Rechtsmedizin. Ingo Wirth

Rechtsmedizin - Ingo Wirth


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des Körpers entstehen. So wie eine Einwirkung auf den Organismus sowohl örtliche als auch allgemeine Folgen haben kann, ist bei den vitalen Erscheinungen zwischen örtlichen und allgemeinen Reaktionen zu unterscheiden.

      Die allgemeinen vitalen Reaktionen stellen eine Antwort der großen Funktionssysteme des Körpers, wie Kreislauf, Atmung und Zentralnervensystem, auf das schädigende Ereignis dar, sind also an das Funktionieren dieser Systeme gebunden. Je länger die Zeitspanne zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Todeseintritt ist, desto stärker ausgeprägt sind die vitalen Reaktionen des Organismus. Zu den allgemeinen Vitalreaktionen zählen:

Ausblutung,
Embolie,
Aspiration,
Verschlucken,
Schockfolgen.

      Örtliche vitale Reaktionen sind Zustandsänderungen der unmittelbar geschädigten Gewebe. Als praktisch bedeutsame, lokale Vitalreaktionen entstehen:

Blutunterlaufung,
Entzündung,
Wundheilung,
Thrombose.

      Unberücksichtigt bleiben zunächst solche örtlichen vitalen Erscheinungen, die als spezifische Reaktionen auf bestimmte Reize auftreten, wie Stauungsblutungen bei Strangulation, Schaumpilz bei Ertrinken, Strommarken, Brandblasen, Frostbeulen oder Verätzungsspuren. Ihr Zustandekommen wird bei den jeweiligen Todesursachen erläutert.

      III. Vitale Reaktionen › 1. Allgemeine Vitalreaktionen

      Eine Blutung kann nur auftreten, solange der Kreislauf funktioniert. Tödliche Blutverluste sind durch äußere oder innere Verblutung möglich. Blutungen nach außen stammen entweder aus Hautwunden oder aus Körperöffnungen (Nase, Mund, Ohren, Mastdarm, Scheide). Innere Blutungen können zu Blutansammlungen in Körperhöhlen (Kopf-, Brust- und Bauchhöhle) oder in Geweben (Muskulatur, Unterhautfettgewebe) führen. Eine Gewebseinblutung muss äußerlich nicht sichtbar sein, und die Haut darüber kann unverletzt erscheinen. Die Blutansammlung wird erst nach dem Aufschneiden der Haut und Weichteile erkennbar.

      Lebensbedrohlich wird ein akuter Blutverlust dann, wenn mehr als ein Drittel der Gesamtblutmenge aus dem Blutgefäßsystem ausgetreten ist. Das entspricht beim Erwachsenen einem Blutverlust von 1,5 bis 2 Litern. Bedeutsam für eine Verblutung ist nicht allein die Menge, sondern auch die Schnelligkeit des Ausblutens. Daraus ergibt sich, dass Todesfälle durch reines Verbluten meist infolge einer Verletzung großer Schlagadern (Arterien) auftreten, die wesentlich schneller bluten als Blutadern (Venen) gleichen Kalibers.

      Die Blutung aus einer größeren Schlagader führt zur Entstehung von Spritzspuren. Bei Durchtrennung einer Halsschlagader kann das Blut bis zu einem halben Meter weit spritzen. Dagegen führt die Verletzung einer Blutader am Hals nicht zu Spritzspuren, aber zu einem erheblichen Blutverlust. Selbst Blutungen aus Krampfadern können tödlich enden.

      Blutet es nach innen, kommt es je nach Lokalisation zur Beeinträchtigung der Organfunktion. So verursacht die Blutung in die Schädelhöhle einen Druck auf das Gehirn oder die Blutung in den Herzbeutel eine Behinderung der Herztätigkeit (Herzbeuteltamponade). Deshalb ist in solchen Fällen bereits ein vergleichsweise geringer Blutverlust tödlich.

      Die Ausblutung ist stets eine aktive Kreislaufleistung, die nicht nur eine Blutung aus der Wunde oder aus dem Krankheitsherd bewirkt, sondern vielmehr zu einer allgemeinen Blutarmut des gesamten Körpers führt. Äußerlich fällt eine starke Blässe von Haut und Schleimhäuten auf. Die Totenflecke sind nur spärlich ausgeprägt oder fehlen. Die Blutarmut zeigt sich an den inneren Organen mit dem Hervortreten ihrer Eigenfarbe. Besonders auffällig ist die schlaffe, blutarme Milz. Unter der Herzinnenhaut finden sich regelmäßig kleinfleckige oder streifige Blutungen.

      Die Feststellung eines erheblichen Blutverlustes bei deutlicher Blässe innerer Organe lässt immer auf ein vitales Geschehen schließen.

      Der Verdacht auf einen Verblutungstod ergibt sich bei der Leichenschau aus dem Vorhandensein von Blutspuren und entsprechenden Verletzungen sowie durch spärliche oder fehlende Totenflecke. Lässt sich bei spärlichen oder fehlenden Totenflecken nach mehrstündiger Leichenliegezeit äußerlich keine Blutungsquelle feststellen, muss an ein Verbluten in das Körperinnere gedacht werden. Die Bestätigung der Verdachtsdiagnose erfolgt durch die Leichenöffnung.

      Beim Verbluten stellt der Sauerstoffmangel die letztendliche Todesursache dar. Infolge des Blutverlustes reicht die Transportkapazität der im Organismus verbliebenen roten Blutkörperchen nicht mehr aus, um die Organe ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen.

      Ebenfalls an die Kreislauftätigkeit gebundene Vitalreaktionen sind die Embolien. Darunter versteht man eine Verschleppung von Gebilden oder Substanzen, die nicht in der Blutflüssigkeit löslich sind, durch den Blutstrom mit Verstopfung von Blutgefäßen.

      Am häufigsten ist die Thromboembolie. Als Thrombose wird die Entstehung von Blutgerinnseln in der Blutbahn zu Lebzeiten bezeichnet. Solche Gerinnsel bilden sich häufig in den Ober- und Unterschenkelvenen und behindern dort den Blutabfluss. Diese Beinvenenthrombose ist deshalb gefährlich, weil sich daraus Blutgerinnsel lösen können und dann über den Kreislauf in das Lungengefäßsystem eingeschwemmt werden (Lungenembolie). Dort kommt es zu einer Verstopfung von Lungenschlagadern, die infolge der Herzbelastung zum Tod führen kann. Der Nachweis einer Lungenembolie gelingt entweder sogleich bei der Leichenöffnung oder durch nachfolgende mikroskopische Untersuchung der Lungen.

      Eine der Hauptursachen für die Thrombose ist die verstärkte Gerinnungstendenz des Blutes nach Verletzungen (z. B. nach Knochenbrüchen oder Weichteilverletzungen) und nach operativen Eingriffen. Ebenso können verletzungsbedingte Schäden der inneren Venenwand eine Thrombose begünstigen oder sogar auslösen. Auch die Verlangsamung des Blutflusses bei Ruhigstellung eines Beines im Gipsverband oder bei Bettlägerigkeit führt zur Thromboseneigung. Die akute Lungenembolie ist eine gefürchtete, oft tödlich verlaufende Spätkomplikation von Verletzungen durch Sturz oder Verkehrsunfall. Derartige Todesfälle berühren fast immer Probleme der Kausalität zwischen Gewalteinwirkung und Todeseintritt.

      Eine Fettembolie ist nach Knochenbrüchen mit Quetschung des Knochenmarks, mitunter auch nach chirurgischen Eingriffen und nach ausgedehnten Zerstörungen des Fettgewebes durch Überrollen oder schwere körperliche Misshandlung möglich. Die Verschleppung von Fett kann in die Lungen oder seltener in das Gehirn und die Nieren erfolgen (Abbildung 5). Im Lungengewebe verstopfen die Fetttröpfchen die Haargefäße (Blutkapillaren), sodass der Gasaustausch in den Lungenbläschen behindert und das Herz überlastet wird. Im Gehirn führt die Verstopfung der Haargefäße zu punktförmigen Blutungen (Purpura cerebri).

      Bei massiver Ausbildung kann eine Fettembolie todesursächlich sein. Das Eindringen von mehr als 20 g Fett in den Kreislauf gilt als tödlich. Nach schweren stumpfen Gewalteinwirkungen treten Fettembolien praktisch sofort – in einem Zeitraum von Sekunden oder Minuten – in den Lungen auf. Bei weniger schweren Verletzungen kann es als Komplikation nach einigen Tagen unerwartet zu einer tödlichen Fettembolie kommen.

      Der Nachweis einer Fettembolie lässt sich durch eine mikroskopische Untersuchung nach Spezialfärbungen des Gewebes führen.

       Abb. 5:

       Verschleppung von Fett mit dem Blutstrom (Fettembolie) in Gehirn, Lungen und Nieren nach Oberschenkelbruch, aus [9]

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