analysen quantitativer und qualitativer Veränderungen der Bevölkerungsverhältnisse einer Region, eines Landes oder der Welt als Ganzes. Da gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische, kulturelle und biologische Faktoren demographische Entwicklungen beeinflussen, ist Demographie idealerweise eine interdisziplinär ausgerichtete Wissenschaft. Die Bevölkerungssoziologie