Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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f.). Diese Kritik bewegte sich in der Kontinuität der Parteiensoziologie Robert Michels: Dieser beobachtete an der Sozialdemokratie im wilhelminischen Deutschland Verselbstständigungstendenzen der Funktionsträger bis hinab zur Ortsebene, für die sich die Routine der Amtswaltung und der kleinlichen Kompetenzwahrung vor die deklarierten, umwälzenden Ziele schiebt. Über dieser bürokratischen Verkrustung erhebt sich dann die Darstellungspolitik der akademischen Führungseliten. Nachrevolutionäre, sozialistische Systeme schließen jedoch in noch einer anderen Weise an die Widersprüche der alten Bewegungspolitik an. Subalternfunktionäre ebenso wie abgehobene Spitzenkader benötigen nämlich weiterhin den Anschein der ideengeleiteten Massenmobilisierung als Rechtfertigungsmuster. Darum etablieren sich regelmäßig aktivierende Massenorganisationen, die Pseudo-Partizipation bei erzwungener Mitgliedschaft betreiben und Aktivitäten zugunsten von Kultur, Infrastruktur oder Zivilschutz usw. kanalisieren. Solche Organisationen sind keine Anfechtung für die Kader und Eliten, sondern schaffen ihnen eine zusätzliche, ideologisch verbrämte Bestätigung (Kasza 1995, 26 ff.).

      Bürokratie bei M. Weber

      Diese Dialektik von Wandel und Beharrung ist mit dem wichtigsten Versuch, den Bürokratiebegriff der polemischen Verwendung zu entkleiden, gut beschreibbar. Max Weber hat die Umsetzungsleistung eines bürokratischen Verwaltungsstabs als wesensmäßig dem Idealtypus einer legalen Herrschaftspraxis und -legitimation zugeordnet. Gehorsam wird hier inhaltsunabhängig für Befehle geleistet, weil diese aus allgemeinen Regeln abgeleitet sind, denen sich auch die Befehlenden fügen. Die Prinzipien der Bürokratie – z. B. Einsetzung nach Fachqualifikation, Trennung von den Amtsmitteln, Aktenkundigkeit, vorstrukturierte Arbeitsteiligkeit, hierarchische Gehorsams- und Rechenschaftspflicht – unterbinden alles, was von der administrativen Regelorientierung ablenken könnte. Solche Apparate handeln nach abstrakten Gleichheitsgrundsätzen, sie negieren alte (ständische) Besonderheiten ebenso, wie dies Märkte und moderne Staatsverfassungen tun. Hier markierte Weber den »rationalen« Zug der Bürokratie: sie füge sich in eine neuzeitliche Weltordnung, die natürliche und gesellschaftliche Verhältnisse gesetzesförmig zu durchschauen und beherrschbar zu machen trachte. Außerdem sei der bürokratische Verwaltungsstab in seiner »neutralen« Instrumentalisierbarkeit bestens dafür geeignet, einheitlichen Willen auf große Organisationen, bis hinauf zum Nationalstaat, auszuüben. Damit aber macht sich der Apparat tendenziell unentbehrlich. Wegen des in der Bürokratie akkumulierten Fach- und Dienstwissens sah auch Weber die Gefahr, dass sich Diener in Herrscher verwandeln, dass dadurch selbst politische Umwälzungen nur einen Austausch des Spitzenpersonals brächten. Zudem war der bürokratische Arbeitsmodus für ihn kein Privileg des Staates, sondern charakterisiere alle hochorganisierten Zusammenhänge in Wirtschaft und Gesellschaft (was wiederum einen Ausstieg aus dem ineinander verzahnten Arbeits- und Herrschaftsmechanismus erschwere!).

      Damit ist es auch mit Webers Kategorien möglich, Bürokratie als Grundlage organisatorischer Fehlentwicklungen zu bestimmen. Er selbst hat dies in eher zeitbezogenen Schriften getan, als er die Selbstrekrutierung der politischen Führung aus den Verwaltungsstäben heraus als Ursache für Kreativitätsverlust und Kastenwesen (z. B. im Wilhelminischen Reich) kritisierte.

      Die Weber-Rezeption in der angelsächsischen Organisationssoziologie ab ca. 1930 übersah diesen Aspekt und missverstand das Rationalitätspostulat. Wollte Weber damit die Einordnung bürokratischer Elemente in den neuzeitlichen Rationalisierungsprozess verdeutlichen, so deuteten seine Kritiker »Rationalität« in die behauptete Leistungsfähigkeit dieser Elemente bei der Erfüllung einzelorganisatorischer Aufgaben um. Trotz ihrer Schieflage hat diese Kritik eine wichtige, empirisch fundierte Sicht auf Organisationen begründet (Morgan 1990, 63 ff.). Kernaussagen waren z. B. jeweils

       ddass Steuerung durch strikte Regeln und Hierar chien nur in standardisierten, wiederkehrenden Aufgabenstellungen Erfolg garantiere;

       [73]ddass gerade bei der Integration von professionel len Kompetenzen die Fixierung auf die offizielle, positionale Autoritätsstruktur zu starr sei;

       ddass Organisationen von komplexeren Zielstrukturen angeleitet würden als nur durch die autoritativen Festlegungen seitens der Spitze;

       ddass erfolgreiche, anpassungsfähige Verwaltungsführung Freiräume und eigenständige Umweltbeziehungen der nachgeordneten und dezentralen Einheiten zulassen müsse.

      »Weberanische« Bürokratie wurde für diesen Argumentationsstrang zum Typus einer überformalisieren, überzentralisierten und überroutinisierten Organisationsgestaltung; sie wurde somit implizit in die Nähe einer tayloristischen Arbeitsgestaltung gerückt, in der menschliche Spielräume als zu tilgende Störfaktoren erscheinen. In politologischer Kritik erschien der Typ als Korrelat einer Verwaltungskontrolle, die allein auf Gesetzeseinhaltung poche und ein repräsentativ-zentralistisches Demokratieverständnis pflege.

      Weitere Ansätze

      In noch stärkerem Maße machte sich eine andere Theorievariante den negativen, alltagssprachlichen Klang des Bürokratiebegriffs zunutze. Es handelt sich dabei um Argumentationen auf der Grundlage von »public choice«-Prämissen, die Bürokratie als Kernform des nicht-marktlichen Entscheidens bestimmen. Diese Zuordnung impliziert, dass solches Entscheiden regelmäßig zu Fehlallokation und Überproduktion öffentlicher Güter neigend beschrieben wird, da ihr die Gegenmacht von unverfälschten Konsumentenwünschen und Preisbildung fehle.

      Konkurrenz, wenn sie denn stattfindet, ist die der »Bureaus«, um die Anteile des öffentlichen Haushalts, mit denen günstige Beziehungen zu den fachspezifischen Umweltinteressen hergestellt werden, die selbst wieder (z. B. durch Lobbyismus) Vorteile suchen, für die die Allgemeinheit aufkommen muss. Kritik an Bürokratie meint in dieser Denkrichtung etwas Allgemeineres: nämlich die Verteilung von Vorteilen an Nutznießer, die ebenso wenig wie die Verteiler für die Kosten äquivalent aufkommen müssen (vgl. z. B. Mitchell/Simmons 1994). Nicht zufällig erlangte diese Sicht politische Popularität, als Wohlfahrtsstaaten und Umverteilungspolitiken über das demokratische Mehrheitsprinzip ab ca. 1980 von konservativen/libertären Bestrebungen geächtet wurden. Ausdruck dieser Ideologie waren Verwaltungsreformbestrebungen, die staatliche Leistungen privatisierten und staatliche Einrichtungen inneren oder äußeren Wettbewerbsanforderungen aussetzten (Suleiman 2003, 51 ff.).

      Bürokratie wird ökonomisch als Produktivitätsverlust für den Auftraggeber »Steuerzahler« in seiner Gesamtheit verbucht; Therapie kann für diese Optik in spezifischeren, dezentralen Käuferbeziehungen gegenüber einzelnen öffentlichen Gütern bestehen: durch Privatisierung, Verpreisung usw. Die Interessen des Gesamtsteuerzahlers können aber auch zentral gegen den Eigensinn der Bürokratie und ihrer Klientenbeziehungen geltend gemacht werden. Dies ist das Thema der »principal-agent«-Fragestellung, die ebenfalls meist in Kategorien der »public choice«-Ansätze erörtert wird.

      Der Ansatz hat seinen Ursprung in der Versicherungswirtschaft und beschreibt Vertragsbeziehungen mit riskanten Partnern. Der Prinzipal »Parlament« delegiert z. B. die Ausfüllung von Gesetzesinhalten an semi-autonome Behörden, ohne deren Agieren im Politikfeld hinreichend kalkulieren zu können. Die Stimulierung von rationalen Verhaltensanreizen oder von korrigierenden Einwirkungsmöglichkeiten ausgewählter Interessenten (»stakeholder«) kann die Delegationsrisiken mindern.

      Eine solche Minderung kann aber auch durch die altfränkische, hierarchische Einwirkungsform »Bürokratie« zustande kommen, die in einem neuen, sozialwissenschaftlichen Modenumschwung wieder respektvollere Bewertung erfährt (Olsen 2008). Regeln werden nicht nur als Einschränkungen, sondern auch als Entlastung eingestuft, da sie von ständigen Neuaushandlungen der Entscheidungskontexte befreien und die Akteure überhaupt erst entscheidungsfähig in ihren zugewiesenen Kompetenzen machen. Im Gegensatz dazu erscheint die horizontale und dezentrale Aushandlung in »Netzwerken« als eine, die häufig Privilegien, Verstetigung und Intransparenz erzeugt. Auch im organisierten Innenverhältnis wird die Steuerung durch Hierarchie- und Regelbindung inzwischen wieder milder gesehen, da sie bestimmten Persönlichkeitstypen und Arbeitssituationen angemessen erscheint und einen Sockel der routinehaften Erledigung schafft, auf dem anspruchsvollere Aufgabenzuweisung aufbauen kann (Bobic/Davis 2003). Bürokratie [74]im Weber’schen Sinne bleibt also ein anregendes


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