Am Anfang ist das Ei. Rebecca Fett
ihre Forschungsgruppe an der Case Western Reserve University untersuchten die Entwicklung von Eizellen an Labormäusen und beobachteten im August 1998 etwas sehr Ungewöhnliches: Die Anzahl der Eizellen mit Chromosomenanomalien war drastisch gestiegen. Bei Mäusen sind typischerweise nur 1 bis 2 Prozent der Eizellen davon betroffen, dass sich die Chromosomen nicht korrekt entlang einer zentralen Achse ausrichten. Dieses spezifische Problem trat jedoch plötzlich vermehrt in Dr. Hunts Labor auf und betraf etwa 40 Prozent der Eizellen in Verbindung mit anderen schweren chromosomalen Abweichungen. Bei ihrem Heranreifen würden diese Eizellen mit großer Wahrscheinlichkeit eine falsche Anzahl von Chromosomen in sich tragen. Dr. Hunt sagte dazu: „Ich war wirklich entsetzt, weil es ein Unterschied war wie Tag und Nacht.“34
Die Forscher begannen, alles gründlich zu untersuchen, und fanden schließlich den Schuldigen. BPA war aus den Kunststoffkäfigen und Wasserflaschen herausgesickert, nachdem diese mit einem Reinigungsmittel gesäubert worden waren. Nachdem all diese beschädigten Kunststoffkäfige und Flaschen ersetzt worden waren, begann sich die Rate der Eizellen mit Chromosomenanomalien wieder zu normalisieren. Dr. Hunts Forschungsgruppe verzichtete jedoch mehrere Jahre lang darauf, diese Ergebnisse zu veröffentlichen, weil die Folgen für die Fruchtbarkeit bei Menschen so besorgniserregend waren, dass die Forscher weitere Untersuchungen durchführen wollten, um sicherzugehen, dass sie sich nicht geirrt hatten.35 „Diese Chemikalie, der wir alle ausgesetzt sind, könnte zu einem Anstieg der Fehlgeburtsrate und der Geburtsfehler führen.“ Dr. Hunt erinnert sich daran, zutiefst besorgt gewesen zu sein.36
Um zu bestätigen, dass BPA die spezifische Ursache für die Anomalien in den Eizellen gewesen war, gaben sie den Mäusen kontrollierte Dosen von BPA – und das Gleiche passierte. Anhand einer Reihe von Untersuchungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren stellte die Gruppe fest, dass selbst eine geringe Dosis von BPA in den letzten Stadien der Eizellentwicklung ausreichte, um die Meiose zu stören und chromosomale Anomalien in den Eizellen zu verursachen. Die Forscher erklärten, ihre Ergebnisse seien aufgrund der außerordentlichen Ähnlichkeit in der Chromosomenverarbeitung bei Menschen und Mäusen offensichtlich auch für Chromosomenfehler in menschlichen Eizellen von Bedeutung.37
Nach Dr. Hunts Entdeckung untersuchten auch andere Wissenschaftler, wie BPA der Fruchtbarkeit schaden kann, und fanden bald darauf weitere Belege dafür, dass BPA nicht nur für die sich entwickelnden Eizellen toxisch ist, sondern auch die Hormone beeinträchtigt, die für die sorgfältige Koordination des Fortpflanzungssystems zuständig sind.
In den vergangenen 15 Jahren haben viele Studien gezeigt, dass die kleine Menge an BPA, der wir alle täglich ausgesetzt sind, ernsthafte gesundheitliche Folgen haben kann. Die mutmaßlichen toxischen Auswirkungen sind breit gefächert und umfassen Diabetes, Fettleibigkeit, Herzerkrankungen sowie Folgen für das Gehirn und das Fortpflanzungssystem von Ungeborenen, die während der Schwangerschaft BPA ausgesetzt sind.38 Dr. Hunt erklärte dazu, dass „all die Untersuchungen, die wir im Zusammenhang mit BPA durchgeführt haben, meine Besorgnis nur weiter vergrößert haben".
Im Jahr 2008 wurde eine der ersten breit angelegten Studien zu den Auswirkungen der BPA-Exposition auf die menschliche Gesundheit veröffentlicht. Dr. Iain Lang und seine Kollegen analysierten Daten, die die Centers for Disease Control (CDC) von mehr als eintausend Personen gesammelt hatten, und stellten fest, dass zwischen BPA-Exposition und Diabetes, Herzerkrankungen und Lebertoxizität ein Zusammenhang besteht.39
Diese Ergebnisse, die in der Folge durch andere breit angelegte Studien40 bestätigt wurden, gaben Anlass zur Sorge, da BPA so weit verbreitet ist.
BPA gelangt am häufigsten in den Körper, wenn Nahrungsmittel und Getränke konsumiert werden, die in einem Material verpackt oder gelagert wurden, das BPA abgibt, selbst kleine Mengen können durch den Kontakt mit Produkten, die mit BPA beschichtet sind, z. B. Kassenzettel, über die Haut aufgenommen werden. Auf beiden Wegen gelangt BPA in den Blutkreislauf und damit in das Körpergewebe. Die Folge ist, dass bei mehr als 95 Prozent der US-Amerikaner messbare Werte festgestellt werden können.41 In mehr als zwanzig von Fachkollegen überprüften Veröffentlichungen wurde ebenfalls berichtet, dass messbare Werte von BPA bei vielen Bevölkerungsgruppen weltweit im Blut gefunden wurden.42
Während BPA eine Vielzahl unterschiedlicher biologischer Folgen hat, sind die vielleicht besorgniserregendsten Auswirkungen die, die das Hormonsystem betreffen. Es wurde immer wieder festgestellt, dass BPA sich störend auf die Aktivität von Östrogen, Testosteron und Schilddrüsenhormonen auswirkt.43 Aufgrund dieser Störung des endokrinen Systems wird BPA auch als „endokriner Störfaktor“ bezeichnet.
Es überrascht kaum, dass BPA sich störend auf die Hormonsysteme auswirkt, da seit Langem bekannt ist, dass es Östrogen imitiert. Ursprünglich wurde es als synthetische Form von Östrogen im Jahr 1936 identifiziert, als Pharmakonzerne auf der Suche nach einem Medikament waren, das sie für eine Hormonbehandlung verwenden konnten. Aber schon kurze Zeit später wurden stärkere chemische Substanzen gefunden, sodass BPA für diese Zwecke schnell aus dem Blickfeld verschwand. BPA ist allerdings nicht so schwach, wie man zunächst annahm,
da es nicht nur die Aktivität des Östrogens, sondern auch die anderer Hormone beeinträchtigt.
Dürfen Firmen BPA wirklich noch verwenden?
Als Reaktion auf die große Anzahl von Forschungsarbeiten zu den Gefahren von BPA kam es zu starkem öffentlichem Druck auf die Regierungsbehörden, tätig zu werden und BPA zu verbieten. Aber in den meisten Ländern wurde nur wenig unternommen. Die Regierungen, die BPA verboten haben, beschränkten das Verbot in der Regel auf Artikel wie Babytrinkflaschen. Dies ist als erster Schritt zu begrüßen, weil Kleinkinder vermutlich besonders anfällig sind für BPA, aber er geht nicht weit genug.
Dr. Hunt sagte dazu aufgebracht: „Was zum Teufel hat dieses Zeug in Konsumgütern und vor allem in Behältern für Nahrungsmittel und Getränke zu suchen, wenn wir wissen, dass es sich um ein synthetisches Östrogen handelt. Das macht mich wirklich wütend.“
Im Jahr 2011 verbannte die US-Lebens- und Arzneimittelbehörde (FDA) BPA aus Fläschchen und Trinkbechern für Babys, aber dies war, um es mit den Worten der Environmental Working Group zu sagen, eine Maßnahme von „rein kosmetischer“ Natur.
Die Hersteller hatten als Reaktion auf die Forderungen der Verbraucher bei der Herstellung von Babyflaschen bereits auf BPA-freien Kunststoff umgestellt. Die Entscheidung der FDA kam durch ein Ersuchen eines Handelsverbandes der chemischen Industrie zustande, die der Ansicht war, ein Verbot würde das Vertrauen der Verbraucher in Kunststoffprodukte stärken.44
Die Verbrauchernachfrage könnte in diesem Kampf tatsächlich die stärkste Kraft sein, die wir haben, da auf der Mehrheit der wiederverwendbaren Plastikgeschirrartikel in den Geschäften heute zu lesen ist, dass sie BPA-frei sind. Selbst die größten Konservenhersteller verzichten heute weitgehend auf die Verwendung dieser Chemikalie. Echte Sorge bereitet jedoch, dass Hersteller BPA einfach durch sehr ähnliche Chemikalien, zum Beispiel Bisphenol S und Bisphenol F, ersetzen. Für den Verbraucher bedeutet dies, dass es viel besser ist, den Kauf von Konserven zu minimieren und Kunststoff durch Glas und Edelstahl zu ersetzen, als einfach nur Produkte zu kaufen, die als BPA-frei gekennzeichnet sind. Dies ist wichtig, weil neue Erkenntnisse darauf hindeuten, dass die Cousins von BPA die Fruchtbarkeit in genau der gleichen Weise beeinträchtigen können.45
Die Auswirkungen von Bisphenolen auf die Fruchtbarkeit
Einige Jahre nach Dr. Hunts zufälligem Experiment, bei dem die Auswirkungen von BPA auf die Eizellen von Labormäusen nachgewiesen wurden, zeigten immer mehr Forschungsergebnisse, dass BPA auch die menschliche Fruchtbarkeit in erheblichem Maße beeinträchtigt. Es ist heute klar, dass Frauen mit hohen BPA-Werten während eines IVF-Zyklus weniger Embryonen hervorbringen, die übertragen werden können, und dass die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, geringer ist.
Eine der ersten Studien, die darauf hinwies, wurde 2008 veröffentlicht und zeigte einen besorgniserregenden Zusammenhang: Die Frauen,